Ist die Zeit der einsamen Großrechner vorbei?

07.03.1975

Dipl.-Kfm. Ulrich Kiel, Leiter des Hauptbereiches Organisation und Datenverarbeitung beim Großversandhaus Quelle antwortete im Interview der Woche (CW Nr. 7 vom 14.2.1975) auf die Frage, ob die Doktrin vom effizienten Großrechner tot sei: "... zumindest insofern, als der >Großrechner hinter verschlossenen Türen< ohne direkte Verbindung zur Außenwelt der Benutzerbereiche als überlebt angesehen werden kann." In letzter Zeit gab es zahlreiche Ankündigungen von Systemen für die "Dezentralisierung der Intelligenz": jüngst vorgestellt wurden das IBM System 32, Nixdorf?s Serie 88 und das System 310 bei Digital Equipment. CW befragte Anwender der Groß-EDV und einen Unternehmensberater: "Veranlaßt die Verfügbarkeit preisgünstiger Satellitensysteme ein neues Durchdenken Ihrer Hardware-Konzeption?"

Wolfgang Hesse, Leiter der Systemprogrammierung der BASF AG, Ludwigshafen

Ich kann mich der Meinung von Herrn Kiel (siehe CW vom 14.2.1975) voll anschließen.

Ein Betrieb eines "Großrechners hinter verschlossenen Türen" ohne direkte Verbindung über Terminals zur Außenwelt der Benutzerbereiche wird kaum möglich sein. Das Großrechnersystem wird auch in überschaubarer Zukunft seine Funktion erfüllen: Informationszentrale sein. Durch Anschluß von Terminals verschiedener "Intelligenzgrade" und Ausstattung werden aber in komplexen Organisationen weitere Benutzbereiche erschlossen.

So werden für Zwecke der Programmentwicklung in time-sharing einfache Geräte ihren Zweck erfüllen, etwas intelligentere werden bei Datenerfassungsproblemen mit relativ einfachen Prüfungen den Fachabteilungen das Leben erleichtern und noch intelligentere Terminals können ganze Anwendungen mindestens für einen begrenzten Zeitraum (zum Beispiel Ausfall der Zentrale, und andere) abwickeln, wobei die Intelligenz in diesen Fällen noch durch Speichermöglichkeiten ergänzt werden muß (zum Beispiel Platten, Bänder, Kassetten und andere).

Die Arbeitsweise wird sich meines Erachtens auf eine vernünftige Arbeitsteilung einpendeln, die dahin geht, daß der Betreiber eines intelligenten Terminals benutzerspezifische Probleme selbst löst und an die Zentrale verdichtete Daten liefert. Er wird spezielle konventionelle Karteien durch vor Ort geführte Dateien ersetzen und sonst die zentral geführten Dateien nach Bedarf benutzen. Vorteile einer solchen Aufteilung sind: der Benutzer des Terminals hat vor Ort größere organisatorische Flexibilität und unmittelbaren Zugriff zum Sachbearbeiter bei der Fehlerklärung. Für die Datensicherung und betriebsinterne Kostenverrechnung sehe ich bei vernünftiger Arbeitsteilung wenig Probleme. Im Grunde gibt es in dieser Entwicklung ja schon erste Schritte.

Günter Reusch, Leiter der Datenverarbeitung der Deutsche BP AG, Hamburg

"Kampf dem Großrechner, der sich bald nur noch selbst verwaltet" oder "Anwender nutzt kluge Terminals für Dezentralisation der Datenverarbeitung" oder auch "denkt an die Risiken zentraler Großanlage und schafft eine Datenverarbeitungs-Lastverteilung durch dezentral eingesetzte Kleinrechner". Solche oder ähnliche Argumente lassen sich heute finden. Dabei sind das doch alles nur Schlagworte, bei denen ich das Gefühl habe, als treibe man mit dem Entsetzen Spaß, als spiele man mit dem Unbehagen gegenüber den Schwierigkeiten im Umgang mit komplexen EDV

Systemen. Das klingt alles so plausibel, daß kleinere Rechner unproblematisch zu handhaben wären. Sie benötigen zum Beispiel keine Mammut-Betriebssysteme und sonstige Basissoftware und führen daher automatisch aus den Schwierigkeiten der großen Systeme heraus. Aber schön wär's. Wenn noch nicht alles, was heute in einer zentralen Datenverarbeitung geschieht, dort auch geschehen muß, so wird es doch nicht zu einem Ersatz der Großrechner durch viele Kleinrechner kommen. Zumindest nicht in absehbarer, für einen Anwender planbarer Zeit. Ich meine auch, daß man mit den zitierten Unterstellungen den wirklichen Möglichkeiten neuer Terminal-Steuerungs- und Übertragungstechnologien gar nicht gerecht wird. Wir alle wissen, zum Teil ist die Zukunft schon Gegenwart geworden, daß die ADV immer mehr zur Beobachtung und Steuerung von Gesamtzusammenhängen genutzt wird. Gesamtzusammenhänge aber durch dezentrale Rechner darstellen zu wollen, fällt wohl kaum jemandem ein.

Andererseits bieten sich durch neue Technologien an der Peripherie erfreuliche Möglichkeiten, zentrale Systeme hinsichtlich ihrer Aktualität und - Benutzerfreundlichkeit abzurunden.

Es ist bekannt, daß hierfür und überhaupt für Netzsysteme im Sinne einer besseren Datensammlung, Unterstützung vor Ort und notwendige Kommunikation zwischen Draußen und Drinnen vielmehr als bisher investiert werden muß. Daß zur Absicherung der Verarbeitungsbereitschaft eines zentralen Rechners für ein größeres online-System doch einiges getan werden muß, steht außer Frage. Es zeichnet sich bei den Herstellern ab, daß die Ein-Prozessor-Systeme durch Mehr-Prozessor-Systeme abgelöst werden. Nicht nur, daß damit andere Leistungen zu erreichen sein werden, diese könnten d a s Maximum an Betriebsbereitschaft bieten, daß wir für System-Netze brauchen. Mehr-Prozessor-Systeme müssen aber - sollen sie ihre Funktion erfüllen - unter einer Steuerung laufen. Damit bleiben sie praktisch Großrechner. Also: kein Ersatz der Großrechner durch Kleinrechner, sondern Unterstützung und Vervollständigung zentraler Systeme.

Rolf Schulze-Seeger, Leiter EDV und Org., Firma Benger & Söhne, Bad Rappenau

Die Überschrift - wahrscheinlich journalistisch so komprimiert - widerspricht eigentlich dem Text und damit der Aussage von Herrn Kiel. Das Wort "einsam" verneine ich in diesem Sinne. Die Zukunft liegt bei den Terminal- und Satelliten-Rechnern. Dieser Ansicht bin ich auch. Der Großrechner allerdings ist meines Erachtens erforderlich für die Dezentralisierung, denn die Terminals, die Bildschirm-Lösungen erfordern, haben einen sehr großen Hauptspeicherbedarf. Ich sehe die Entwicklung so, daß die Datenerfassung an den Ort der Entstehung - also in die Fachabteilung - wieder zurückwandert, wie das mal vor Einführung der EDV war. Darüber hinaus bieten diese Bildschirm-Systeme in Zukunft den Dialog an. Beides - die Datenerfassung und der Dialog - muß letzten Endes von einem Großrechner überwacht werden. Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß die Anlagen wohl größer werden, aber bezogen auf die Überschrift des Interviews nicht "einsam". Denn wir brauchen ja die dezentralen Auswertungsstationen. Das kann ein Drucker sein, das kann aber auch ein Bildschirm sein. Ich möchte noch einmal auf die drei Schlagworte "EVA " zurückkommen: Eingabe, Verarbeitung, Ausgabe. Die Vergangenheit - das war technisch bedingt - machte es notwendig, sowohl die Datenerfassung in die Datenverarbeitung zu legen und ebenso die Verarbeitung und die Ausgabe. Jetzt erlauben aber die technischen Möglichkeiten, die Bereiche Eingabe und Ausgabe wieder in die Fachabteilung zurückzulegen. In Zukunft sind wir von der EDV nur noch "Verarbeiter" im wahrsten Sinne des Wortes. Für die Daten sorgt die Fachabteilung. Ich bin für diesen Trend und werde das auch in unserem Hause einsetzen. Die Verantwortung soll wieder in die Fachabteilung und nicht in die fachlich neutralen Lochsäle. Denn die sind angewiesen, die Zahlen ohne Prüfung zu übernehmen und so entstehen Fehler.

Anselm Triestram, Geschäftsführer der IBAT-AOP-Gesellschaft für Analyse, Organisation und Programmierung mbH, Essen

Sie haben in dem in Ihrer Zeitschrift vom 14. Februar abgedruckten Interview zwischen Herrn Dr. Maurer und Herrn Dipl.-Kaufmann Kiel die Schwerpunkt-These gebracht: "Die Zeit der einsamen Großrechner ist vorbei." Dieser These, die sich aus dem Dialog zwischen einem Anwender und einem Fachjournalisten ergab, können wir aus unserer langjährigen Erfahrung als EDV- und Softwareunternehmen nur zustimmen. Vor allem im kommerziellen Bereich scheint dieser Trend zu Minicomputern und Compact-Rechnern eindeutig zu sein. Auf folgenden Aspekt möchten wir in diesem Zusammenhang ergänzend hinweisen: Eine dezentrale Rechner-Organisation, bei der selbstverständlich die Kommunikation mit dem zentralen Rechnersystem gewährleistet sein muß, reduziert das Risiko daß Störungen in der Hardware oder Software oder im einzelnen Betriebsteil das Gesamtsystem mehr oder weniger lahmlegen.