Jens Siebenhaar, OBI: Maßanzug statt Stangenware

29.11.2007
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Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Weil die gängige Standardsoftware nicht gepasst hat, setzte der OBI-CIO Jens Siebenhaar kurzerhand auf eine Individualentwicklung. Damit schaffte er es in die Top 10 des diesjährigen Wettbewerbs "CIO des Jahres".

"Wir sind erst einmal ein Stück gegen den Strom geschwommen", berichtet Jens Siebenhaar, Geschäftsführer des Bereichs Corporate Organization & IT von OBI und Vorsitzender der Geschäftsführung der Gesellschaft für Datenverarbeitung (GfD), des internen IT-Dienstleisters der OBI-Gruppe. Damit spielt der CIO auf die Anfänge des Projekts "Basis 3" an, mit dem die Baumarktkette ein komplett neues IT-System für ihre Filialen entwickelt hat. Weil Standardsoftware die eigenen Anforderungen nicht abdecken konnte, entschieden sich die Verantwortlichen, die Software selbst zu entwickeln. Dafür musste Siebenhaar jedoch viel Überzeugungsarbeit leisten – vom Vorstand bis zur Kassiererin (siehe auch: Wie sich Softwareprojekte kalkulieren lassen).

Ausgangspunkt für das Vorhaben Basis 3 war die veraltete Technik, erzählt der OBI-CIO. Funktional seien die Anwender zwar zufrieden gewesen. Mit DOS-Rechnern, Novell-Servern und Clipper-Applikationen sei nach der Jahrtausendwende jedoch technisch gesehen das Ende der Fahnenstange erreicht worden. "Wir saßen auf einem Pulverfass und mussten etwas unternehmen." (siehe auch: Sechs Tipps für eine bessere Anwendungsentwicklung)

Die Software von Microsoft und SAP entsprach nicht dem Bedarf. Also überzeugte OBI-CIO Jens Siebenhaar Vorstand und Mitarbeiter von einer Individualentwicklung. (Foto: Joachim Wendler)
Die Software von Microsoft und SAP entsprach nicht dem Bedarf. Also überzeugte OBI-CIO Jens Siebenhaar Vorstand und Mitarbeiter von einer Individualentwicklung. (Foto: Joachim Wendler)
Foto: Joachim Wendler

Im Jahr 2002 startete OBI daher eine Softwareauswahl. Im Fokus standen dabei für Siebenhaar zunächst die klassischen Vertreter von Standardsoftware. In der Endauswahl stieß die Baumarktkette allerdings schnell an die Grenzen der Systeme. Für Navision, das kurz zuvor von Microsoft übernommen worden war, gab es keinerlei Bekenntnisse des neuen Besitzers über die Zukunft des Produkts. Unter dem Aspekt der Investitionssicherheit habe man daher lieber die Finger davon gelassen, sagt der CIO. Auch mit SAP sei OBI nicht weitergekommen. Auf einer Folie habe sogar explizit gestanden "SAP hat kein System für die OBI-Märkte", berichtet Siebenhaar schmunzelnd.

Da sich in der Folge keine weiteren Alternativen boten, startete OBI im November 2004 eine Eigenentwicklung gemeinsam mit dem Entwicklungspartner Gebit. Vor dieser Entscheidung sei jedoch viel Überzeugungsarbeit notwendig gewesen, sagt der CIO. Es wäre ein Leichtes gewesen, ein SAP-Projekt anzustoßen: Da dies im Grunde jeder macht, müsse man sich praktisch nicht rechtfertigen, und auch das Risiko wäre geringer gewesen – selbst bei einem Scheitern. "Schließlich kommt das immer mal wieder vor."

Eigenentwicklung passt am besten

Für Siebenhaar bot die Individualentwicklung jedoch die beste Möglichkeit, die Anforderungen des Konzerns zu erfüllen. Die Ausgangssituation beschreibt er als nicht einfach: Das dezentral ausgerichtete Franchise-System räumt den Filialen viele Möglichkeiten ein, Abläufe selbst zu regeln. Dazu kam, dass das neue System eine breite Funktionspalette abdecken muss – vom Kassensystem über Auftragsverwaltung und Kreditverkäufe bis hin zum Mahnwesen.

Jens Siebenhaar auf einen Blick: Stationen, Projekte, Ansichten.
Jens Siebenhaar auf einen Blick: Stationen, Projekte, Ansichten.

Um eine möglichst breite Unterstützung für sein Vorhaben zu erhalten, hat Siebenhaar von Anfang an alle Betroffenen an dem Projekt beteiligt. In Workshops sollten zunächst die genauen Anforderungen an das neue System ermittelt werden. Daraus seien zwar keine weltbewegend neuen Ideen entstanden, räumt der IT-Leiter ein. "Es hat uns aber geholfen, die wirklich wichtigen Themen zu definieren und zu priorisieren." Darüber hinaus habe dieses Vorgehen den Mitarbeitern signalisiert: "Wir hören euch zu und nehmen euch ernst."

Auch während der Entwicklungsphase band der OBI-CIO die Anwender mit ein. So wurde vor allem für die späteren Pilotversionen das Feedback der späteren Nutzer eingeholt. OBI unterteilte die Entwicklung von Basis 3 in fünf Phasen. Nach jeder Entwicklungsstufe gab es ein Pilotsystem. Der Zeitplan wurde strikt eingehalten. Lediglich nach Phase eins mussten die Puffer geopfert und der Plan neu justiert werden, berichtet Siebenhaar. Doch in der Folge konnten die Aufwände genauer kalkuliert und damit der Zeitplan eingehalten werden. "Das Ende jeder Phase war wie ein Go-Live", erzählt der CIO. "Termine waren unumstößlich, da wurde nicht mehr diskutiert."

RFID: Noch kein Thema für OBI

Insgesamt verlief die Entwicklung zügig. Schon im September 2005 wurde der erste Pilotmarkt auf das neue System umgestellt. Im April 2006 folgte der erste ausländische OBI-Markt. In Deutschland sind fast alle der 334 Filialen umgestellt, im Ausland rund 50 der 171 Märkte. Siebenhaar geht davon aus, dass der Roll-out 2008 abgeschlossen wird.

Die Zuständigkeiten genau zu sortieren ist Siebenhaar zufolge eine der größten Herausforderungen im Projekt gewesen. "Menschen neigen gerne dazu, auch bei Themen mitzureden, von denen sie nicht so viel verstehen." Die kleinen Teams von zwei oder drei Leuten habe man bewusst gemischt zusammengesetzt – Mitarbeiter aus der IT, den Fachabteilungen und des Entwicklungspartners seien somit eng in der Projektstruktur miteinander verzahnt worden.

Mit Basis 3 hat Siebenhaar die Grundlage für den weiteren Ausbau des IT-Systems gelegt. In den kommenden Jahren soll es vorrangig darum gehen, die IT im Rahmen der Internationalisierung weiter zu vereinheitlichen. Dabei will der CIO auch neue Techniken im Auge behalten. Beispielsweise sei Self-Checkout ein interessantes Thema. Die Radio-Frequency-Identification-Technik (RFID) beurteilt Siebenhaar dagegen verhaltener (siehe auch: Wer von RFID profitieren will, muss seine Prozesse ändern). "Die Fantasie rankt sich hier in erster Linie um Tagging auf Item-Level." Das sei jedoch kurzfristig bei 50.000 Artikeln und einer Vielzahl von Lieferanten kaum zu realisieren. Auch im Logistikbereich sieht der IT-Leiter derzeit keine Vorteile von RFID (siehe auch: RFID: Nach dem Hype kommt der Frust). Hier gehe es in erster Linie darum, die Hausaufgaben in Sachen EDI zu erledigen. Da gebe es durchaus Verbesserungsbedarf. Zudem habe in diesem Bereich der Barcode nach wie vor eine Daseinsberechtigung (siehe auch: Wo der RFID-Einsatz sinnvoll ist – und wo nicht).

Über Service-orientierte Architekturen (SOA) musste sich Siebenhaar dagegen keine Gedanken machen. "Letztlich haben wir eine SOA-Lösung gebaut, ohne dabei die ganze Zeit ein SOA-Schild vor uns herzutragen." Wer heute moderne Software entwickle, baue automatisch auf den SOA-Prinzipien auf (mehr zum Thema SOA finden Sie im SOA-Expertenrat der COMPUTERWOCHE).

Welche Herausforderungen auf die OBI-IT auch zukommen – Siebenhaar wird auch künftig Individualentwicklungen nicht aus den Augen verlieren. Wurde vor Basis 3 diese Möglichkeit erst im Nachhinein in Betracht gezogen, will die CIO diesen Weg in Zukunft von Anfang an berücksichtigen. "Unser Mut ist an dieser Stelle gewachsen."