Order oder Selbstbestimmung

Ideen für E-Mail-Verbot sind nur heiße Luft

28.08.2014
Von 
Axel Oppermann beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Social Enterprise, Cloud Computing und Microsoft hineinfällt. Axel schreibt auf Computerwoche als Experte zu den Themen Enterprise Cloud, Digital Enterprise und dem IT-Lieferanten Microsoft. Als IT-Analyst berät er Anwender bei der Planung und Umsetzung ihrer IT-Strategien. Axel ist Geschäftsführer des Beratungs- und Analystenhaus Avispador aus Kassel. Normal 0 21 false false false DE X-NONE X-NONE

Was es zu erreichen gilt

Das nahtlose und uneingeschränkte Verbinden von Menschen mit anderen Menschen, mit Daten, Informationen und Wissen, zukünftig auch stärker mit physischen Dingen und Maschinen auf eine effizientere und intelligentere Weise, wird ein Erfolgsfaktor für unsere Gesellschaft sein. Dabei dürfen unsere Kultur - unsere Leitkultur - und der Mensch nicht vernachlässigt werden. Es sollte gewahr werden, dass vor dieser durch Technologie veränderten Welt sich die Art ändert, wie wir konsumieren, Kontakte knüpfen, agieren sowie interagieren und letztlich auch, wie wir denken, leben und in einer Gesellschaft miteinander "funktionieren".

Axel Oppermann: "Wir sollten mehr Chancen erarbeiten, statt Türen durch antiquierte Denkmuster zu verschließen."
Axel Oppermann: "Wir sollten mehr Chancen erarbeiten, statt Türen durch antiquierte Denkmuster zu verschließen."
Foto: Axel Oppermann

Sollen die Vorteile bei uns gehoben werden, so benötigen wir eine neue Wirtschaftspolitik und einen erweiterten Begriff der Wohlstandsproduktion. Ein solches Modell - eine solche Politik - muss für umfassende Verfügbarkeit von Technik, Prävention und Schadensvorsorge sorgen sowie eine demokratische Mitbestimmung ermöglichen. Das ist Aufgabe der Politik.

Modelle für die Zusammenarbeit in Unternehmen, der Organisation von Unternehmen und der Gestaltung von Arbeits- und Privatleben obliegen den Unternehmen, den Arbeitnehmern und deren Vertretern. Hier gilt es, auf Basis zeitgemäßer Organisations- und arbeitsorganisatorischer Ansätze individuelle und anpassbare Rahmenvereinbarungen zu entwickeln. Hieraus entsteht für das einzelne Unternehmen eine entscheidende Chance, sich Wettbewerbsvorteile zu erarbeiten. Kommunikationsmittel und Richtlinien für deren Einsatz sind ein Wettbewerbsfaktor. Hygienemaßnahmen im Umgang und Einsatz der einzelnen Lösungen und Instrumente sind ein Erfolgsfaktor.

Vertrauen und Transparenz sind der Weg - nicht Verordnungen oder Gesetze

Vertrauen ist zumeist ein alltagssprachlicher Begriff, der inzwischen praktisch sämtliche Lebensbereiche durchdringt. An dieser Stelle geht es nicht um eine wissenschaftliche oder soziologische Begriffserläuterung; und es ist auch kein Blick in das Handbuch der Arbeits- und Organisationspsychologie notwendig. Vielmehr geht es um das Grundverständnis, dass Vertrauen in unsicheren Situationen die Akteure unterstützt und sie handlungsfähig macht. Im Kern geht es darum, dass Vertrauen die zentrale Grundlage des unternehmerischen Handelns ist.

Dabei wird ökonomischer Erfolg über die Ebenen Wahrnehmung, Einstellung und Verhalten erzielt. Vertrauen führt zu weniger Problemen, reduziert interpersonale Reibung - auch über Hierarchieebenen hinweg - und verstärkt Kooperationen. Voraussetzung ist eine Unternehmenskultur, die auf Transparenz aufbaut. Hierbei geht es nicht um "Sozialromantik". Es darf nicht gescheut werden, zu versuchen, die Wirklichkeit auszusprechen. Es darf aber auch nicht nach dem Leitsatz verfahren werden, dass Misstrauen nicht das Gegenteil von Vertrauen ist und grundsätzlich vom negativen Fall der Unsicherheit ausgegangen wird.

Und eben dieses Vertrauen und diese Transparenz müssen in unternehmensinternen Vereinbarungen als Grundlage vorausgesetzt werden, um dem Ziel aller und dem Schutz aller gerecht zu werden. So gilt es, das Ausnutzen von Mitarbeitern und übermäßige Belästigung einzuschränken. Gleichzeitig gilt es, die Selbstausbeutung und Selbstkasteiung der Mitarbeiter zu verhindern.

Was bleibt?

Wenn der Betriebsrat eines Autobauers heutzutage eine Vereinbarung durchsetzt, wonach die E-Mail-Funktion für Blackberry-Geräte 30 Minuten nach Feierabend abgeschaltet wird, ist es abgesehen davon, dass es sich um einen Treppenwitz der digitalen Geschichte handelt, ein nicht zielführender Ansatz. Es müssen vielmehr ganzheitliche Konzepte für alle Kommunikationsformen und Wege erarbeitet werden, welche den Interessen des Unternehmens gerecht werden und gleichzeitig den einzelnen Menschen schützen.

Wenn Gewerkschaften nach Gesetzen und Verordnungen schreien, handelt es sich um gefährlichen Populismus.

Es klingt heutzutage schon mehr als banal, wenn hervorgehoben wird, dass wir in einer Zeit des schnellen und fundamentalen Wandels leben. Nicht erst seit der massenkonformen Etablierung des Internets, des Zerbrechens (eigentlich) etablierter Wirtschaftsparadigmen und scheinbar unbeherrschbarer Dynamik, stehen herkömmliche Gesellschafts-, Produktions- und Managementsysteme vor einer Zerreißprobe. Interessant an dieser Stelle ist, wie sich der Wandel in unterschiedlichen Bereichen und Systemelementen vollzieht - und wahrgenommen wird. Und ein klein wenig mehr Unbequemlichkeit - auch beim Umgang mit der Wahrheit - könnte uns in Deutschland wirklich guttun: Wir sollten mehr Chancen erarbeiten, statt Türen durch antiquierte Denkmuster zu verschließen. Wir sollten einfach mal machen! (bw)