IT in der Medienwirtschaft/Mediaplaner buchen Werbespots im Online-Verfahren

Inkompatible Systeme bringen Anwender auf die Palme

18.07.1997

Das richtige Umfeld für den fix und fertig produzierten Clip einzugrenzen, ist das geringere Problem für die Strategen in den Kreativschmieden. Doch der Aufwand für Anfrage, Plazierung und Buchung der Werbespots treibt den Mediaplanern schon einmal den Schweiß auf die Stirn. Daß sie sich dabei ausschließlich auf Telefon und Telefax verlassen und deshalb die eine oder andere Warteschleife ziehen müssen, stimmt schon verwunderlich. Haben die Agenturen den Einstieg ins Online-Zeitalter verpaßt?

Ein "Riesenschritt" in die richtige Richtung ist deshalb für Christoph Baron das neue Online-Buchungsverfahren, mit dem RTL, SAT1 sowie die Pro Sieben-Gruppe das Leben der Agenturen erleichtern wollen. Wie seine Kollegen in der werbetreibenden Industrie muß der stellvertretende Geschäftsführer der Ogilvy and Mather Media Consult GmbH in Frankfurt oft in buchstäblich letzter Sekunde eine optimale Plazierung vornehmen. "Die übersichtliche und schnelle Information meines Systems hilft mir dabei weiter."

Auch Erika Fernau, Mediaplanerin der Henkel KG in Düsseldorf und seit sechs Monaten Teilnehmerin am Online-Verfahren, ist zufrieden. Heute kann sie am Bildschirm ablesen, wo noch Werbeinseln zur Verfügung stehen. "Früher rief ich beim Sender an, um mich nach freien Kapazitäten zu erkundigen. Was man mir dann anbot, war eher uninteressant."

Fernau und Baron buchen zigtausend Spots pro Jahr: Während Henkel bei den Sendern ohne Umweg über eine Agentur im letzten Monat rund 2000 Waschmittel- und Kosmetikspots lancierte, orderte Ogilvy and Mather - unter anderem verantwortlich für die weltweiten IBM-Kampagnen - allein im letzten Jahr 12000 Termine bei Pro Sieben und 5000 beim Newcomer Kabel 1.

Fernau, Baron und weitere Anwender in rund 30 Agenturen greifen auf "Pios" zu, das "Programminformations-Online-System" der MGM. Das Browser-basierende Werkzeug ist bei den Anwendern vor Ort installiert. Über Internet-Zugang oder per ISDN klickt man sich direkt ins Dispositionssystem in Unterföhrung ein. Paßwort, Login und Adresse sind Voraussetzung, um mit dem Web-Server zu kommunizieren.

Welche Werbeinseln sind verfügbar, welche Programme laufen, wo ist bereits eingebucht? Solche Fragen kann der Anwender am System beantwortet bekommen. Hat er sich ein Bild über die verfügbaren Slots verschafft, ist für Einbuchung, Umbuchung oder Stornierung eines Spots kein Telefon mehr nötig.

Jens Gebhard, bei MGM verantwortlich für Organisation und Logistik, hat das System aus der Taufe gehoben. Er erläutert, wo den Mediaplanern der Schuh besonders arg drückt. "Attraktive Werbeinseln sind lange im voraus ausgebucht, was viele Agenturen nicht wissen. Ein Online-Buchungssystem kann hier viel Transparenz schaffen."

DV-Dienstleister für die gesamte Pro Sieben-Gruppe ist das Softwarehaus Seven Sys. Damit Pios auf das MGM-Dispositionssystem zugreifen kann, um aktuelle Buchungsstände und Sendepläne einzubeziehen, hat Seven Sys das Datenbank-Back-end unter Informix und 4GL entwickelt. Um maximale Ausfallsicherheit zu gewährleisten, sind die wesentlichen Hardwar-Elemente, Sparc-Rechner von Sun, redundant ausgelegt. Die Web-Programmierung unter CGI ist Gebhards Sache.

Zunächst, vor etwa zwei Jahren, hat man an einer Client-Server-Variante gearbeitet. Doch die damit verbundenen Aufgaben überstiegen bald die begrenzte Personalkapazität. "Vom Client-Server-Gedanken verabschieden sich immer mehr Leute", meint Gebhard, für den das Konzept schon aus Wartungsgründen zum Scheitern verurteilt ist.

Die Verfügbarkeit für viele Plattformen war denn auch einer der Gründe, warum man schließlich Anfang 1996 auf die Web-Version umsattelte. Pios konnte an die bereits existierende Back-end-Architektur und das interne Dispositionssystem andocken. Heute arbeiten drei Mitarbeiter an der Weiterentwicklung des Systems.

Pios nutzt Funktionalität und Darstellungsmöglichkeiten des Netscape Navigators. Will sich der Mediaplaner ein Bild über kurzfristige Buchungschancen verschaffen, kann er mit wenigen Mausklicks durchs Programm navigieren und individuellen Fragestellungen nachgehen.

Zu jedem Sendebeitrag gibt es eine kurze Beschreibung, eine wichtige Hilfe für Buchungsentscheidungen. Bei unbekannten Spielfilmen möchte man erfahren, ob zum Beispiel das Genre zum Werbeprodukt paßt.

Weitere Informationshilfen verbergen sich hinter einer Vielzahl von Dialogboxen. Ob normaler Werbeblock, Unterbrecherwerbeblock oder bestimmte Tarifgruppen - verschiedenfarbige Lämpchen vermitteln Orientierung im Dickicht der wild wuchernden Werbelandschaft.

Voraussetzung für eine sinnvolle Verwendung des Tools sind wichtige Grunddaten, die man einmal für alle folgenden Buchungen festlegt. Dazu zählen bevorzugte Spotlängen, Zeitschienen (zum Beispiel Primetime) oder Tarifgruppen, was auch für die Massenspotbuchung wichtig ist.

"Gibt es für meinen 20-Sekunden-Spot noch freie Werbezeiten?" können Mediaplaner rund um die Uhr fragen. Nach Eingabe der entsprechenden Daten leuchten sämtliche freien Blöcke in der Farbe Grün auf. Hinter der gelben Lampe verbergen sich Prognosen. Wer zum Beispiel für Kukident wirbt, möchte sich selbstverständlich der Aufmerksamkeit höherer Semester versichern. Gemäß der rund 70 Zielgruppen, die die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) differenziert, lassen sich präzise Leistungswerte eingeben.

Soll es eine Reichweite von etwa 500000 Zuschauern sein, wobei der TKP (Tausend-Kontakt-Preis) den Wert von 50 nicht überschreitet? Das System antwortet mit einer langen Liste. Basis der MGM-Prognosen sind Reichweitenmessungen der GFK. Gebhard: "Dabei handelt es sich um einen einfachen Algorithmus: Wir nehmen die vergangenen vier Wochen und verknüpfen dies mit einem Saisonalitätsfaktor." Im Sommer, wenn die Menschen ihren Urlaub verbringen oder im Biergarten sitzen, gibt es einen Abzug von den Reichweiten.

Alle Angaben der werbetreibenden Kunden sind in der Datenbank gespeichert und stehen bei jedem Folgeaufruf im Update-Niveau zur Verfügung. Die rote Lampe hilft bei der Suche nach Werbeinseln, in die bereits Spots eingebucht wurden. Nicht selten betreuen Agenturen miteinander konkurrierende Firmen. Wer also ausschließen will, daß sie sich in einem Werbeblock begegnen, begnügt sich in Pios mit einem Mausklick.

Doch das wichtigste Potential eines Online-Buchungssystems ist seine Flexibilität in puncto Umbuchung oder Stornierung. Sechs Tage vor Ausstrahlung des Spots läuft die Buchungsfrist ab. Stornierungen hingegen müssen zwei Wochen vor dem Sendetermin vorliegen.

Um die in der Regel zahlreichen Korrekturwünsche en bloc abarbeiten zu können, steht dem Anwender ein "Warenkorb" zur Verfügung: Hier werden sämtliche Transaktionen zunächst gesammelt und gemeinsam abgeschickt. Die Gefahr, eine bereits gebuchte Position kurzfristig zu verlieren, ist damit weitgehend ausgeschaltet. Dieses Feature kam auf Wunsch der Agenturen nachträglich ins System. Der dahinterliegende Optimizer reißt die Spotanordnungen nicht auseinander.

Um sich nach Eingabe aller Buchungsoptionen über den Status quo zu informieren, zeigt die Bildschirmoberfläche alle Transaktionen an, deren Status an den Mundzügen eines Smileys abzulesen ist. Ein breites Grinsen bedeutet "ok", die Normalstellung heißt "noch in Bearbeitung", herunterhängende Mundwinkel schließlich signalisieren "Transaktion ohne Erfolg".

Laut Gebhard soll Pios vor allem die interne Disposition von zahlreichen Routineaufgaben entlasten. Die gewonnene Zeit ließe sich nutzen, um auf die Kunden zuzugehen und sie auf konkrete Werbeplätze anzusprechen. Freibleibende Plätze könne man genau denjenigen Agenturen anbieten, deren Kunden gut ins Umfeld passen. Im Unterschied zu anderen Systemen ist Direktbuchung möglich.

Gebhard berichtet ferner, daß die Einbuchung ins Dispositionssystem rund 30 Sekunden dauert, für die Rückmeldung des Status quo müsse man eine weitere halbe Minute einkalkulieren. Ist der Kunde mit seiner Gesamtbuchung einverstanden, löst er per Mausklick die Bestätigung per Fax oder E-Mail aus.

Noch kein einheitliches Buchungsverfahren

Voraussetzung für die Akzeptanz bei der Kundschaft, die das System kostenlos erhält, ist die Aktualität der Daten. Kundenstammdaten oder Sendepläne dagegen werden über Nacht auf den neuesten Stand gebracht. MGM erfreut sich einer zunehmenden Nachfrage, nach Aussage von Gebhard sei noch keiner der Kunden abgesprungen.

Die Installation des Systems beim Kunden sei schnell erledigt. Kleinere Probleme ließen sich direkt beheben, zumal alle Programme auf dem Server in Unterföhring liegen. Meistens reiche ein Telefongespräch. Für die Anwenderschulung wären nicht mehr als zwei Stunden nötig.

In weiten Teilen geben die Anwender ihrem Lieferanten recht. Nur bei der Umbuchung sind sie anderer Meinung. Baron etwa meint: "Stornierungen können eine Ewigkeit dauern, deshalb wickeln wir kurzfristige Orders nur telefonisch ab."

Viel belastender allerdings ist für die Mediaplaner die Koexistenz verschiedener Systeme, zwischen denen sie sich hin- und herhangeln müssen. Seit zwei Jahren bereits arbeitet man deshalb am Projekt "Online-Harmonisierung" der Gesellschaft Deutscher Werbeagenturen (GWA) und diskutiert über ein einheitliches Buchungsverfahren, das Schnittstellen zu allen Sendersystemen garantiert.

Um das Problem vollends auf die Spitze zu treiben, prescht nun auch noch die Reuters-Tochter Adways in den Markt, die für ihr System satte Transaktionsgebühren verlangen will. "Verdammt schlimm", stöhnt Baron.

Angeklickt

Den lukrativsten Sendeplatz für einen Werbespot zu buchen, verlangt langfristige Vorarbeiten. Stornierungen und kurzfristige Umbuchungen sind eine nervenstrapazierende Arbeit. Normalerweise geschieht derlei per Telefon und Fax. Wesentlich komfortabler und werbekundenfreundlicher ist man mit einem Online-System bedient, über das Schaltungen für die drei bedeutendsten deutschen privaten TV-Sender rund um die Uhr möglich sind. Allerdings ist das kein Standard.

*Max Leonberg ist freier Autor in München.