Alexandre Julliard erläutert ein Open-Source-Projekt

Gratis-Wine statt teurem Windows

11.01.2002
MÜNCHEN (ls) - Der Emulator "Wine", ein kostenloses Open-Source-Produkt, gaukelt Windows-Programmen vor, auf einem Microsoft-Betriebssystem statt auf Linux zu laufen. Allerdings weist Projektleiter Alexandre Julliard im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE auf Einschränkungen hin.

Wine ist das Open-Source-Projekt, das scheinbar die geringsten Fortschritte von allen gemacht hat. Es begann 1993 auf Anregung von Bob Amstadt, der ein Jahr darauf die Projektleitung an den Schweizer Alexandre Julliard übergab. 300 Entwickler haben mittlerweile an dem Versuch mitgearbeitet, einen Emulator zu schreiben, der Anwendungen für die Windows-Systeme 3x, 95, 98, NT und 2000 auf Linux zum Laufen bringt. 30 Personen bilden ein stabiles Kernteam. Über 650000 Programmierzeilen sind geschrieben. Und doch lässt nach jetzt acht Jahren Arbeit Version 1.0 immer noch auf sich warten.

Unfertig - aber viel verwendet"Wir sind immer noch im Pre-Release-Stadium", erklärt Julliard, ohne ein Zeichen von Enttäuschung. "Wir werden vorerst nur Entwicklerversionen herausbringen" - erkennbar an ihrer Datumsnummerierung nach dem Schema JJJJ.MM.TT. Eine Version 1.0 soll erst dann erscheinen, "wenn wir garantieren können, dass man die wichtigsten Windows-Applikationen problemlos über Wine nutzen kann".

Obwohl Wine noch unfertig ist, gibt es zahlreiche Anwender. Über 90000 User, so schätzt Julliard, dürften Wine ständig verwenden. Wie viele es wirklich sind, ist nicht genau zu ermitteln. Das Programm gehört zum Lieferumfang mehrerer Linux-Distribution. Und es funktioniert mit einer Menge Windows-Anwendungen (siehe CW 45/01, Seite 18).

Codeweavers, ein auf Services, Beratung und Portierung für Wine spezialisiertes Unternehmen (www.codeweavers.com), führt in einer Anwendungsdatenbank (http://appdb.codeweavers.com/appbrowse.php) 428 Windows-Programme auf, die mit Wine auf Linux getestet wurden. Nicht alle von ihnen sind lauffähig, bei vielen traten zum Teil gravierende Probleme auf. Spitzenreiter ist die Kategorie "Games" mit 144 Einträgen, darunter wohl sämtliche der beliebtesten PC-Spiele aller Zeiten.

Das heißt allerdings nicht, dass Wine nur etwas für verspielte Linux-Privatanwender ist. Bei der Mehrzahl der aufgeführten Anwendungen handelt es sich um - zumindest auch - für Unternehmen interessante Programme. Dazu gehören wichtige Office-Pakete, Multimedia-Software, wissenschaftliche Anwendungen, Programmier-Tools und Utilities sowie Netz- und Kommunikationssysteme.

Anwender sollten erst einmal testen"So ist das eben in einem Open-Source-Projekt", erklärt Julliard, "jeder konzentriert sich auf die Anwendungen, die er verwenden möchte." Entwicklungsdirektiven gibt er nicht. "In der Windows-Welt wichtige Anwendungen wie Microsofts Office haben für uns nicht unbedingt den gleichen Stellenwert, weil es dazu hinreichende Open-Source-Alternativen gibt. Bestimmte Spiele können interessanter sein."

Gleichwohl vollzieht sich die Weiterentwicklung von Wine nicht ganz spontan. Das liegt insbesondere an der Firma Codeweavers, die sich mit ihrem Angebot an Firmenkunden richtet. Sie ist Entwickler oder Initiator von Wine-Anpassungen für bestimmte Anwendungen, die Unternehmen brauchen. Und sie beschäftigt einige Mitglieder aus dem Core-Team des Wine-Projekts, darunter auch Julliard.

Anwender sollten jedoch nicht davon ausgehen, dass Windows-Programme - selbst getestete - in jedem Fall problemlos unter Linux laufen, geschweige denn, über Codeweavers und die Projektbeteiligten jederzeit Hilfe zu bekommen. Julliard warnt: "Man muss die Anwendungen jeweils - und auch im Zusammenspiel mit anderen - testen und im Problemfall Fehler in Wine beheben."

Die IT-Spezialisten in Unternehmen könnten also unter Umständen vor erheblichem Programmieraufwand stehen. Und sie dürfen dabei nicht mit Support von den Herstellern der Windows-Programme rechnen. Deren Leistungen beschränken sich nämlich ausschließlich auf Probleme, die in Windows-Umgebungen auftreten.

Angesichts solcher Einschränkungen stellt sich die Frage, ob es nicht besser ist, gegebenenfalls gleich auf direkte Alternativprogramme für Linux umzusteigen. In der Tat empfiehlt auch Julliard diese Strategie, wo es eben möglich ist: "Der Trend geht langfristig sicher zu alternativen Linux-Anwendungen. Unser Ziel besteht nicht darin, eine Umgebung zu entwickeln, so dass man unter Linux wie unter Windows arbeiten kann. Wir wollen, dass die Leute Linux-Alternativen wie KDE oder KOffice verwenden."

Doch damit wird an Linux interessierten Unternehmen nicht immer geholfen sein. Julliard umreißt das Motiv für das Wine-Projekt so: "Jedes Unternehmen hat einige Windows-Anwendungen, für die es keine Linux-Alternative gibt und in absehbarer Zeit geben wird, die es aber in jedem Fall weiter nutzen möchte. Da soll Wine helfen."

Manchmal ist Wine eine Hilfe, in Unternehmen übliche Windows-Programme, für die es keine hinreichend guten Linux-Alternativen gibt, auch in der Open-Source-Umgebung weiter verwenden zu können. So funktionieren der Groupware-Client "Lotus Notes R5" oder das Multimedia-Entwicklungssystem "Director" über Wine einwandfrei. Zu vielen anderen Programmen finden sich in der Wine-Anwendungsdatenbank Hinweise, welche Einstellungen zu beachten sind, bevor sie laufen. Das gilt beispielsweise für "Visual Basic" und "Pagemaker". Pech hat, wer partout nicht auf die großen Microsoft-Office-Programme, auf "Quark Xpress", "Photoshop" oder "Auto-CAD" verzichten kann. Hier bietet Wine keinen Ausweg - "noch nicht", sagt Julliard.

Plus/Minus Wine+ Kostenlos,

+ keine Windows-Lizenz nötig,

+ schnellster Windows-Emulator,

+ gute Einbindung in Linux-Benutzeroberflächen wie KDE oder Gnome.

- Nicht 100-prozentig Windows-kompatibel,

- umfangreiche Tests notwendig,

- kann Programmieraufwand erfordern,

- kaum Support im Problemfall.

Alternativen zu WineZurzeit gibt es zwei konkurrierende Produkte zu Wine, "VM Ware" und "Win4Lin". Anders als die Open-Source-Lösung täuschen sie Anwendungen nicht vor, Windows zu sein. Es handelt sich also um keine Emulatoren, keinen Ersatz für das Microsoft-System. Vielmehr stellen sie solchen Programmen neben Linux über eine virtuelle Maschine einen Zugang zu einem echten Windows-Betriebssystem auf ein und demselben Rechner zur Verfügung. Demzufolge ist in diesen beiden Fällen eine lizenzierte Windows-Version nötig, was den Preisvorteil einer Linux-Migration zunichte macht. Anders als Wine sind seine Konkurrenten dadurch 100-prozentig Windows-kompatibel - auch was die Microsoft-typischen Fehler und Blue Screens angeht.

VM Ware Inc. (www.vmware.com) vertreibt sein Produkt in der aktuellen Version als "VM Ware Workstation 3.0". Es ist geeignet für alle Windows-Varianten von Windows 3.x bis XP. Für passable Performance sollte man über gute PC-Hardware in Sachen CPU-Geschwindigkeit und RAM verfügen. Bei der Nürnberger Suse Linux AG kostet eine Lizenz pro Arbeitsplatz einmalig 729 Mark.

Win4Lin kommt von der Netraverse Inc. aus Austin, Texas (www.netraverse.com). Das Produkt gibt es als Einzelplatzlösung in Version 3 oder als Server-Edition in Version 1.0. Seine virtuelle Maschine ist für Windows-95/98/2000-Programme optimiert und ohne Hardwareerweiterungen sehr schnell. Die Desktop-Version auf CD-ROM kostet 90 Dollar. Der Preis der Server-Variante ist abhängig von der Größe der zu unterstützenden Client-Umgebung.

Anfang nächsten Jahres soll ein neues Windows-verträgliches Linux auf den Markt kommen: "Lindows". Der Hersteller Lindows.com Inc. verspricht für 99 Dollar ein Linux, auf dem auch Windows-Programme ohne Microsoft-Lizenz laufen sollen. Allerdings sind die auf der Website www.lindows.com präsentierten Informationen so dürftig, dass Vorsicht angebracht ist.