Der Einsatz von Mobiltelefonen in Firmen verlangt Planung

Handy mausert sich zum sinnvollen Werkzeug

07.07.2000
LONDON (sra) - Wie der von IBC in London veranstaltete Kongress "Corporate Access to Mobile Intranet" vor Augen führte, kann die Integration von Mobiltelefonen mit dem Unternehmensnetz an verschiedenen Hürden scheitern. Vor allem im Vorfeld sind grundsätzliche Überlegungen nötig.

Die Frage nach dem Handy als Arbeitsmittel für die Mitarbeiter lässt sich nicht generell mit einem Ja oder Nein beantworten. So eignen sich manche Branchen eher dafür als andere. Cindy Dahm, Marketing Director bei Phonecom, identifiziert vor allem Gesundheitswesen, Transport, Telekommunikation, öffentliche Dienstleister, Pharmakonzerne, Finanzwesen und Sicherheitsdienste als Märkte mit mobilen Mitarbeitern.

Im Gesundheitswesen kann das Mobiltelefon sogar Leben retten, wie das Beispiel des University Hospital Aintree in der Nähe von Liverpool zeigt (siehe Kasten "Mobilfunk in der Praxis"). Doch nicht nur das Gesundheitswesen ist auf Handys angewiesen, auch Kurierdienste wie UPS oder Federal Express statten ihre Boten damit aus. Per Push-Dienst kann die Zentrale den Fahrern den nächsten Ort mitteilen, den sie ansteuern sollen. Die Kuriere bestätigen den Empfang oder die Auslieferung von Briefen oder Paketen per Handy. Die Software versieht sie automatisch mit Zeit- und Datumsstempel. Ähnliche Lösungen gibt es auch für Essenbringdienste. Die Mobiltelefone arbeiten eng mit der zentralen Unternehmens-DV zusammen. Das Inhouse-System ist für das Flotten-Management zuständig und stellt Kunden grundlegende Tracking-Informationen (Wo ist der Fahrer jetzt?) zur Verfügung. Kurierdienste können unvorhergesehene Lieferungen dadurch einfacher in die weitere Planung einbeziehen und einen besseren Kundendienst bieten.

Wenn Unternehmen auf eine schnelle Kommunikation angewiesen sind, brauchen die Mitarbeiter Mobiltelefone. Verfügt die Firma zudem über zeitkritische Daten, favorisiert Phonecom-Managerin Dahm heute schon das Wireless Application Protocol (WAP). Sollten darüber hinaus noch Kundenkontakte bestehen oder die Benutzer wenig oder gar kein technisches Know-how mitbringen, wären das ihrer Meinung nach weitere Gründe für eine solche Entscheidung.

Als mobile Internet-Anwendungen stehen in Unternehmen besonders E-Mail, Kalender, Intranet-Informationen, E-Commerce und Videos hoch im Kurs. Von wachsender Bedeutung sind lokale Dienste. Dabei kann es sich um die Gelben Seiten für einen Ort ebenso handeln wie um Verkehrsinformationen, umliegende Restaurants, Reservierungen für Flüge oder Veranstaltungen. Um Mehrwert zu bieten, sollten die Informationen dann nach Entfernung vom Standort des Benutzers geordnet, also etwa die am schnellsten zu erreichenden Restaurants zuerst aufgelistet sein.

Im Prinzip setzt nur die Phantasie und die verfügbare Bandbreite den Anwendungen Grenzen. Für breitbandigen Mobilfunk der dritten Generation (Universal Mobie Telecommunications System = UMTS) zum Beispiel wäre denkbar, dass verirrte Wanderer über ihr Endgerät ein Bild ihres Aufenthaltsort übertragen und im Gegenzug eine Karte der Umgebung zur Orientierungshilfe erhalten.

Oder dass jemand beim Einsteigen in einen Zug automatisch eincheckt und der zu zahlende Betrag beim Verlassen abgebucht wird (bargeldloses Ticket). Im Unternehmensumfeld könnte etwa ein Call-Center-Supervisor via WAP-Handy Informationen über die Auslastung des Telefonzentrums abrufen. Künftig werden sich wohl auch immer mehr Anwender mit Mobiltelefonen, persönlichen digitalen Assistenten (PDAs) oder Laptops über ein drahtloses Virtual Private Network (VPN) ins Unternehmensnetz einwählen. Neben diesen mehr oder weniger praktikabel erscheinenden Vorschlägen gibt es aber auch abstrusere Ideen wie etwa folgende: Wer einer bestimmten Person lieber aus dem Weg gehen möchte, könnte sich auf dem Handy auch die aktuelle Entfernung von diesem Menschen anzeigen lassen - auf Neudeutsch heißt diese Erfindung übrigens Mother-in-law-Tracker.

Unabhängig von den Applikationen stehen die Anwender vor der Frage, welcher Technologie sie den Vorzug geben sollen: Ob sie jetzt gleich mit WAP auf den Zug aufspringen oder auf die Standards General Packet Radio Service (GPRS) oder gar UMTS warten sollen. Generell zeichnet sich ab, dass GPRS für die Endkunden im Zweifel doch die interessanteste Lösung sein könnte. WAP kämpft noch mit Kinderkrankheiten und bietet nur eine geringe Bandbreite, bei UMTS dagegen könnten aufgrund der hohen Kosten für die Ersteigerung der Frequenzen die Preise für die Endbenutzer explodieren.

Vor zu viel Euphorie bezüglich UMTS warnt auch Bruce Akhurst, Head of Strategy and Planning bei One 2 One: Den Carriern fehle schlicht die Bandbreite. Daran ändere auch UMTS nicht viel. "Wenn heute jemand mit geschäftlichen Nutzern mobiler Sprachdienste gut im Geschäft ist, wird er wahrscheinlich weniger Kapazität für GPRS-Datendienste haben", fürchtet er. Akhurst empfiehlt Kunden daher, auf jeden Fall zu fragen, ob ihnen die versprochene Bandbreite dediziert zur Verfügung steht oder ob sie sie mit anderen teilen müssen.

Eine weitere Falle birgt die sich ändernde Preisstruktur. Laut Ovum wird künftig nicht mehr pro Minute abgerechnet, sondern pro übertragenes Datenpaket. Für den Netzwerk-Manager bedeutet das einen höheren Messaufwand. Zwar rechnet der Betreiber nach genutzter Kapazität ab, doch der Manager muss im Unternehmen kontrollieren, ob die Rechnung stimmt und wo Engpässe waren, sonst könnte die Firma auch ein Dienst mit niedriger Bandbreite teuer zu stehen kommen.

Über die mobilfunkspezifischen Probleme hinweg sollte der Anwender die traditionellen Aspekte der Unternehmens-DV nicht vernachlässigen. An die Sicherheit werden hier dieselben Ansprüche gestellt wie am Arbeitsplatz. Authentisierung und Verschlüsselung sind daher ein Muss. Weiterhin sollte der Benutzer Service-Level-Agreements (SLAs) über die Netzverfügbarkeit mit den Mobilfunkprovidern schließen, um keine unliebsamen Überraschungen zu erleben. Eine kontinuierliche Verbindung in beide Richtungen sowie Push und Pull stellen den Informationsfluss sicher. Positive und negative Bestätigungen sollten möglich sein. Auf die Robustheit der Terminals, eine einheitliche Rechnung und Rund-um-die-Uhr-Support sollte der Anwender auch achten.

Besondere Schwierigkeiten bereitet die Synchronisation der Daten auf verschiedenen Geräten. Dafür gibt es bisher nur proprietäre Protokolle. Abhilfe verspricht die offene Industriespezifikation Sync ML. Diese von Nokia, Ericsson, IBM, Lotus, Motorola, Palm, Psion und Starfish Software ins Leben gerufene Spezifikation soll einen Datenabgleich zwischen allen Geräten, Anwendungen und in allen Netzen ermöglichen - auch remote. Selbst wenn der Benutzer nicht am Platz ist, hat er Zugriff auf Terminplaner und Unternehmens-E-Mail. Sync ML basiert auf XML. Nach der ersten Präsentation im Februar dieses Jahres soll im Juli eine Alpha-Version von Sync ML 1.0 fertig werden, die endgültige Ausführung wird für Ende des Jahres erwartet. Mit ersten Produkten rechnen Experten Anfang 2001.

Weniger kritisch ist dagegen die Implementierung eines mobilen Intranet. Meist ist es lediglich erforderlich, zusätzliche Software auf dem Web-Server aufzuspielen. An den Messaging-Systemen, Verzeichnissen und Datenbanken ändert sich nichts. Wer auf Features wie automatisches Backup, remote Installation von Anwendungen und Fernkonfiguration auch im mobilen Teil des Intranet Wert legt, muss zusätzlich einen Synchronisations- und Management-Server einrichten.

Für Unternehmenskunden empfiehlt es sich, intern "Corporate GSM" - das kann Digital European Cordless Telecommunication (Dect) oder GSM sein - einzuführen: Die Integration der mobilen Komponenten mit dem LAN und der Nebenstellenanlage (Private Branch Exchange = PBX) macht PBX-Features auch auf den Mobiltelefonen verfügbar und senkt die Kosten. In der Praxis hat das zudem den Vorzug, dass ein Teilnehmer immer unter derselben Telefonnummer erreichbar ist. Bewegen sich die Mitarbeiter auch außerhalb des Unternehmens, verbindet sich die Lösung extern mit dem öffentlichen GSM-Netz und intern mit dem Corporate GSM.

Mobilfunk in der Praxis"Oft geht es buchstäblich um Leben und Tod", betont Jim Laird, IT Services Manager am University Hospital Aintree in der Nähe von Liverpool, einem Krankenhaus mit knapp 1250 Betten und 4000 Mitarbeitern. Die Ärzte sind in der Regel im Krankenhaus unterwegs. Tritt ein Notfall auf, müssen sie erreichbar sein. Früher gab es eine Leiste bunter Lämpchen, an der das Personal ablesen konnte, wer gerade gebraucht wurde. Ansonsten mussten die Gesuchten öffentlich ausgerufen werden. 1955 führte das Hospital dann die ersten Paging-Systeme ("Piepser") ein. Die Pager funktionieren allerdings nur in einer Richtung und lassen sich nicht so einfach in das Telefonsystem integrieren.

Die ersten portablen Telefone schieden als Alternative aus. Die geringe Reichweite von Dect treibt die Kosten für eine Implementierung an einem großen Standort wie Aintree in die Höhe: "Wir hätten 40 Basisstationen gebraucht. Das konnten wir uns nicht leisten", argumentiert Laird.

Viele Einsätze von Klinikpersonal finden außerhalb des Krankenhausgeländes statt. Für Hausbesuche setzt das Hospital Aintree Wide-Area-Pager, Sprechfunk oder Mobiltelefone ein. "Handys sind zwar die beste, aber auch die teuerste Lösung", wertet Laird. Sie haben etwa den Vorteil, dass sie sich gut interdisziplinär nutzen lassen. Das Krankenhauspersonal kann sich also nicht nur untereinander anfunken. Textnachrichten und Voice-Mail reißen den Arzt zudem nicht aus der Behandlung eines Patienten wie ein Anruf. Auch hier könnten Fehler des Arztes tödlich sein.

Allerdings haben all diese Geräte auch ein großes Manko: Es besteht die Gefahr, dass Mobiltelefone medizinische Geräte stören (Interferenzproblem). Das Risiko ist proportional zur Energieabstrahlung, hängt aber auch von der Frequenz ab. Entsprechend hat der Sprechfunk das höchste Störpotenzial, Dect das niedrigste, und GSM liegt dazwischen. Viele Krankenhäuser verbieten daher Mobiltelefone und Sprechfunk generell. Nicht so Laird: "Bei uns sind sie nur in einigen Abteilungen nicht zugelassen, etwa auf der Intensivstation."

Abb.1: Infrastruktur

Wenig kritisch ist die Implementierung eines mobilen Intranet aus technischer Sicht. Quelle: IBC

Abb.2: Top services by demand

Das Messaging bleibt auf lange Sicht eines der wichtigsten mobilen Dienste. Quelle: IBC