Fachliteratur/Verschmelzung von Kultur und Technik

Grafische Oberflächen prägen Verhalten und Werte

17.12.1999
von Inge Steutzger* Unter kulturkritischem Vorzeichen will der Autor beleuchten, inwiefern die Interface Culture den Gegensatz zwischen Kultur und Technik nivelliert. Modernes Design von Benutzer-Schnittstellen, so Johnson, vereint beide Komponenten. Besonders die in grafischen Oberflächen genutzten Metaphern prägen das Verhalten der Anwender und haben einen größeren Einfluß auf Kulturtechniken als die meisten anderen Erfindungen der IT-Industrie.

Nach Einschätzung des Autors besteht die Macht des modernen Computers in seiner "Fähigkeit zur Selbstdarstellung". Das geschieht mit Hilfe von "visuellen Metaphern", beispielsweise dem Desktop, Fenstern oder Links, die er als "Redensarten" der grafischen Benutzeroberfläche bezeichnet.

Johnsons Ausflug in die Steinzeit des Graphical User Interface (GUI) ist spannend: Hartgesottene Techniker hängen bis heute an der Befehlszeile: "Richtige Männer arbeiten nicht mit Windows." Icons auf einem Desktop wurden als Spielszeug abgetan, ihre Bedeutung lange verkannt. Der Übergang von Kommandos zu GUIs erhöhte aber die Benutzerfreundlichkeit, weil Anwender durch einfache Mausklicks auf Fenster den Computer zu Aktionen veranlassen konnten.

Johnson stellt die diversen Varianten des GUI den Werken aus der abendländischen Kulturgeschichte gegenüber. Dabei betont er dessen räumliche Komponente und vergleicht es mit Stadtplanung und Architektur. Wie der Städteplaner entscheidet sich auch der Interface-Designer mit seiner Gestaltung für bestimmte Werte.

Ein Beispiel dafür ist die Orientierung mittels Fenstersystemen, den Zugängen zum Informationsraum. Wichtiger als die räumliche Komponente ist nach Johnson aber der Text: Der Nutzer organisiert seine Fenster und seine Ordner über Geschriebenes, indem er ihnen Namen gibt.

Ein modernes Interface möchte insbesondere Komplexität reduzieren. Das sollen vor allem Links zuwege bringen. Diese Verbindungen oder Verknüpfungen vergleicht Johnson mit dem Bewußtseinstrom oder Gedankenassoziationen, wie sie auch in der Romanliteratur vorkommen. Die kühne Analogie zu den Romanen von Charles Dickens erscheint allerdings reichlich weit hergeholt, wenn Johnson behauptet: "Wo Dickens erzählende Links noch das zerissene Gewebe der Industriegesellchaft zusammenflickten, versuchen die Hypertext-Links von heute das gleiche mit Informationen." Statt Ordung zu erzeugen, führt uns Dickens ja gerade den Pluralismus des sozialen Panoramas vor.

Johnson macht Vorschläge für einen verbesserten Umgang mit Hypertext, und verweist auf sein Online-Magazin. Er fungiert nämlich als Herausgeber von "Feed". Seiner Meinung nach werden nichtlineare Lesegewohnheiten im Internet zunehmen.

Das Buch ist verständlich geschrieben und wendet sich auch an Laien. Die Analogien zur Kulturgeschichte allerdings erscheinen oft allzu beliebig verwirrend.

Stephen Johnson: Interface Culture: Wie neue Technologien Kreativität und Kommunikation verändern. Stuttgart: Klett-Cotta 1999. 296 Seiten, 39,80 Mark.

*Inge Steutzger arbeitet als freie Autorin in München.