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Green Cards überbrücken Personalnot nur kurzfristig

13.03.2000
Streit um Arbeitserlaubnis für ausländische IT-Profis

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Wären morgen Wahlen, hätte Bundeskanzler Gerhard Schröder wohl einen Bonus bei der Wirtschaft. Sein öffentlichkeits-wirksames Versprechen, politisch den Weg frei zu machen für ausländische Spitzenkräfte aus Nicht-EU-Ländern, findet großen Anklang bei den IT-Unternehmen.

Eigentlich warten alle ungeduldig darauf, dass endlich etwas passiert: "Es ist kein Geheimnis, dass die IT-Branche händeringend hochqualifizierten Nachwuchs sucht. Dieser Bedarf kann nicht nur auf den lokalen Arbeitsmärkten gedeckt werden kann. Somit begrüßen wir grundsätzlich den Vorschlag, eine Green Card einzuführen", lautet der wohlwollende Kommentar von Norbert Bensel, Personalvorstand bei der Debis AG in Berlin. Neben der Erwartung, über die Lockerung der Arbeitsgenehmigung vakante Posten mit hochkarätigen ausländischen Experten besetzen zu können, haben die Wirtschaftsvertreter aber noch etwas anderes im Blick: Es geht darum, den Weg für die Globalisierung zu ebnen und die bestehenden politischen Hindernisse zu beseitigen. "Aus der Sicht einer globalisierten Wirtschaft ist eine generelle Liberalisierung des Arbeitsmarktes wünschenswert und sogar erforderlich", bringt Bensel die Erwartungen zum Ausdruck.

Die nationalstaatlichen Grenzen behindern die Unternehmen darin, schnell und unbürokratisch ihren Mitarbeiterbedarf zu decken. Sogar die Einstellung einer polnischen Studentin von der nur 80 Kilometer entfernten Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder dauerte "vier Wochen, um die Aufenthaltsgenehmigung für Berlin und die Arbeitserlaubnis zu erhalten", nennt Bensel ein Beispiel.

Der Bundeskanzler hat also keinen neuen Vorschlag unterbreitet, sondern als Politiker mit Gespür für die richtigen Trends das Thema von der IT-Industrie, genauer gesagt von den Mitgliedern der D21-Initiative wie IBM-Chef Erwin Staudt, aufgegriffen und in die politische Diskussion geworfen. Die Wirtschaft hofft jetzt, dass mehr Bewegung in den internationalen Arbeitskräftemarkt kommt. Doch an eine wundersame Lösung des Personalproblems, wie viele Statements infolge des Schröderschen Vorstoßes nahe legten, glaubt keiner der Wirtschaftsakteure ernsthaft. Vielmehr erhoffen sich die Unternehmen kurzfristige Linderung. "Mit der Green Card könnte unsere Branche zumindest die nächsten zwei bis drei Jahre überwintern, bis die Ausbildungsoffensive und das verstärkte Werben für das Informatikstudium greifen", ist Menno Harms, Chef von HP Deutschland, überzeugt. Die strukturellen Probleme der deutschen IT-Industrie löse die Green Card aber nicht,

erklärt auch Heinrich Mayr, Präsident der Gesellschaft für Informatik. Der Fachkräftemangel führe in der Softwareentwicklung dazu, dass häufig veraltete Methoden angewendet und unflexible, wartungsintensive Systeme konstruiert würden. Das verursache nicht nur Kosten, sondern binde auch Personal, das dringend für die Erschließung neuer Geschäftsfelder benötigt würde.

Es gilt, die klaffenden Löcher zu stopfen und Unterstützung für die überlasteten IT-Abteilungen herbeizuschaffen - diese Ansicht vertritt auch Michael Steinacker, Personalberater bei der Darmstädter Corporate Consult Neue Medien. Seine Firma hat für die deutsche Niederlassung der britischen Colt Telecom die Fühler in die Volksrepublik China ausgestreckt. "Unser Auftraggeber konnte trotz intensiver Suche keine geeigneten DV- und Telekommunikationsspezialisten in Deutschland und den europäischen Nachbarländern unter Vertrag nehmen." Mit Hilfe eines chinesischen Mitarbeiters in Deutschland traten Steinacker und seine Kollegen dann den Gang durch die chinesischen und deutschen Institutionen an.

Ergebnis der monatelangen Such- und Verhandlungsaktivitäten: Nach 40 Interviews mit möglichen Kandidaten nahmen die deutschen Headhunter vier chinesische Informatiker unter Vertrag. Ab April werden die Experten für Internet- und Intranet sowie für Datenbanken für zwei Jahre lang bei Colt Telecom in Frankfurt am Main arbeiten, und zwar vorwiegend in der Programmierung. "Das entlastet die IT-Manager, die sich dann verstärkt ihren strategischen Aufgaben zuwenden können", ist Steinacker zuversichtlich. Dass die neu unter Vertrag genommenen Chinesen auch als Projektleiter oder Berater beim Kunden eingesetzt werden würden, davon geht der Personalexperte nicht aus. Schon aufgrund der sprachlichen und kulturellen Barrieren hält er das nicht für sinnvoll.

"Die Green-Card-Regelung würde unsere Personalprobleme nicht lösen. Wir suchen hier vor Ort Leute, die genau unseren Anforderungen entsprechen", dämpft denn auch Thomas Becker, Sprecher des Bad Homburger IT-Beratungsunternehmens Cap Gemini, die Erwartungen. Die Nachfrage bei den IT-Unternehmen aber zeigt: Der exorbitante Mangel an IT- und TK-Experten macht sich vor allem bei der Besetzung von Projektleiterstellen und dort besonders in der Kundenbetreuung bemerkbar. Gefragt sind hochqualifizierte Technologie- und Strategieberater - lautet unisono die Auskunft bei Andersen Consulting, Siemens, Debis oder der Brokat Infosystems AG in Stuttgart. Solche hochkarätigen Bewerber zieht es aber nicht unbedingt nach Deutschland, sagt Brokat-Sprecher Reiner Jung: "Dass Spezialisten oder Führungskräfte aus Asien oder den USA nicht hierher kommen, liegt nicht nur an bürokratischen Hemmnissen, sondern auch an den hohen Steuern und Sozialabgaben. Obendrein gibt es auch noch

Ausübungshürden bei der Vergabe von Aktienoptionen."

Die Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit (BA) belegen diese Einschätzung: Laut BA-Sprecherin Gisela Steltzer wurden die im Rahmen von Sonderabkommen geregelten zusätzlichen Arbeitskräftekontingente weder von den deutschen Firmen noch von den ausländischen IT-Experten ausgeschöpft. Ein Abkommen mit Ungarn sieht zum Beispiel vor, dass 200 bis 300 IT-Spezialisten innerhalb eines Jahres nach Deutschland kommen dürfen. Pro Monat gab es aber gerade einmal fünf Anfragen.