Honeywell verpflichtet

16.01.1987

Der französische DV-Multi Bull kommt nicht zur Ruhe: Jacques Chirac will die nationale Computer-Industrie reprivatisieren. Dem drittgrößten europäischen DV-Hersteller macht überdies das rauhe Wettbewerbsklima im Mainframebereich (IBM!) zu schaffen. In ihrer Firmengeschichte ist die heutige Bull-Gruppe freilich mit vielen Marktwidrigkeiten fertig geworden.

Vorwort zu einer CW-Serie von Beate Kneuse im Herbst 1986 unter dem Titel "Bulls Erbe - Die verschlungenen Wege eines europäischen Computerkonzerns".

Stimmungstief bei der deutschen Bull-Tochter: Nach Fusionsgerangel (CW Nr. 50 vom 12. Dezember 1986: "Honeywell auf Rückzugskurs" und dem überraschenden Ausscheiden des Geschäftsführers Franz Scherer (Seite 1) droht die Mannschaft auseinanderzufallen. Der zur Schau gestellte Optimismus trügt. Die Lage ist kritisch.

Nun ist die Compagnie des Machines Bull (CMB) schon des öfteren für tot erklärt worden (siehe oben). Irgendwie hat sich die französische DV-Dame immer wieder aus dem Schlamassel herauslaviert - und stets war eine Geldheirat der Rettungsanker: 1964 Braut des amerikanischen Elektro-Giganten General Electric, 1970 Gattin des Rüstungs- und Regeltechnikmultis Honeywell, 1979 mit Saint-Gobain verbandelt, verstaatlicht im Jahre 1981. Daß sich Bull jetzt gemeinsam mit der japanischen NEC die Honeywell Information Systems (HIS) einverleibt hat, markiert eine Wende im CMB-Fusionsdurcheinander: Hat sich die Großmama endlich emanzipiert? Jacques Stern, Chef in der Pariser Konzernzentrale, wertet den Deal denn auch als Erfolg, der den Franzosen späte Satisfaktion im DV-Markt verschafft: Jetzt seien sie nicht mehr die Bittsteller, abhängig von amerikanischer Computertechnologie (erst GE, dann Honeywell).

Der Verkauf des HIS-Bereichs an die Franzosen hat das Honeywell-Kapitel nur scheinbar beendet. Die großen Mainframekunden in Amerika fühlen sich als "Honeyweller". Dazu ist relevant, daß Honeywell Ende der sechziger Jahre mit der Serie H200/2000 einen Machtfaktor darstellte, zum "IBM-Schreck" avancierte. Der Unterschied zwischen Big Blue und Honeywell lag darin, daß der eine Anbieter marketingorientiert, der andere technikorientiert war. Das zahlte sich für Bull in Europa aus - Stern wäre gut beraten, dies nicht zu leugnen.

Andererseits ist es eine Tatsache, daß HIS in den vergangenen Jahren gerade die technische Entwicklung vernachlässigt hat, was zu einem Abbröckeln der Kundenbasis führte. So mancher ehemals treue Honeywell-Anwender wechselte ins sichere IBM-Lager über. Insofern hat Stern recht, wenn er von einer Mit-dem-Rücken-zur-Wand-Position spricht, von der aus nunmehr eine Gegenoffensive gestartet werden soll.

Doch mit welchen Waffen, sprich: Systemen, könnte der Kampf geführt werden? Noch verwaltet Bull ja das HIS-Erbe. "Honeywell", als Aussteigermarke, belastet zwar - verpflichtet aber auch (siehe "lBM-Schreck"). Und Stern kann nicht behaupten, er habe ein Patentrezept: Die Nachfrage ist nicht da - und Fusionsmathematik kann den Markt nicht ersetzen. Bull steckt in einem Dilemma. Aber vielleicht gibt es eine "Stern"-Stunde: In ihrer Firmengeschichte, so hieß es doch in der CW-Serie, ist die heutige Bull-Gruppe mit vielen Marktwidrigkeiten fertig geworden. Auch diesmal?