Noch wenige Frauen unter den 4200 Azubis in den neuen IT-Berufen

IT-Industrie sucht den "kostengünstigen Mittelbau"

16.01.1998

Mehrere Wohnhäuser groß ist das Kühlzentrum, in dem bei minus 27 Grad Gefrierwaren aller Art aufbewahrt werden. Ein computergestütztes, ausgeklügeltes Lagerwirtschaftssystem regelt den laufenden An- und Abtransport der Güter. Präzision ist Trumpf - ein Fall für Informatikkaufleute. Dieser Beruf zwischen Service- und System-Know-how kann seit Herbst 1997 erlernt werden. Er ist eines der vier mit viel Vorschußlorbeeren bedachten neuen Berufsbilder in der Informations- und Kommunikationstechnik.

Laut Dezemberbefragung des Deutschen Industrie- und Handelstages haben 4200 Berufsanfänger im Herbst 1997 eine dreijährige Lehre zu Informatikkaufleuten, IT-Systemkaufleuten, Fachinformatiker/innen oder IT-Systemelektroniker/innen begonnen. Branchenbeobachter schätzen, daß etwa jeder vierte Platz von Ingenieurbüros, Systemhäusern, Software- und Beratungshäusern angeboten wird, die bisher noch nie ausgebildet hatten. "Wir haben eine echte Lücke getroffen", stellt Michael Ehrke, der für die IG Metall die neuen Berufsbilder mitgestaltete, zufrieden fest. Das Angebot an Lehrstellen wird weiter zunehmen; mit den Informationen über ihre Chancen wächst auch das Interesse der Jugendlichen, hat nicht nur Hubert Schöffmann von der IHK-München beobachtet.

Die Gestalter der neuen Berufsbilder aus Theorie und Praxis haben klare Vorgaben für die Ausbildung in Betrieb und Berufsschule gemacht. Alle vier Berufe bestehen zu 50 Prozent aus gemeinsamen Kernqualifikationen, die im Lauf der dreijährigen Lehre in enger Verschränkung mit den berufsspezifischen Fachinhalten vermittelt werden; die Betriebe setzen eigene Ausbildungsschwerpunkte; die traditionelle Trennung zwischen kaufmännischer und gewerblicher Ausbildung ist aufgehoben. "Gemeinsamer Dreh- und Angelpunkt", so steht es in einem Werbefaltblatt, "sind Kunden-, Systemorientierung und die Orientierung auf Geschäftsprozesse."

Anwenderorientierte Betriebsinformatiker hat man sich unter Informatikkaufleuten vorzustellen. Sie sorgen als Fachkräfte in der Industrie, bei Banken, Versicherungen, im Handel, in der öffentlichen Verwaltung und im Gesundheitswesen dafür, daß die Betriebsabläufe optimal vernetzt, Arbeits- und Rechnerprozesse aufeinander abgestimmt sind und die Systeme nicht abstürzen.

IT-Systemkaufleute sind am nächsten am Endverbraucher dran. In Systemhäusern stellen sie aus vorhandenen Komponenten Softwarelösungen für die Kunden zusammen. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Vertrieb und Marketing, Kalkulation, Service und Schulung. Fachinformatiker/innen können sich auf Anwendungsentwicklung, also auf die Realisierung von Individualsoftware oder auf Systemintegration, beispielsweise auf Netzwerkbetreuung, spezialisieren. IT-Systemelektroniker/innen schließlich planen Systeme, installieren und warten sie - von Geldautomaten bis zu anspruchsvollen Netzen.

So klar wie hier beschrieben ist die Trennschärfe zwischen den vier Berufen in der Praxis keineswegs. Einen Trend beschreibt Roland Schick, der federführende Sachverständige der Bundesländer aus dem Kultusministerium Baden-Württemberg: "Der Fachinformatiker als der Querschnittsberuf der Branche wird ein Renner." Besonders auf die Fachrichtung Systemintegration "scheint die ganze Branche gewartet zu haben", pflichtet ihm IHK-Berater Schöffmann bei.

Für Standardaufgaben keine Akademiker

Die Großen der Branche - SNI, IBM, Hewlett-Packard, Siemens, Deutsche Telekom - mischten kräftig bei der Gestaltung der neuen Qualifizierungskonzepte unterhalb des Hochschulniveaus mit. IBM-Sachverständiger Hans-Peter Cinka erläutert den Hintergrund: "Inzwischen nehmen in der IT-Branche die vielfältigen Standardarbeiten zu. Dafür müssen keine Akademiker eingesetzt werden. Wir brauchen einen soliden und kostengünstigen Mittelbau. Wer sein Auto zur Wartung in die Werkstatt fährt, braucht auch keinen Kfz-Ingenieur." Abzusehen sei, fügt Cinka hinzu, daß es zwischen Facharbeitern und Absolventen der Informatikstudiengänge an Fachhochschulen und Universitäten "zu einem Verdrängungswettbewerb kommt".

Ein Teilumstieg auf dual ausgebildete DV-Spezialisten wird auch bei der Wacker-Chemie GmbH erwogen, berichtet Ausbildungsbeauftragter Holger Schmidt. Bisher ist die computergesteuerte Produktion des Chemieunternehmens fest in der Hand studierter Informatiker. Mit den neuen IT-Berufen entstehe die Frage, so Schmidt: "Wer ist näher dran an den betrieblichen Erfordernissen?"

Diese Einschätzungen der Praktiker korrespondieren mit einer Prognose des Arbeitsmarktforschers Andreas Boes. Er stellt zwei Entwicklungstendenzen einander gegenüber: Einerseits steige in der Computerbranche die Komplexität der Technik. Dies sei die Chance der Fachhochschuldiplomanden. Andererseits nehme die Standardisierung von Technik und Arbeitsmethoden zu, wachse die Anwendernähe, und es ergäben sich mit der Verschmelzung von Informationstechnik, Telekommunikation und neuen Medien zusätzliche Aufgabenfelder. Genau dies ist der Bereich, "wo die duale Ausbildung eine Zukunftschance hat", schlußfolgert Boes. Die Etablierung der IT-Berufe wird auf dem Arbeitsmarkt zu "einem Nullsummenspiel zu Ungunsten der Akademiker führen", vermutet dagegen Hans Weißmann vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Berlin.

Selbst die aktuelle Lehrstellenstatistik verbessert sich durch die neuen Angebote nur zum Teil: Viele der 4200 "neuen" Plätze im Ausbildungsjahr 1997/98 sind Umwidmungen: Wo jetzt IT-Systemelektroniker/innen ausgebildet werden, behalf man sich vorher mit Kommunikationselektronikern. Bei den Informatikkaufleuten gab es den Vorläuferberuf "DV-Kaufmann".

Qualitativ hat sich vieles verbessert, loben unisono die Ausbildungsbeauftragten großer und kleiner Firmen. Ulrich Schniedermeier, Personalleiter bei der Markt- und Kühlhallen AG ist begeistert davon, "daß jetzt auch die Prüfung projekt- und nicht mehr fächerorientiert abläuft. Das entspricht viel mehr den betrieblichen Anforderungen, die schon vom DV-Azubi ein Verständnis des Gesamtzusammenhangs verlangen."

Liefen bei den Kommunikationselektronikern noch vier Fünftel der Berufsvorbereitung in der Lehrwerkstatt ab, sind die Fachinformatiker jetzt im ersten Ausbildungsjahr zu gleichen Teilen in der Berufsschule, in der Lehrwerkstatt und in der Fachabteilung. Dort werde dann fast das gesamte dritte Lehrjahr gearbeitet, erklärt Cinka. Bei SNI spielte das praxisnahe Lernen schon immer eine große Rolle, berichten Simone Dörlinger (München) und Heinz-Dieter Voskamp (Paderborn). Der Konzern bildet auch im Auftrag kleinerer Firmen aus.

Lehr- und Ausbildungspläne für die IT-Berufe "sind stark handlungs- und geschäftsprozeßorientiert und fordern überall eine sehr enge Kooperation zwischen Schule und Betrieb", berichtet Kultusbeamter Roland Schick und fügt hinzu: "Wir suchen noch nach den richtigen Formen." Berufsschule ist wichtig, drei Jahre Ausbildungszeit sind nicht zu viel - da herrscht Einigkeit in der Branche. Selbst Abiturienten, die mit einer IT-Ausbildung beginnen, erhalten nur selten Lehrzeitverkürzung.

Mindestens zwei offene Wünsche hat IG-Metall-Mann Ehrke. Er möchte, daß mehr Ausbildungsverbünde gegründet werden, in denen kleine Firmen gemeinsam Lehrlinge betreuen und ein hohes Qualifizierungsniveau sicherstellen. Außerdem hofft er, daß viel mehr junge Frauen als bisher in die kunden- und anwendernahen IT-Berufe einsteigen.

*Helga Ballauf ist freie Journalistin in München.