Jahr des Anwenders

17.01.1992

Year of the Customer", das hatten wir schon mal. Proklamiert wurde es von einem großen Anbieter - und das sagt alles. Jeder kennt das Gefühl, man habe sich geschmeichelt zu fühlen, dermaßen umsorgt zu sein. Honig ums Maul schmieren nennen das die Psychologen. Wer schmiert, tut das nicht aus Daffke, IBM schon gar nicht. Nun gibt es IBM-Kenner, die meinen, mit der Jahr-des-Kunden-Aktion habe die Misere in Armonk angefangen, weil die Bedrohlichkeit der Situation erkannt, aber das Falsche getan wurde. Den Watsons wäre das nicht passiert. Da ist etwas dran. Jedenfalls setzen die IBM-Strategen, jetzt da an, wo das eigentliche Problem liegt: bei sich selbst. Es bestand wohl keine Möglichkeit mehr, das Großreinemachen zu vermeiden. Es gibt hinreichend Anhaltspunkte, daß sich John Akers bei seinen Mitarbeitern unbeliebt gemacht hat. Analysten versuchen jetzt, die Erfolgschancen von Akers' Personalpolitik abzuschätzen. Ihre Projektion ist diffus, aber das ist die Furcht vieler IBM-Manager auch.

Halten wir uns an die Fakten. Die Year-of-the-Customer-Show hat der Klärung der Frage, was die System-Anwendungs-Architektur SAA bringt, nicht gedient. Wenn die IBM heute davon spricht, daß sie den einzelnen Produktsparten (PS/2, AS/400, RS/6000, ES/9000) weitgehende Autonomie geben will, dann wird die Unsicherheit eher noch erhöht. Daß sich Big Blue mit Apple auf ein fernes Ziel in Sachen Workstation-Betriebssystem verständigt hat, mag ein weiterer Hinweis sein. Nein, von IBM ist ein deutliches Signal derzeit nicht zu erwarten, das Unternehmen ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Was etwa die geplante Divisionalisierung betrifft: Wird der Vertrieb neu formiert? Wird es Sales-Leute geben, die die RS/6000 gegen die AS/400 oder die ES/9000 anbieten? Beides wäre nicht unerheblich für die Wirkung, die durch Divisionalisierung

erzielt werden kann. Aber muß dann nicht SAA auf der Strecke bleiben? Der IDC-Guru Frank Gens deutet einen derartigen Ausgang an (Seite 1), wie er pauschal proprietäre Systeme im Abfalleimer der DV-Geschichte verschwinden sieht - keine gewagte Prognose übrigens.

Die Anwender können sich darauf einstellen. Sie sollten 1992 zu "ihrem" Jahr erklären. Altlasten und Ausreden, Ausreden und Altlasten: Das Schwarzer-Peter-Spiel funktioniert nicht mehr. Ein Anwender hat es, die Mainframe-DV im Visier, auf den Punkt gebracht (Thema der Woche, Seite 7): "Das Sterbeglöcklein hat zwar noch nicht geläutet, aber es bimmelt schon im Hintergrund." Ob IBM mit den angezeigten Maßnahmen auch innerlich die Wende vollzogen hat, wird sich wohl nie klären lassen. Von Relevanz

ist dies allerdings nur, wenn die Anwender auf halbem Wege stehen bleiben. In einer Open-Systems-Welt ist kein Anbieter unersetzlich.