US-Analysten prophezeien "Unabhängigen" schlechte Zeiten:

IBM auf dem Weg zur Marktdominanz in der Kl

05.02.1988

MÜNCHEN (CW) - Die Kl-Nische hat einigen IBM-Mitbewerbern Gelegenheit gegeben, einmal tief durchzuatmen. In den nächsten Jahren wird sich Big Blue jedoch auch dort zum dominierenden Anbieter entwickeln. Diese Prognose wagte jetzt das Marktforschungsunternehmen New Science Associates, South Norwalk/Connecticut.

Die unabhängigen Anbieter glauben ihre Position gegenüber dem Branchenriesen noch ungefährdet (vergleiche CW Nr. 4 vom 22. Januar 1988, Seite 11: "Nixdorf rechnet sich Chancen in der KI aus"). US-Analysten haben hingegen schon die Grenzen dieses Freiraums ertastet. Bohdan Szuprowicz, Berater bei der Computer Task Group Inc., North Bergen/Minnesota, gegenüber der Computerworld: "Eines der Hauptziele von Big Blue ist es, die Anwender davon abzuhalten, auf DEC-Equipment umzusteigen; also hat sich IBM auf ein ehrgeiziges Programm eingelassen, das sie zum marktbeherrschenden Lieferanten für KI- und Expertensystem-Technik machen soll."

Dieses Feld wurde von der Digital Equipment Corp. bereits ausgiebig beackert. Laut Szuprowicz machte der Hersteller damit im vergangenen Jahr 150 Millionen Dollar Umsatz. Für Manfred Schlüter, KI-Experte bei der Stuttgarter DEC-Niederlassung, stehen die Chancen, sich gegen den DV-Giganten IBM durchzusetzen, "nach wie vor sehr gut". Was DEC der IBM voraushabe, sei vor allem die durchgängige Systemkompatibilität von der "Vaxstation" bis zur "8000".

"Wenn IBM ein Tool baut, dann muß sie es für alle Maschinen, alle Betriebssysteme und alle Sprachen zur Verfügung stellen", kommentiert der DEC-Mitarbeiter die Situation beim Branchenriesen. Ohnehin halte er Expertensystem-Anwendungen auf dem Mainframe für wenig sinnvoll. Diese Programme seien nämlich derart CPU-intensiv, daß der normale Host-Betrieb dadurch empfindlich gestört werde. Schlüter: "Ich glaube nicht, daß sich eine Third-Party finden wird, die Expertensystem-Shells für IBM-Mainframes entwickelt."

Szuprowicz weiß hingegen von einem Abkommen zwischen Big Blue und Intellicorp zu berichten, das die Entwicklung einer IBM-Mainframe-Version für die "KEE"-Shell des Software-Anbieters betreffe. Außerdem würden bereits mehrere hundert Großrechnerkunden über die IBM-Shell "ESE" verfügen; der Hersteller setze derzeit ganze Teams von Knowledge-Engineers ein, um diesen Anwendern bei der Entwicklung strategischer Expertensystem-Anwendungen behilflich zu sein. Dem IBM-internen AK Projects Office werde zudem die ständige Aufmerksamkeit der höchsten Management-Ebenen nachgesagt.

Wie New Science mitteilt, will IBM ihre "ESE"-Shell in "C" neu schreiben, um die Shell leichter in die Mainstream-DV-Systeme einbinden zu können. Außerdem beabsichtige der Branchenriese, in der zweiten Hälfte dieses Jahres eine 386-Version dieses verbesserten "ESE" anzukündigen. Dann, so Szuprowicz, wird der Expertensystem-Markt über Nacht explodieren und Big Blue einen entscheidenden Vorteil über die Konkurrenz erhalten.

Diese Schlappe hätten die unabhängigen Anbieter nach Ansicht der New-Science-Analysten sich selber zuzuschreiben - wegen ihrer mangelhaften Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Endanwender. Für die Entwicklung und den Einsatz kostengünstiger Expertensysteme seien 80386-basierte Mikros geradezu prädestiniert. So würden von geschätzten zwei Millionen 386-Rechnern im laufenden Jahr schon fünf bis zehn Prozent in erster Linie für diesen Zweck gekauft. Anders ausgedrückt: In 60 Prozent aller Fälle werde die für Expertensysteme beschaffte Hardware ein mit dem Intel-Prozessor ausgerüsteter Mikrocomputer sein.

Der DEC-Mitarbeiter Schlüter hingegen hält den Intel-Prozessor wegen seiner relativ geringen Kapazität für wenig geeignet zum Expertensystem-Einsatz: "Es gibt überhaupt keine Möglichkeit, vom 386 nach oben auszuweichen." Außerdem hätte bislang noch kein namhafter Hersteller die Absicht bekundet, Expertensystem-Tools für den Mikrochip zu entwickeln.