Kapital und Katastrophen

Jede Krise ist einmalig

21.09.2001
MÜNCHEN (CW) - Der Terror-Anschlag in den USA hat die Märkte verunsichert. In einer ersten Reaktion stürzten die Börsenkurse ab, die Preise für Öl und Gold stiegen. Aus der Vergangenheit kennt man diese Phänomene bereits, doch auch wenn sich bestimmte Verhaltensmuster an den Kapitalmärkten nach Katastrophen ähneln, jede Krise hat ihr eigenes Gesicht.

Die Aussagen zu möglichen Folgen der Katastrophe in New York auf die Finanzmärkte und die Weltwirtschaft schwanken stark. Während die einen den Beginn einer weltweiten Rezession vorhersagen, versuchen andere den kühlen Kopf zu bewahren und sprechen lediglich von einer Verzögerung der wirtschaftlichen Erholung. Erste Stimmen suchen bereits nach den Profiteuren, die an der Krise gewinnen könnten. Wie sich der Terroranschlag jedoch mittelfristig auf die Ökonomie auswirken wird, wagt noch niemand zu prophezeien. Zu der zentralen Frage, wie die US-Verbraucher reagieren werden, gibt es unterschiedliche Meinungen. Während Klaus Friedrich, Chefvolkswirt der Dresdner Bank nicht glaubt ("niemand weiß es"), dass die Verbrauchernachfrage zurückgehen wird, hält sein Kollege von der Deutschen Bank Norbert Walter dagegen und rechnet mit einem Einbruch des Konsums.

Öl und Gold teurerLeichter zu beurteilen scheinen die kurzfristigen Folgen zu sein. Die Finanzmärkte dienen als Seismographen, die erste Reaktionen sowohl von Finanzprofis als auch Privatanlegern wiedergeben. Dass die Panik groß war, ist deutlich an den Entwicklungen der ersten Tage nach dem 11. September zu erkennen. Weltweit schlossen die Börsen mit heftigen Kurseinbrüchen. Der Dax brach innerhalb weniger Stunden um knapp neun Prozent auf unter 4300 Punkte ein, der Londoner Index FTSE 100 fiel um mehr als 5,7 Prozent, in Paris und Zürich belief sich das Minus auf rund sieben Prozent. Auch außerhalb Europas sah es nicht besser aus. In Tokio stürzte der Nikkei Index erstmals seit 17 Jahren unter die Marke von 10000 Punkten, Hongkong verzeichnete einen Rutsch um 8,7 Prozent und die Börse in Bangkok blieb erstmals seit ihrer Gründung vor 26 Jahren geschlossen.

Gleichzeitig mit dem Wertverlust von Unternehmensanteilen stiegen die Preis für Gold und Öl sprunghaft an. "Der Goldpreis gilt nach wie vor als Krisenindikator", erklärt Stefan Schneider, Leiter der Forschungsabteilung "Makrotrends" der Deutschen Bank. Die Anleger flüchten bei einer Krise zunächst in sichere Werte, wozu Gold oder Rentenpapiere zählen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Umschichtungen aus riskanteren Anlagen, so dass der Absturz des Akienkurses nicht allein auf die sinkenden Erwartungen an die wirtschaftliche Situation zusammenhängen muss. Dass auch der Ölpreis anstieg, hängt in erster Linie mit der Tatsache zusammen, dass der Nahe Osten in das Attentat involviert zu sein scheint.

Diese Verhaltensmuster sind aus der Wirtschaftsgeschichte bekannt. Sei es die Weltwirtschaftskrise von 1929, der Angriff auf Pearl Harbour (1941), die Kuba-Krise, das Attentat auf John F. Kennnedy oder Amerikas Eintritt in den Vietnam-Krieg in den sechziger Jahren, der Anschlag auf die Olympischen Spiele in München 1972 oder der Golfkrieg zu Beginn der neunziger Jahre. Jedesmal stürzten die Märkte zumindest kurzfristig ab. Erst nachdem wieder Ruhe eingekehrt war zeigte sich, ob die Reaktionen eine längerfristige Talfahrt auslösten, wie im Falle des Angriffs auf Pearl Harbour, oder ob sie wie beim Golfkrieg wieder verpufften

Viele Umsatzwarnungen erwartetDennoch haben die Erfahrungen aus der Vergangenheit sicher mit dafür gesorgt, dass nun die Institutionen schnell und überlegt auf das Attentat reagierten. Alan Grennspan gab nur einige Stunden später die Losung aus: "Die Banken sind geöffnet und arbeiten weiter." Gleichzeitig sicherte er den Märkten Unterstützung in Form von Liquidität zu. Gleiches geschah auch in Europa, wo die EZB ebenfalls umgehend auf mögliche Zahlungsengpässe reagierte. Selbst die Opec zögerte nicht lange und versprach, die Stabilität des Ölpreises zu sichern.

Entscheidend für die weitere Entwicklung nach einer Katastrophe ist letztlich die Situation in der sich die Wirtschaft zum jeweiligen Zeitpunkt befand. "Die Katastrophe kam zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt", urteilt der Deutsche-Bank-Experte Schneider. Weltweit war das Wirtschaftswachstum beinahe sämtlicher Regionen - auch dies ist historisch ungewöhnlich - rückläufig. Die Serie von Gewinnwarnungen, die vor einem Jahr begann, riss bis dato nicht ab. Eine Erholung wird nur noch von wenigen Analysten bis Mitte nächsten Jahres erwartet. Niemand mochte auch vor dem 11. September beurteilen, ob die US-amerikanische Wirtschaft nicht doch noch in eine Rezession stürzt.

Erste Auswirkungen auf die ohnehin schon angeschlagene Wirtschaft zeichnen sich bereits ab. So schmerzt die Einstellung des Luftbetriebs in den USA nicht nur die Fluggesellschaften, sondern trifft auch eine Reihe von Unternehmen aus anderen Branchen. Nicht nur, dass Intel seine Mikroprozessoren nicht wie gewohnt per Luftfracht verschicken konnte, Analysten rechnen auch damit, dass viele Manager irgendwo festsitzen und keine Entscheidungen über Investitionen treffen können. Dies gilt nicht zuletzt für einen Gutteil der IT-Branche wie Microsoft, IBM oder Sun, die den Löwenanteil ihrer Aufträge erst in den letzten Tagen des Geschäftsquartals abschließen. Die Experten vermuten daher, dass in den nächsten Wochen viele Umsatzwarnungen ausgegeben werden.

Auf der anderen Seite werden Stimmen laut, die dem Anschlag auch positive Seiten abgewinnen. "Ich hasse es zu sagen, aber der Angriff wird für den Tech-Sektor wahrscheinlich das Ende des Abschwungs bedeuten", zitiert der "Spiegel" den Herausgeber der Fachzeitung "California Technology Stock Letter" Michael Murphy. Dies beginnt bei der Wiederbeschaffung zerstörter Hard- und Software sowie der Reparatur brachliegender Kommunikationssysteme. Murphy schätzt den Schaden, der im Hightech-Bereich verursacht wurde, auf mehrere Milliarden Dollar. Gleichzeitig löste das Attentat neue Überlegungen zum Thema Sicherheit aus. Viel Firmen dürften künftig mehr Geld in Security-Lösungen sowie den Aufbau von Backup-Systemen investieren.