Intranet/Integrierte Vorgangsbearbeitung im Intranet

Gothaer Credit: Mehr Nutzen als bunte Web-Seiten

30.08.1996

Intranets gewinnen an Bedeutung. Durch die Verwendung offener Standards wie HTML, HTTP, SMTP oder TCP/IP ist mit ihnen beispielsweise ein unkomplizierter und preiswerter Informationsaustausch mit externen Geschäftspartnern möglich. Speziell solche Systeme werden gelegentlich auch als "Extranets" bezeichnet.

Eine diesbezüglich richtungsweisende Business-Applikation wird derzeit von der Gothaer Credit Versicherung AG in Köln eingeführt. Die Gothaer Credit ist ein Unternehmen, das seine Kunden (Versicherungsnehmer) unter anderem gegen Forderungsausfälle versichert. Voraussetzung hierfür ist, daß der einzelne Versicherungsnehmer angibt, bis zu welcher maximalen Forderungshöhe (Limit) ein bestimmtes Risiko (das ist der Kunde des Versicherungsnehmers) versichert werden soll.

Dies erfolgt über sogenannte Kreditanträge, von denen täglich zirka 400 bis 500 eingehen. Die Gothaer Credit prüft daraufhin die Bonität des zu versichernden Risikos und trifft eine Kreditentscheidung (zum Beispiel Limitzusage, Limitablehnung, Teilzeichnung). Grundlage für diese Kreditentscheidung bilden unterschiedliche Informationsquellen (eigene Datenbestände, Handelsauskünfte, Bankauskünfte etc.). DV-technisch werden die Kreditentscheider durch entsprechende Datenbank- und Entscheidungssysteme unterstützt.

Das Ziel der Gothaer Credit ist es, die interne Kreditantragsbearbeitung stärker zu automatisieren und zu beschleunigen. Versicherungsnehmer sollen zukünftig die Möglichkeit erhalten, Kreditanträge online via Bildschirm zu stellen. Durch Anbindung an die operativen Datenbestände der Gothaer Credit und unter Einbeziehung der vorhandenen Entscheidungssysteme kann dann ein Großteil der Kreditanträge vom System sofort und ohne jeden manuellen Eingriff bearbeitet werden. Außerdem erhält der Anwender die Gelegenheit, Informationen, beispielsweise über den bestehenden Versicherungsschutz, aktuell abzufragen.

Anträge, die das System aufgrund unsicherer Bonitätsfaktoren nicht online entscheiden kann, werden mittels eines elektronischen (Wieder-)Vorlagesystems automatisch an den zuständigen Kreditentscheider geleitet und von dort aus manuell weiterbearbeitet. Der Antragsteller erhält in diesem Fall seine Kreditmitteilung, je nach Komplexität der Sachlage, ein bis zwei Tage später per Fax oder Mailbox.

Bei der technischen Konzeption des Gesamtsystems wurden einige generelle Anforderungen berücksichtigt. Beispielsweise dürfen weder auf seiten des Versicherungsnehmers noch auf Seite der Gothaer Credit technisch und finanzell hohe Aufwände für die Inbetriebnahme und Nutzung der Anwendung entstehen.

Gleichzeitig muß die Anwendung aber für die heterogene Hardware- und Betriebssystem-Struktur verschiedener Kunden ausgelegt sein. Die Sicherheit der zu übertragenden Daten und vor allem der Daten bei der Gothaer Credit ist zu garantieren. Darüber hinaus soll die Anwendung zeitgemäß (grafische Benutzeroberfläche) und zukunftssicher (das heißt vor allem flexibel im Ausbau) sein, damit sie insbesondere auch als Argument zur Kundenbindung und Neuakquisition dient.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, wurde eine Systemarchitektur gewählt, die sich im wesentlichen aus Soft- und Hardwarekomponenten des Internet zusammensetzt.

Der hardwaretechnische Anschluß der Versicherungsnehmer an die Gothaer Credit wird hierbei über das flächendeckende Netzwerk eines privaten Telekommunikationsunternehmens (Netzwerk-Provider) realisiert. Einen Überblick dazu gibt Abbildung 1.

Die Versicherungsnehmer wählen sich über eine bundesweit einheitliche Rufnummer in dieses Netzwerk ein und werden automatisch bis zur Gothaer Credit weitergeleitet. Alle Einwahlknoten unterstützen 64-Kbit/s-ISDN-Verbindungen oder analoge Wählleitungen per Modem. Allein in Deutschland stehen den Versicherungsnehmern insgesamt 600 solcher Einwahlknoten zur Verfügung. Durch entsprechende Partnerunternehmen des Netzwerk- Providers ist aber auch ein internationaler Zugang zum Netzwerk sichergestellt.

Die Gothaer Credit wird über eine 64-Kbit/s-ISDN-Standleitung an das Netzwerk angeschlossen. Für die Verbindung zum LAN kommt ein Router vom Typ Cisco 2504 IP zum Einsatz. Das hierin integrierte S0-Interface wird für Backup-Zwecke genutzt.

Daß der Zugriff auf die Online-Anwendung der Gothaer Credit nur bestimmten Personen möglich ist, wird durch das Einrichten eines virtuellen privaten Netzwerks mit geschlossener Benutzergruppe erreicht. Das gesamte hierfür erforderliche Netz-Management und die eventuell erforderliche technische Betreuung der Anwender übernimmt der Netzwerk-Provider.

Im Gegensatz zu einer Datenübertragung via Internet beziehungsweise analoge oder digitale Wählverbindungen ergeben sich durch den Einsatz eines Netzwerk-Providers einige wichtige Vorteile für die Gothaer Credit und deren Versicherungsnehmer: beispielsweise die hohe Sicherheit und Zuverlässigkeit der Datenverbindungen sowie garantierte Bandbreiten bei der Datenübertragung.

Gleichzeitig wird die Gothaer Credit aber auch von den administrativen und operativen Aufgaben im Netzwerkbereich entlastet, da für die gesamte Kommunikationsinfrastruktur mit den Versicherungsnehmern ein definierter und verantwortlicher Ansprechpartner bereitsteht. Dem Versicherungsnehmer selbst entstehen nur sehr geringe Übertragungskosten.

Für die programmtechnische Umsetzung der Anwendung wird bei der Gothaer Credit ein WWW-Server auf einem speziell dafür vorgesehenen Windows-NT-Rechner betrieben (vgl. Abbildung 2). Jeder Versicherungsnehmer interagiert mit dem WWW-Server über einen auf seiner Seite installierten Web-Browser.

Die einzelnen HTML-Dokumente und -Formulare liegen auf dem Web- Rechner. Der Versicherungsnehmer kann anhand von Menüpunkten zwischen verschiedenen Dokumenten und Formularen wählen. Hat er ein Formular (etwa "Eingabe Kreditantrag") ausgefüllt, wird die Übertragung dieser Daten veranlaßt. Die Daten werden vom WWW- Server in Empfang genommen und über die genormte Schnittstelle CGI (Common Gateway Interface) an ein oder mehrere weiterverarbeitende Programme auf dem Web-Rechner übergeben. Diese werten die Daten aus, starten Datenbankzugriffe, rufen gegebenenfalls Entscheidungssysteme auf und generieren aus den gewonnenen Informationen beziehungsweise Ergebnissen dynamisch neue HTML- Dokumente beziehungsweise -Formulare, die dem Versicherungsnehmer über seinen Web-Browser angezeigt werden.

Um die Anwendung nutzen zu können, benötigt der Versicherungsnehmer lediglich einen für sein Betriebssystem verfügbaren Web-Browser und eine Zugangsberechtigung (Einwahlnummer, User-ID und Paßwort) der Gothaer Credit. Das Einrichten eines solchen verursacht dem Versicherungsnehmer normalerweise keine großen Probleme, zumal solche Programme heute größtenteils schon Bestandteil des Betriebssystems sind.

Die Erfahrung zeigt aber auch, daß zwischen den unterschiedlichen Browsern immer wieder Inkompatibilitäten auftreten. Aus diesem Grund werden den Kunden der Gothaer Credit nur Produkte empfohlen, die mit Hilfe des eingesetzten Web-Servers ausführlich getestet wurden. Damit läßt sich eine einwandfreie Funktionalität der Anwendung gewährleisten.

Für den Versicherungsnehmer hat der Einsatz von Internet- Technologien zudem den Vorteil, daß viele Anwender mit der Bedienung von Browsern bereits bestens vertraut sind. Aber auch für unerfahrene Benutzer ist die Handhabung eines Web-Client mit geeigneten Hyperlinks zwischen unterschiedlichen Anwendungsfunktionen oder Informationsinhalten ohne große Schulungsmaßnahmen schnell zu erlernen.

Die beim Versicherungsnehmer erforderliche Hardware-Ausstattung (PC mit Modem- oder ISDN-Anschluß) ist heute Standard. Selbst die Nutzung der Anwendung aus einem lokalen Netzwerk heraus ist über Gateways bei entsprechender Inbetriebnahme problemlos möglich.

Insgesamt gehen die Projektverantwortlichen bei der Gothaer Credit und Dr. Städtler davon aus, daß diese auf Internet-Technologien basierende Systemarchitektur ein hervorragendes und zukunftssicheres Fundament darstellt, auf dem sich weitere zukünftige Kommunikations- und Informationsaufgaben mit externen Geschäftspartnern aller Art schnell und flexibel umsetzen lassen.

Schon in der nächsten Projektstufe sollen beispielsweise die bundesweit verteilten Direktionsaußenstellen des Unternehmens beziehungsweise der Außendienst angebunden werden. Allen Mitarbeitern, die mit der Akquisition befaßt sind oder im Rahmen ihrer Tätigkeit Akquisitionsinformationen benötigen, soll dann eine direkte, aktuelle, strukturierte und persönlich zugeordnete Zugriffmöglichkeit auf Akquisi- tionsdaten gegeben werden.

Angeklickt

Die ganze Welt redet derzeit vom Internet. Bisher sind die meisten Unternehmen jedoch über einige "bunte Seiten" im World Wide Web (WWW) noch nicht hinausgekommen. Doch die so plötzlich ins Zentrum des Interesses gerückten Internet-Techniken lassen sich nutzen: im Intranet. Das Beispiel einer Versicherung verdeutlicht die Möglichkeiten - sogar über den unternehmensinternen Zirkel hinaus nach außen.

*Dr. Hans-Jörg Kremer ist Leiter des Bereichs DV-Beratung bei der Dr. Städtler GmbH Unternehmensberatung in Nürnberg.