GEA-Gruppe aendert die IT-Strategie Geschaeftsbereiche verzichten auf zentrale DV-Dienstleistung Von Eduard Ruesing*

29.10.1993

Eine monolithische DV-Struktur und eigenverantwortliche Unternehmensbereiche passten aus Sicht des GEA-Managements nicht zusammen. Deshalb fuehrte man bei der Bochumer GEA-Gruppe eine zentrale Stelle ein, die eine dezentrale DV-Strategie ausarbeiten sollte. Die GEA Wiegand in Beckum spielte die Rolle des Pilotanwenders.

1989 war fuer die GEA-Gruppe ein Jahr des Umbruchs. Ausgeloest durch den Gang an die Boerse, die Uebernahme von Gesellschaften sowie eine expansive Entwicklung wurden die bisherigen Geschaeftszweige umstrukturiert und mit mehr Selbstaendigkeit ausgestattet. Eine neue dezentrale Organisation sollte die einzelnen Bereiche in die Lage versetzen, im Markt rasch zu reagieren.

Im Hinblick auf diese Situation hat der Vorstand des Unternehmensbereichs Nahrungsmittel- und Prozesstechnik eine zentrale DV-Koordinierungsstelle geschaffen, die die DV-Anwendung der gesamten Einheit harmonisieren und eine langfristige, dezentrale DV-Strategie entwickeln sollte. Damit fiel auch der Entschluss, die bis dahin von der zentralen DV in Herne abgewickelten Anwendungen von dort abzuziehen sowie die bestehenden heterogenen Systeme mittelfristig abzuloesen.

Daraufhin entwickelte Martin Foerster, Leiter der zentralen DV- Koordination, ein DV-Konzept. Ziele der neuen Hardware- und Softwarestrategie waren:

- groesstmoegliche Kompatibilitaet der eingesetzten Hard- und Softwaresysteme, um Daten- und Programmaustausch und damit Synergieeffekte zu erzielen;

- ein durchgaengiges und vollstaendiges Systems (Komplettloesung) auf der Basis moderner DV-Technologie mit einheitlicher Benutzeroberflaeche sowie

- die Erfuellung der betriebswirtschaftlichen Anforderungen aller Gesellschaften des Unternehmensbereichs unter Beruecksichtigiung uebergeordneter Gruppeninteressen (zentrales Con- trolling).

Nachdem man mehrere Systeme verglichen hatte, fiel die Entscheidung auf das R/3-System von SAP. Das Kick-off-Meeting fand am 10. Juli 1992 statt, der Startschuss fuer den Einsatz von drei Modulen fiel am 11. Januar 1993.

Frueher hat die zentrale DV fuer die einzelnen Unternehmen eine Reihe von Dienstleistungen auf dem Zentralrechner angeboten, etwa mit dem Lohnabrechnungssystem "Paisy". Diese zentralen Dienste sind mittlerweile nahezu alle aufgeloest. Jeder Unternehmensbereich kuemmert sich heute selbst um seine DV-Infrastrukturen.

Eine Pilotfunktion hatte die GEA Wiegand GmbH in Beckum, die sich mit der Produktion von Apparaten und Anlagen der thermischen Verfahrenstechnik beschaeftigt. Deren DV-Leiter Dieter Hartz schildert die Umstellung: "Da wir zum Zeitpunkt der Aufloesung der zentralen Dienste sowieso dabei waren, uns nach neuer Hard- und Software umzuschauen, wurden wir von der DV-Koordination in die Erstellung des Konzeptes mit eingebunden und als Pilotanwender fuer unseren Bereich eingesetzt." Heute ist GEA Wiegand fast voellig autark und hat mit Ausnahme von Paisy keine DV-technische Verbindung zur Zentrale. Der Informationsaustausch mit der Zentrale wie bei Bilanzen, Kennzahlen oder aehnlichem erfolgten zur Zeit noch per Papier oder ueber monatliche Batch-Laeufe.

Bei der Entscheidung fuer die Hardwareplattform machte Hew-lett- Packard das Rennen. Die Entscheidung wurde auch im Hinblick auf das Gesamtprojekt und die Einbindung bestehender HP-3000-Loesungen betrachtet. Wichtig war in diesem Zusammenhang auch, in welcher Form die Datenfernuebertragung erfolgen sollte. Da das Frankfurter Unternehmen GEA Till, das etwa zum gleichen Zeitpunkt die R/3- Module Finanzbuchhaltung und Kostenrechnung einfuehrte, in das Projekt einbezogen wurde und die im 400 Kilometer entfernten Beckum ansaessige Fertigung der GEA Wiegand mit dem Softwarebaustein Materialwirtschaft angeschlossen werden sollte, waren auch die entsprechenden Telecom-Services fuer Client-Server- Strukturen zu beruecksichtigen.

Die Berater kamen direkt von der SAP AG

Zur Unterstuetzung bei der R/3-Einfuehrung hat GEA von verschiedenen Consulting-Anbietern Offerten eingeholt. Neben den Angeboten von verschiedenen SAP-Partnern wurde auch von dem Walldorfer Softwarehaus selbst ein Projektvorschlag und ein Beratungsangebot angefordert.

Unter dem Gesichtspunkt, dass GEA Wiegand und GEA Till zu den ersten Anwendern zaehlen wuerden, die produktiv mit R/3 arbeiten, entschied sich das GEA-Management dann fuer die SAP-Beratung, um bei Bedarf schnell Informationen aus erster Hand zu erhalten.

SAP benannte vier Berater fuer die Module Finanzwesen, Materialwirtschaft, Controlling und Anlagenbuchhaltung. Beide Firmen bildeten fuer jeden dieser Bereiche ein Team, das zusammen mit dem SAP-Berater die Einfuehrung und Anpassung der Software vornahm. Daneben war eine Mannschaft der DV-Abteilung fuer die entsprechende DV-Infrastruktur verantwortlich. Zu ihren Aufgaben gehoerte es zum Beispiel, die Verbindung zu weiterhin laufenden Altsystemen sicherzustellen, also Datenuebernahmen eventuell neu zu organisieren.

Im September 1992 erfolgte die erste Schulung der Anwendungsprojektleiter. Sie beschraenkte sich auf die grundlegende Funktionalitaet des Systems. Alle Schulungen wurden im Haus des Anwenders durchgefuehrt. Die zweite Schulungsphase betraf das Verstaendnis des Standardsystems, um darauf aufbauend das Customizing anzusetzen.

Von der zentralen DV-Koordination war vorgegeben, im Rahmen des Customizings spezielle Gegebenheiten und Wuensche in den Griff zu bekommen, ohne Modifikationen der Software vorzunehmen. Nur bei der Bestellschreibung musste die Software wegen eines gesonderten Formulars angepasst werden.

Die R/3-Einfuehrung war auch Anlass zur organisatorischen Optimierung des Informationsflusses im Unternehmen. So wurde zum Beispiel die Anzahl der Materialstammsaetze stark reduziert. Zudem bewirkte die Online-Kommunikation zwischen den Modulen eine Vereinfachung in bezug auf Schnittstellen und zeitaufwendige Batch-Laeufe. Wenn beispielsweise ein Wareneingang verbucht wird, dann steht diese Information sofort allen anderen Modulen wie der Rechnungspruefung, der Finanzbuchhaltung, dem Controlling oder der Bestellkontrolle zur Verfuegung.

R/3-Installation fuehrte zur Ablaufoptimierung

Da die R/3-Einfuehrung parallel zum normalen Alltagsgeschaeft lief, waren fuer die beteiligten Mitarbeiter eine 50- bis 60-Stunden- Woche und zusaetzliche Wochenendeinsaetze nicht selten an der Tagesordnung. "Ausschlaggebend fuer den Erfolg war aber letztendlich", so SAP-Berater Stefan Walz, der den Controlling- Bereich betreute, "dass die im Team arbeitenden Mitarbeiter entscheidungsfreudig waren und dass sie von der Unternehmensleitung auch die Kompetenz bekommen hatten, die in ihrem Rahmen moeglichen Entscheidungen selbst zu treffen." Walz weiter: "Ein Projekt wie die Installierung und Auspraegung des R/3-Systems wird von den Anwendern getragen. Die DV des Unternehmens greift nur unterstuetzend ein. Diese Vorgehensweise war fuer die GEA-Wiegand- Verantwortlichen neu."

Die HP-9000-Maschine wurde im Sommer 1992 installiert, danach sukzessive die Windows-PCs. An den neuen Arbeitsplaetzen bestand die Moeglichkeit, mittels Terminalemulation mit der alten Software zu arbeiten, so dass Tastatur und PC den Anwendern schnell vertraut waren. Kurze Zeit spaeter konnte sich der Mitarbeiter bereits im neuen R/3-System anmelden und erste Daten fuer ein kleineres Testsystem uebernehmen.

Im Dezember wurde dann die Massendatenuebernahme vorbereitet, die in der heissen Projektphase zwischen Weihnachten und Neujahr stattfinden sollte. Am Donnerstag und Freitag wurde die Inventur auf den alten Systemen gefahren, am Wochenende luden die Spezialisten die Daten ins neue System. Dieser Uebergang ging fast reibungslos vonstatten.

Fuer DV-Koordinator Foerster ist das ganze Projekt, das sich auch gut auf andere GEA-Unternehmen uebertragen laesst, heute ein voller Erfolg. Vor allem habe man aus dem bisherigen Teil des Projektes gelernt, Fehler in der Ablaufplanung der bereits in Angriff genommenen PPS-Modul-Planung und -Einfuehrung zu vermeiden.

*Eduard Ruesing ist freier Journalist in Karlsruhe.