Entscheidung zwischen Softwarehaus Hardware-Lieferanten:

Für Standard-Software gibt es keine Standards

30.11.1979

Noch vor einigen Jahren stellte sich für den EDV-Benutzer die Frage: lndividuelle

oder Standard-Software? Nach dem Preisverfall der letzten Zeit, verbund mit den steigenden Personalkosten, ist diese Frage im Bereich der kommerziellen Software, wie beispielsweise Finanzbuchhaltung oder Lohn- und Gehaltsabrechnung nicht mehr relevant. Individuelle Software-Erstellung ist für den größten Teil der Anwennder wegen der hohen Kosten nicht tragbar. Anders ausgedrückt: Ohne kostengünstige Standard-Software lägen die Gesamtkosten für Hard- und Software für den Großteil der Anwender zu hoch, was oft den Verzicht auf Einsatz der EDV bedeuten müßte.

Heute steht der Anwender vor der Frage, ob er die Standard-Software vom Hardware-Lieferanten oder vom Softwarehaus kaufen soll. Wer von beiden produziert das bessere Produkt? Um diese Frage beantworten zu können, muß man zuerst Bedeutung und Stellenwert der Standard-Software im Rahmen des Gesamt-Unternehmens von Hardware-Herstellern und Softwarehäusern untersuchen.

Was beduetet die Standard-Software für den Hardware-Hersteller? Kurz gesagt: "Mittel zum Zweck", wobei den profitbringenden Hauptzweck der Hardwareverkauf darstellt. Der Kunde hingegen will seine Probleme gelöst wissen und das geht nur durch leistungsfähige Software. Diese zwingenden Umstände haben die meisten Hardware-Hersteller - vor allem die Mainframer - veranlaßt, eigene, kommerzielle Software-Pakete zu entwickeln.

Bei den Softwarehäusern stellen jedoch die Entwicklung und der Verkauf der Standard-Software neben der Organisationsberatung die Haupttätigkeit, also den primären Unternehmenszweck.

Diese unterschiedliche Gewichtung sowie die strukturellen Unterschiede bei Hardware-Herstellern und Softwarehäusern sind die Hauptgründe für die enormen Unterschiede in Qualität und Leistungsumfang der Standard-Software einerseits sowie in der Höhe der Entwicklungskosten andererseits. Leistungsumfang, Flexibilität und Beratung verdeutlichen die Diskrepanz.

Perfektionismus mit universellen Produkten

Hardware-Hersteller streben allgemein umfassende Lösungen mit Abdekkung aller Wünsche der Anwender an. Dies wird immer mehr mit umfangreichen Generatorprogrammen, wie zum Beispiel MAS von IBM oder Comet von Nixdorf, erreicht. Durch die perfektionistische Vorgehensweise entstehen zwar große, universelle Produkte, die sich jedoch als unflexibel herausstellen und nur mit großem Aufwand oder gar nicht an eventuell vorhandene, individuelle Wünsche des Anwenders angepaßt werden können. Denn die ursprüngliche Vorstellung, mit diesem universellen Paket alle Probleme abzudecken, erweist sich in der Praxis immer als falsch.

Das Softwarehaus dagegen ist weder in der Zwangslage, die gesamte Palette der Software-Anwendungen abdecken zu müssen, noch - vermeintlich - hundertprozentige Lösungen zu entwickeln. Es kann vorhandene Marktlücken suchen und auf einzelnen Gebieten eine Spezialisierung anstreben. Nach der kybernetischen Managementlehre (EKS) von Mewes kann es in die Tiefe gehen und sich dadurch einen nachhaltigen Marktvorteil sichern (vergleiche auch den Artikel von Heinzgünther Klaus: "Software-Qualität durch Kooperation").

Die Programmprodukte sind nicht so umfassend (anstatt Generatorverfahren wird die Flexibilität eher durch Parametrisierung erreicht), jedoch übersichtligher und anwenderfreundlicher. Individuelle Kundenwünsche können mit vertretbarem Aufwand in die Programme eingebaut werden. Außerdem fällt ins Gewicht, daß die Kundenberatung und -betreuung, neutraler wie auch besser ausfällt als die des Hardware-Herstellers.

Bei den Software-Herstellern liegen die Entwicklungskosten für Standard-Software enorm hoch:

- Durch die Bonner DV-Förderung werden dem Hardware-Hersteller große Summen zur Verfügung gestellt, die fallweise den Einsatz überhöhter Programmierkapazität ermöglichen. Dies wirkt sich jedoch im Sinne des Parkinson-'schen Gesetzes sehr unwirtschaftlich aus.

- Der Konzeptions- und Programmieraufwand wird durch die angestrebte, "perfekte" Lösung überproportional.

- Die überdetaillierte Feinkonzeption verlängert das Stadium der Theorie. So kam es in letzter Zeit bei mehreren Herstellern vor, daß halbfertige Pakete "eingemottet" werden mußten oder von kostspieligen Entwickungen in der Praxis nur Teilmengen verwendet werden konnten.

Die radikalen Sparmaßnahmen einzelner Hardware-Hersteller bei den Entwicklungskosten für Standard-Software in den letzten Monaten zeugen von der Richtigkeit der Aussage. Die Frage ist nur, ob diese Maßnahmen nicht zum anderen Extrem führen werden.

Für das Softwarehaus fallen die Entwicklungskosten notwendig niedriger aus.

- Die vorhandene Kapitaldecke ermöglicht von vornherein nur die Entwicklung klarer, durchdachter, meist mit einigen Pilotinstallationen abgesicherter Programmpakete.

- Durch die "Kundennähe" wird weniger Theorie und mehr praxisgerechte Entwicklung betrieben.

- Die kürzeren Wege der materiellen Anreize und Motivation bewirken ein wesentlich höheres Maß an Initiative und Effizienz.

Zusammenfassend kann man sagen, daß Hardware-Hersteller und Softwarehäuser konzeptionell verschiedenartige Standard-Software produzieren. Für einen Teil der Anwender ist diese Art, für den anderen Teil jene geeigneter. Die Entwicklungskosten jedoch liegen beim Hardware-Hersteller unverhältnismäßig höher als beim Softwarehaus.

Dieser Erkenntnis Rechnung tragend zeichnen sich neuerdings folgende Arten der Zusammenarbeit zwischen Softwarehaus und Hardware-Hersteller ab:

- Das Softwarehaus entwickelt auf eigene Kosten oder auf Basis der Kostenteilung Standard-Pakete, die vom Hersteller in Zusammenarbeit mit dem Softwarehaus vermarktet werden. Eine Zusammenarbeit ist vor allem im Bereich der Branchen-Software üblich.

- Hardware-Hersteller, vor allem im Minicomputer-Bereich, lagern die Entwicklung von Standard-Software vollkommen zu den Softwarehäusern aus beziehungsweise greifen auf vorhandene und bewährte Standard-Pakete der Softwarehäuser zurück.