Wissenbasierte Systeme in Banken:

Keine Kreditentscheidung ohne Computer

29.08.1986

Nie zuvor waren Geldinstitute so rührig, neue Technologien auf ihre Brauchbarkeit im Bankensektor zu prüfen, wie heute. Seit einiger Zeit werden nun auch wissenbasierte Systeme unter die Lupe genommen.

Nicht nur die großen Marktforschungsinstitute haben festgestellt, daß wissenbasierte Systeme im Bereich Marketing und Beratung eine Zukunft haben. Banken und Versicherungen scheinen ebenfalls erkannt zu haben, daß in diesem jungen EDV-Gebiet--eine große Anzahl nützlicher Instrumente schlummert. Testaktivitäten allerorts, über die die Institute allerdings ungern sprechen.

Bei einem großen Münchner Versicherungsunternehmen ist ein wissenbasiertes System zur Simulation von Bilanzen im Piloteinsatz. Es soll helfen herauszufinden, wie sich neue Angebote oder Finanzierungsformen wohl auf die Bilanz auswirken. Ein anderes Expertensystem testet die Zentralsparkasse Wien: Für den Kunden werden Sparpläne zur Gestaltung der individuellen Altersversorgung ausgearbeitet. Andere Expertensysteme unterstützen die Mitarbeiter bei Banken dabei, in Beratungsgesprächen den Kunden die richtigen Fragen zu stellen.

Selbständig Schlüsse ziehen

Bei Expertensystemen (ES) handelt es sich um die am weitesten entwickelte Sparte der "Künstlichen Intelligenz". Neben der Wissensbasis, einer Datenbank, in der das Expertenwissen und eine Vielzahl von Regeln (oft einige Tausend) zu seiner Anwendung gespeichert sind, verfügen die Systeme über einen Inferenzmechanismus, der aus den Fakten und Regeln selbständig Schlüsse ziehen kann.

Weiterer Bestandteil eines ES ist die Wissenerwerbskomponente, mit deren Hilfe Informationen in der Wissensdatenbank gespeichert werden können. Die Erklärungskomponente eines ES gibt Auskunft darüber, was der Rechner gerade tut: Welchen Lösungsweg er eingeschlagen hat und zu welchem Schluß er warum gekommen ist.

In München hat die Hypobank kürzlich ein Pilotprojekt mit einem Expertensystem abgeschlossen. Ziel des Versuchs war, die Möglichkeiten der neuen Technologie für die Bank auszutesten und Erfahrungen bei der Entwicklung von Expertensystemen zu sammeln. Das System selbst sollte Wirtschaftlichkeit und Erfolg von Filialen beurteilen und dabei - wie der "menschliche' Experte auch - die Kennzahlenwerte richtig interpretieren. Die Initiatoren des Systems versprachen sich als besonderen Vorteil eine einheitliche Beurteilung der Filialen, die bei der üblichen Analyse der subjektiven Einschätzung verschiedener Fachleute unterworfen ist. Realisiert wurde das ES bei der Hypobank in Zusammenarbeit mit dem Institut für Informatik der TU München unter Professor Güntzer, dem Leibniz-Rechenzentrum München sowie der Informatik-Studentin Gerda Huber.

Zur Analyse der Filialergebnisse imitiert das System daher das Vorgehen der Experten. Wichtige Voraussetzung dafür war, die dabei zugrundeliegenden Heuristiken als Regeln zu formulieren und im Computer abzubilden, um dem System Beurteilungsgrundlagen zu verschaffen.

Die Entwicklung der Prototypen hat sich über ein Jahr hingezogen und zu einem System geführt, das mit rund 60 Analyseregeln arbeitet. Die Realisierung auf einem IBM PC XT in IF/Prolog hat nach Angaben von Gerald Jüttner, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Leibniz-Rechenzentrums, deutlich gemacht, daß' für so umfassende Aufgaben besser größere Computersysteme oder wesentlich leistungsfähigere Personal Computer eingesetzt werden.

Auch Unternehmen interessieren sich zunehmend für diesen Markt. Die Münchner InterFace Computer GmbH steigt im Oktober in mehrere Pilotprojekte ein, darunter eines mit der Dresdner Bank, bei der die Mitarbeiter bei der Bilanzbewertung mittels Kennzahlen durch ein Expertensystem unterstützt werden sollen. Als Hardware ist ein Computersystem MV/4000 von Data General im Gespräch. Gleichzeitig wird dort ein System zur Anlage-Beratung entwickelt, das Kunden und Mitarbeiter benutzen sollen.

Neu gegründet wurde eigens für derartige Entwicklungen die Expert Systems Corp. (ESC} mit Sitz in München. Dr. Peter Eichhorst, ..Erfinder" des Mikro-Pakets Open Access und Gründer von ESC, will sich mit seinem neuen Unternehmen unter anderem auf die Entwicklung von Expertensystemen zum Einsatz auf Mikrocomputern in Banken spezialisieren. In Arbeit ist ein Programm, das die Institute bei der Entscheidung über die Kreditvergabe an Kunden unterstützt. Berücksichtigt werden dabei auch Faktoren, die numerisch nicht ausgedrückt werden können.

Angelika Schrader ist Journalistin in München.