Interview/"Directories sind mehr als blosse Verzeichnisse"

02.02.1996

CW: Banyan hat in letzter Zeit des oefteren damit zu tun, Spekulationen zu widersprechen, wonach das eigene Netzwerk- Betriebssystem aufgegeben und auf Windows umgesattelt werden sollte. Wie lautet die offizielle Sprachregelung?

Mahoney: Es war immer unsere Absicht, Vines weiter zu betreiben und zu verbessern. Zuletzt wurde die Version 6.0. ausgeliefert, und es wird weitere Releases geben. Unserer Ansicht nach ist Vines die industrieweit beste Plattform fuer Messaging- und Directory- Services - das gleiche gilt fuer Print- und File-sharing -, auf der Kunden unternehmensweite Netzwerke errichten koennen.

CW: Haben Netzwerk-Betriebssysteme ueberhaupt noch eine Zukunft, die in erster Linie File- und Print-Services anbieten, wenn Microsoft mit NT die Betonung schon laengst auf Application-Server legt?

Mahoney: Der Markt braucht beides. Immer mehr Netzwerke werden mit Global Directory Services eingerichtet. Mit diesen Services sind die verschiedensten Objekte innerhalb eines Netzes leicht zugaenglich: gleichgueltig, ob es sich dabei um Anwender, Drucker, Files oder Applikationen handelt. Offen ist lediglich, ob man diese Zugriffsmoeglichkeiten innerhalb eines Netzwerkes definiert oder in einem Betriebssystem.

CW: Wie wuerde sich das auf Banyan auswirken?

Mahoney: Kunden wollen verschiedene Server-Plattformen fuer Datenbanken, Applikationen oder Management ueber ein Netzwerk betreiben. Fuer diese Spezialfunktionen sind Betriebssysteme wie NT oder Unix die logische Wahl. Deshalb sorgen wir vereinfacht gesagt dafuer, dass unsere Kunden jede Plattform ueber das Netz bedienen koennen.

CW: Banyan musste zwei aufeinanderfolgende Verlustquartale verkraften und Arbeitsplaetze streichen. Was ist der Grund dafuer?

Mahoney: Unser Wachstum hat sich in den letzten beiden Quartalen aus verschiedenen Gruenden abgeschwaecht. In der Konfusion des Marktes liegt eine Ursache, in der leichten Verschiebung der Distributionsstrukturen eine andere. Hinzu kommt die Schwaeche der internationalen Maerkte. Finanziell fuehlen wir uns mit 30 Millionen Dollar an liquiden Mitteln gut geruestet. Ausserdem restrukturieren wir zur Zeit das Unternehmen, um fuer die Markterfordernisse, die wir auf uns zukommen sehen, gewappnet zu sein.

Diese Umorganisation haengt teilweise mit der Dynamik des Enterprise-Marktes zusammen. Eine weitere wichtige Rolle spielt das Internet, das sich fuer mich in drei "Inter"-Phaenomene gliedert: Das Internet, das Inter-Enterprise und das Inter- nationale Phaenomen.

CW: Koennen Sie die Aufteilung des Unternehmens in die Enterprise- Network-Services- und die Internet-Product-Services-Division erlaeutern?

Mahoney: Banyans Angebot im Enterprise-Network-Sektor ist attraktiver und wird staerker nachgefragt als irgendwann zuvor. Dank der Directory- und Messaging-Technologien kommt unseren Faehigkeiten zur Integration noch groessere Bedeutung zu, vor allem jetzt, wo Unternehmen mit Hilfe des Internet beginnen, ihre Netzwerke auszudehnen. Da unsere Konzepte stimmig sind, werden wir uns auch in der sich entwickelnden Welt des Network-Centric- Computing gut positionieren koennen. Und um dort besser Fuss zu fassen, haben wir uns in zwei Geschaeftsbereiche aufgeteilt.

CW: In den vergangenen Wochen haben sowohl Microsoft als auch Novell die Faehigkeiten ihrer Directory-Technologien fuer die unternehmensweite Datenverarbeitung und fuer das Internet in den Vordergrund gestellt. Wie schneidet Banyans "Streettalk" im Vergleich zu den Directory-Services von Netware und Windows NT ab?

Mahoney: Seit 13 Jahren haben wir immer wieder auf die Wichtigkeit von Directory-Services hingewiesen, jetzt endlich werden sie zum identifizierbaren Beduerfnis. Und nur Banyan hat einen klaren Blick dafuer, wie dieses Directory auf den Markt gebracht werden soll. Es soll plattformunabhaengig und offen sein, Standardprotokolle und - Interfaces unterstuetzen. Ausserdem soll es skalierbar sein, damit auch Grosskonzerne, die verschiedene Betriebssysteme und Clients nutzen, damit arbeiten koennen. Das Directory ist mehr als ein blosses Verzeichnis, in dem man Dinge findet; es wird benoetigt, um Informationen zu katalogisieren. Es verfolgt den gleichen Ansatz wie das Netzwerk selbst. Novell und Microsoft hingegen sehen Netzwerke zu sehr aus der Betriebssystem-Ecke.

Mit David Mahoney, dem Chairman und Chief Executive Officer von Banyan Systems Inc., sprach Infoworld-Redakteur Paul Krill.