Privatkunden sollen das Wachstum bringen

IT-Konzerne drängen in die Wohnzimmer

22.08.2003
MÜNCHEN (CW) - Apple brach das Eis, Gateway kopierte das Konzept, und langsam entdecken auch Dell und Hewlett-Packard (HP) die Privatkunden. Sie alle hoffen auf signifikantes Wachstum jenseits von Rechenzentren und Büros. Doch der Kampf um die gute Stube ist schwierig.

Das deutsche Wohnzimmer wird in der Regel durch ein Möbel dominiert, dessen Ausstrahlung die Bürger nur schwer widerstehen können: den Fernseher. Interaktiv läuft hier nichts, lediglich die Programmwahl steht dem Konsumenten per Fernbedienung frei. Doch das wird sich künftig ändern, denn IT-Konzerne haben das Wohnzimmer für sich entdeckt: Statt des Fernsehers soll, so die Hoffnung, der PC ins Zentrum der Unterhaltung rücken - als Plattform für Filme, Fotos, Musik oder Ausflüge ins Internet.

Wer diesen Wandel, falls er sich denn einstellt, am besten verkraftet, steht indes noch nicht fest. Dies gilt ebenso für die Anbieter wie für ihre potenziellen Kunden. Letztere sollen aus ihrer Lethargie gerissen und inter-aktiviert werden, weil dadurch in der Regel neben den Ausgaben für die neue Plattform zusätzlicher Umsatz abfällt - Home-Shopping lässt grüßen. Die Konzerne hingegen wissen selbst noch nicht recht, wie sich die Veränderungen auf ihre Bestandskunden und das traditionelle Markenbild auswirken: Zwischen Teraflops und Teletubbies, Unternehmens- und Privat-IT klafft ein großer Spalt.

Jeder ist eine Zielgruppe

Das jüngste Beispiel für die schleichende Verbreiterung der Kernzielgruppe lieferte Anfang vergangener Woche HP. Auf der eigenen Angaben zufolge größten Produktvorstellung des Unternehmens aller Zeiten konnten mehr als 150 neue Geräte begutachtet werden, die zwar nichts mit Backend-IT, dafür aber viel mit einer möglichen Zukunft zu tun hatten. Wie es sich für den Konzern gehörte, zeichnete die dominante Imaging & Printing-Division für die Show verantwortlich. Folglich wurde das Publikum mit einer Flut neuer Drucker, Scanner und Digitalkameras konfrontiert.

Der Sprung auf eine so genannte Konvergenzplattform, die irgendwo zwischen PC und Fernseher liegen soll, wurde hingegen verweigert - ob absichtlich oder nicht, sei dahingestellt. Eines der wenigen medienübergreifenden und innovativen Konzepte war daher ein DVD-Brenner mit integriertem Videoschacht, der helfen soll, die Heimarchive zukunftsreif zu digitalisieren. Dennoch wissen Firmenchefin Carleton Fiorina und viele Analysten, dass der Erfolg der Bemühungen zum Großteil davon abhängt, wie einfach die Systeme zu bedienen und vor allem zu vernetzen sind.

Langsam, aber gewaltig

Mittelfristig ist aber auch hier die Richtung klar vorgezeichnet: "Das Home-Entertainment wird kommen", bestätigt Bärbel Schmidt, HPs Geschäftsführerin der hiesigen Personal Systems Group. In welcher Form und wann genau, ließ sie offen - innerhalb von sechs bis zwölf Monaten sei aber ein weiterer Schritt in den Consumer-Bereich zu erwarten. Erst einmal entwickelt der Konzern hierzulande ein neues Modell für das traditionelle Geschäft mit Endkunden - "das wird etwas ganz anderes als bisher sein".

Losgetreten hatte die Veränderung einmal mehr Apple-Chef Steve Jobs. Bereits Anfang 2001 schlug er eine Brücke vom "Goldenen Zeitalter der Produktivität" über das "Internet-Zeitalter" zur kommenden Ära des "Digital Lifestyle". Dessen Herzstück oder "Digital Hub" sollte natürlich der Mac werden. Apple, so provozierte Jobs die Konkurrenz damals, ist der einzige Anbieter, der die für ein derartiges Konzept nötigen Komponenten aus einer Hand anbieten kann. Kurz zuvor war Intel-Chef Craig Barrett von ähnlichen Visonen heimgesucht worden, nur dass er dabei selbstverständlich den PC im Mittelpunkt des digitalen Lebens sah.

Jobs'' verbaler Tiefschlag musste erst einmal von den Wettbewerbern weggesteckt werden, und am schnellsten reagierte das US-amerikanische Unternehmen Gateway. Dort gibt es jetzt auf der Website und in den Läden neben PCs und Servern auch Flüssigkristall-Fernseher zu kaufen, Spielesoftware oder Heimkino-Systeme mit sechs Lautsprechern. Grund für die rasante Reaktion war indes die reine wirtschaftliche Not - Gateway hatte finanzielle Probleme und konnte im PC-Bereich nicht mehr kostendeckend mit Dell konkurrieren.

Doch auch der texanische PC-Konzern hat sich von den Unternehmenskunden fortbewegt, wenn auch vorerst nur im englischsprachigen Raum. Hier gibt es bereits Computerspiele, Drucker unter eigenem Label, PDAs, Videokameras und sogar Apples MP3-Player zu bestellen. "Die Kunden haben durch das Direktmodell im Consumer-Bereich die gleichen Vorteile wie sonst auch", sagt Dells Europa-Chef Paul Bell. Dass auch Dell durch das Direktmodell Vorteile hat, zeigte sich erst vergangene Woche wieder an den guten Quartalszahlen des Unternehmens.

Aber Stillstand zählt für Bell nicht: "Wir werden weiterhin in andere Produktkategorien expandieren, die mit dem Computer zusammenhängen." Selbst in Europa, wo noch längst nicht alle US-Produkte angeboten werden, stiegen Dells Umsätze im Endkundengeschäft zuletzt um 70 Prozent verglichen mit dem Vorjahresquartal, sagt Bell. Vorsorglich haben die Texaner im Juli das Wort "Computer" aus ihrem Firmennamen gestrichen.

Big Blue wartet ab

Lediglich IBM konnte sich bislang noch nicht dazu durchringen, die Schlagzahl im Rennen um das Wohnzimmer zu erhöhen. Vor vier Jahren sei die Entscheidung gegen das Consumer-Geschäft gefallen, berichtet Felix Rümmele, weil dessen Profitabilität kritisch beurteilt wird: "In dem Bereich zählt ausschließlich der Preis für die Hardware", sagt der Direktor für IBMs PC-Marketing. Added Value werde dort nicht honoriert, daher setze Big Blue ganz auf Business.

Hinzu kämen laut Rümmele noch Konflikte im Channel, die in jedem Fall etwa zwischen Retail-Märkten, dem Fachhandel oder dem Direktverkauf ausbrechen würden. "Reizvoll ist es natürlich immer, wenn man große Stückzahlen absetzen kann" - nicht zuletzt wegen der Statistik. Über Umsatz und Profitabilität sage das alles aber nichts aus. Daher lautet Rümmeles Fazit: "IBM hat nichts in der Pipeline, und wir werden auch künftig nicht in den Consumer-Bereich gehen." Wie lange das "künftig" Gültigkeit hat, ließ er wohlweislich offen.

Amerika trifft auf Asien

Schaden kann es vorerst nicht, abzuwarten und erst einmal die Entwicklung zu beobachten. Standards für künftige Home-Plattformen, Datenformate oder Übertragungswege sind noch Mangelware - eine traditionelle Schwäche der IT-Anbieter. Zudem ist der Consumer-Bereich hart umkämpft, einschlägige Anbieter wie Sony, Samsung oder Matsushita Electric spielen selbst in der Champions League. Zudem unterhalten sie ein Netz von Partnerschaften und Beziehungen zu den IT-Companies - und wer verprellt schon gerne seine Komponentenlieferanten für einen Markt, dessen Potenzial zurzeit niemand genau abschätzen kann? Nicht zuletzt daher gehen die IT-Konzerne vorerst lieber kleine Schritte, statt sich bei einem weiten Satz ins Wohnzimmer den Kopf am traditionellen Fernseher zu stoßen. (ajf)