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Festplattenhersteller hoffen auf bessere Zeiten

26.10.2000
Nach einer jahrelangen Durststrecke verspüren die Hersteller von Festplatten Aufwind. Stabilere Preise sowie neue Märkte und Techniken lassen die Branche hoffen. Kritiker warnen jedoch, dass der Weg in die schwarzen Zahlen steinig wird.

Von CW-Redakteur Martin Bayer

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nach einer jahrelangen Durststrecke verspüren die Hersteller von Festplatten Aufwind. Die Übernahme von Quantum durch Maxtor, stabilere Preise durch ein knapperes Angebot sowie neue Märkte und Techniken lassen die Branche hoffen. Zwar scheint die Talsohle durchschritten, Kritiker warnen jedoch, dass der Weg in die schwarzen Zahlen steinig wird.

Die Bestandsaufnahme der Analysten von International Data Corp. (IDC) für den Harddisk-Markt ergibt ein düsteres Bild. Der Preisverfall der letzten drei Jahre habe die Firmen insgesamt etwa 2,5 Milliarden Dollar gekostet, lautet das nüchterne Fazit der Marktforscher. Zwar hätten sich im gleichen Zeitraum Technik und Kapazitäten weiter verbessert, und auch die abgesetzten Stückzahlen wuchsen von Jahr zu Jahr kräftig an. Aber wegen des gnadenlosen Wettbewerbs seien die Preise immer stärker unter Druck geraten, so dass praktisch kaum ein Unternehmen mehr Festplatten profitabel verkaufen konnte.

1999 setzten die Produzenten weltweit mit 174 Millionen Laufwerken 21 Prozent mehr Geräte ab als noch ein Jahr zuvor. Im gleichen Zeitraum fiel jedoch der Umsatz um 2,5 Prozent auf 24,8 Milliarden Dollar. Trotz dieser alarmierenden Zahlen glauben die Analysten, dass sich der Markt in den nächsten Jahren stabilisieren wird. So rechnet IDC für 2000 mit einer Steigerung der Absatzzahlen um 17 Prozent auf über 203 Millionen. Bis 2004 sollen bei einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 16,5 Prozent pro Jahr knapp 373 Millionen Hard Drives abgesetzt werden.

Die finanzielle Situation der Hersteller bleibt laut IDC aber weiter angespannt. So werde der durchschnittliche Preis einer Festplatte in diesem Jahr um 13 Prozent von 143 auf 124 Dollar abrutschen. Demzufolge werde der Gesamtumsatz lediglich um 1,5 Prozent auf 25,2 Milliarden Dollar anwachsen. Für die folgenden Jahre prophezeien die Auguren allerdings ein Durchschnittswachstum von 5,3 Prozent pro Jahr. 2004 werde die Branche etwa 32,1 Milliarden Dollar umsetzen können.

Gute Technik - schlechte Preise

Das Problem sind nicht die Produkte. In den Labors entwickeln die Techniker immer leistungsfähigere Festplatten. Im IDE-Segment haben die Hersteller Mitte des Jahres mit Ultra-ATA/100 einen neuen Schnittstellen-Standard definiert. Die Spezifikationen sollen eine Datentransferrate von bis zu 100 MB/s erlauben. Zwar können die Laufwerke wegen der geringeren internen Übertragungsraten diesen Rahmen längst nicht ausnützen. Aber Firmen wie IBM, Western Digital, Quantum und Maxtor haben bereits entsprechende Produkte auf dem Markt beziehungsweise angekündigt. Der Hersteller versprechen sich Leistungssteigerungen von bis zu 50 Prozent gegenüber der Ultra-ATA/66-Technik.

Im SCSI-Bereich steckt der nächste Standard ebenfalls in den Startlöchern. Mit Ultra-320-SCSI soll eine Transferrate von 320 MB/s erreicht werden. Mit Hilfe von Zwei-Kanal-SCSI-Controllern sind theoretisch sogar 640 MB/s möglich. Festplattenhersteller Quantum hat mit "Atlas 10K III" bereits ein Produkt angekündigt, das die neue SCSI-Spezifikation unterstützen soll. Auslieferungstermin ist das erste Quartal 2001.

Auch bei der Speicherdichte verkünden die Entwickler alle paar Monate neue Rekordmarken. So hat beispielsweise das US-Unternehmen Read-Rite zuletzt den Prototyp einer Festplatte mit 63,2 Gbit pro Quadratzoll vorgestellt. Den Rekord hielt bis dahin Hitachi mit 52,5 Gbit. Serienmäßig gefertigte Laufwerke mit einer Dichte von 45 Gbit pro Quadratzoll will Seagate ab nächstem Jahr verkaufen. Damit sind Plattenkapazitäten von 150 GB möglich. Auch die magische Grenze von 100 Gigabit pro Quadratzoll wackelt. Bislang glaubten die Ingenieure, damit das Ende der 20 Jahre alten Winchester-Technologie zu erreichen. Seagate arbeitet jedoch zurzeit an der modifizierten "Optical-Assisted-Winchester"-Technologie (OAW). Mit Hilfe von Laserunterstützung sollen Dichten von bis zu 250 Gbit pro Quadratzoll möglich sein. Norbert Deuschle, Speicherexperte der Meta Group, glaubt, dass das noch nicht alles ist. "Mit Trick 17 werden die Hersteller irgendwann auch 500 Gbit erreichen."

Die Probleme der Festplattenindustrie sind hausgemacht. Nach einem gnadenlosen Preiskampf während der letzten Jahre steht die Branche knapp vor dem Abgrund. "Das haben wir uns selbst angetan", zieht Klaas de Voss, Managing Director für die Bereiche Operations und Distribution bei Western Digital (WD) in Europa, eine bittere Bilanz. Der Harddisk-Markt habe als einziges Segment in der PC-Branche in den letzten drei Jahren nur Verluste gemacht. Wenn das so weitergehe, werde Western Digital aussteigen, erklärt de Voss. "Das sind wir unseren Aktionären schuldig."

Trotz der scheinbar nicht enden wollenden Preisspirale herrscht Aufbruchstimmung. Mit der Übernahme des Hard-Drive-Geschäfts von Quantum durch Maxtor werden die Karten neu gemischt. Das Ziel, Seagate als Marktführer abzulösen, lässt sich Maxtor Aktien im Wert von 2,3 Milliarden Dollar kosten. Analysten rechnen damit, dass die neue Company, die weiter unter dem Namen Maxtor firmieren wird, einen jährlichen Umsatz von sechs Milliarden Dollar und einen Marktanteil von 35 Prozent erreichen wird. Das Unternehmen plant, etwa 50 Millionen Laufwerke pro Jahr zu produzieren.

Höchste Priorität bei der Fusion genießen Einsparungen. Die Verantwortlichen rechnen damit, innerhalb der nächsten zwei Jahre die Geschäftskosten um 120 bis 150 Millionen Dollar senken zu können. Mike Cannon, Chief Executive Officer (CEO) von Maxtor, glaubt außerdem, dass sich die Atmosphäre im Markt durch das Ausscheiden eines Wettbewerbers entspannen wird. Diese Ansicht teilt sein Kollege Michael Brown, Chairman von Quantum: "Konsolidierung wird dem Markt gut tun."

Analysten haben die jetzt aufkommenden Konsolidierungstrends bereits im letzten Jahr vorausgesagt. Robert Peyton, Director European Storage Research bei IDC, prophezeite im Oktober 1999: "Es können nicht alle überleben." Erst wenn der eine oder andere Anbieter vom Markt verschwinde, würde das Überangebot zurückgehen und die Preise wieder etwas anziehen. Auch Deuschle von der Meta Group glaubt, dass die Konsolidierung notwendig sei. Allerdings werde sich das Konkurrenzverhalten kaum ändern. Wer damit rechne, dass sich die Profitabilität der Anbieter über Nacht verbessern werde, der täusche sich, lautet das Fazit des Speicherexperten.

Die Zeche für die Konsolidierung zahlen die Mitarbeiter

Die Fusion hat auch ihre Schattenseiten. Zwar sollen keine Fabrikationsanlagen geschlossen werden. Dennoch verlieren nach den Plänen der verantwortlichen Manager etwa zehn Prozent der Belegschaft ihre Arbeit. Das bedeutet, dass rund 1000 Mitarbeiter auf der Strasse stehen. Wie das zukünftige Unternehmen aussehen wird, steht noch in den Sternen. Fragen, wie Produktlinien oder Vertriebsstrukturen zusammengeführt werden sollen, sind bislang nicht beantwortet, erklärt Bernd Scheuffele, verantwortlich für das OEM-Geschäft Maxtors in Zentraleuropa. Die Mitarbeiter wüssten auch nicht mehr, als in den offiziellen Pressemitteilungen steht. Vermutlich werden Änderungen erst im nächsten Jahr zu spüren sein.

Die Konkurrenz beurteilt den Merger positiv. Laut WD-Boss Matt Massengill ist eine Neustrukturierung des Marktes dringend nötig. "Zuletzt bedeutet der Deal, dass ein Konkurrent weniger auf dem Markt ist." Allerdings ließen sich die Marktanteile von Maxtor und Quantum nicht so einfach addieren. Die fusionierte Firma werde sicher einige Anteile verlieren. Davon werde sich Western Digital seinen Teil sichern, mutmaßt der Chef des Speicherherstellers.

Davon ist auch de Voss überzeugt. "Eins und eins ergibt niemals zwei", lautet die paradox anmutende Rechnung des WD-Managers. Als Beispiel führt er die Übernahme von Conner durch Seagate im Februar 1996 an. Nach der Übernahme war das Unternehmen unangefochten Marktführer mit einem Anteil zwischen 45 und 50 Prozent. Heute seien es jedoch nur mehr etwa 25 Prozent für Seagate.

Der Maxtor-Quantum-Deal war bereits der zweite Paukenschlag dieses Jahres im Hard-Drive-Markt. Im März hatte die Re-Privatisierung des Festplattengeschäfts von Seagate für Aufsehen gesorgt. Nach Ansicht von Analyst Deuschle zeigt der Abschied von der Börse, wie hoch der Konkurrenzdruck im Markt ist. Durch Privatisierung habe man den Investorendruck abfedern wollen. De Voss glaubt allerdings, dass das Unternehmen in ein paar Jahren - wenn die Zeiten besser sind - wieder an der Börse auftauchen wird. "Die Chancen sind da, wenn die ganze Branche vernünftig wird." Das Problem sei, dass auch ein erfolgreiches Unternehmen kaum die Möglichkeit habe, aus dem Sumpf der maroden Branche herauszukommen. Beispiel Maxtor: Das Unternehmen ist seit 1998 börsennotiert und habe seit dem Start auch mit meist positiven Bilanzen kaum zulegen können.

Das könnte sich bald ändern. Trotz des anhaltenden Preisdrucks sowie des unverändert harten Wettbewerbs gelang es vielen Unternehmen, ihr Geschäft in den letzten Monaten zu stabilisieren. So schrieb beispielsweise Western Digital im vierten Quartal des am 30. Juni 2000 zu Ende gegangenen Geschäftsjahres nach langer Zeit wieder einmal schwarze Zahlen. Bei einem Umsatz von 473,9 Millionen Dollar stand ein Plus von 4,2 Millionen Dollar auf der Habenseite. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres musste der im kalifornischen Irvine ansässige Hersteller bei einem Umsatz von 709,3 Millionen Dollar noch Verluste in Höhe von 101,5 Millionen Dollar hinnehmen.

Die stabileren Preise verdanken die Hersteller der momentanen Komponentenknappheit. So sei das Überangebot an Laufwerken in den letzten Monaten spürbar zurückgegangen. Damit konnte auch der Preisverfall abgefangen werden. Sanken die Preise zwischen April und Juni dieses Jahres noch über zehn Prozent - normal sind etwa fünf bis sieben Prozent -, scheinen sie jetzt auf einem konstanten Niveau zu bleiben. Manche Hersteller wie zum Beispiel Western Digital haben sogar begonnen, ihre Preise leicht zu erhöhen.

Das Komponentenproblem bezieht sich auf einzelne Chips, die momentan nur schwer zu bekommen sind, sowie auf eine schwierige Versorgungslage bei Schreib-Lese-Köpfen, erklärt ein Festplatten-Manager, der nicht genannt werden möchte. So habe vor ein paar Wochen eine Flutkatastrophe in Japan eine Fabrikationsanlage von TDK für fast eine Woche lahm gelegt. Als Folge sei damit zu rechnen, dass ab Dezember die Schreib-Lese-Köpfe für Festplatten rar werden dürften. Was gut für die Hersteller ist, erweist sich als schlecht für die Anwender. So ist damit zu rechnen, dass in den nächsten Monaten die Preise für Hard Disks weiter anziehen werden. Allerdings bleibt Scheuffele von Maxtor trotz der stabileren Preise skeptisch. "Können die Hersteller die Nachfrage auf dem Markt aufgrund der schlechten Versorgungslage nicht befriedigen, nützen die besten Preise nichts."

Angesichts des harten Wettbewerbs versuchen die Festplattenhersteller seit einigen Monaten, neue Märkte zu erschließen. Ein Segment, das die Anbieter zukünftig bedienen wollen, ist der Markt für Consumer-Elektronik (CE). So sollen nach den Plänen der Speicher-Companys bald auch TV-Geräte oder Videorekorder mit Festplatten ausgerüstet sein.

Dazu haben verschiedene Hersteller eigene Companies auf die Beine gestellt. So gründeten beispielsweise Seagate und der französische Konzern Thomson Multimedia vor kurzem das Unternehmen Cache Vision. Ziel ist laut Firmenchef Richard Johnson, den digitalen Fernsehmarkt der Zukunft mit Speichertechnik zu versorgen. Er rechne damit, dass es zukünftig wesentlich mehr Inhalte im TV-Geschäft geben werde, die Kunden auch speichern könnten. Um dies zu gewährleisten, müssten die Daten zwischengelagert werden - am besten natürlich auf einer Festplatte. Johnson rechnet damit, dass sein Unternehmen bis 2005 einen Jahresumsatz von 500 Millionen Dollar erreicht.

Auch Emmanuel Vitrac, verantwortlich für Corporate Communications bei Seagate in Europa, setzt große Hoffnungen auf den neuen Markt. So sei es vorstellbar, dass neben digitalen Videorekordern auch bald Autoradios oder Digitalkameras mit Festplatten ausgestattet sind. Haushaltsgeräte wie zum Beispiel Kühlschränke könnten in fünf Jahren auf internen Festplatten den Bestand und automatische Bestellungen speichern.

Etwas vorsichtiger beurteilt Scheuffele den CE-Markt. Dieser befinde sich augenblicklich noch in der Entwicklungsphase. Zwar könne es passieren, dass das Geschäft irgendwann explosionsartig wachse, doch bislang sei nichts davon zu spüren. Es werde auch davon abhängen, welche Geräte Firmen wie Philips oder Grundig entwickelten. Ferner sei noch fraglich, wie die Akzeptanz der Kunden im Markt aussehe. Die meisten Leute besitzen beispielsweise bereits einen Videorekorder und würden sich nicht sofort auf eine neue Technik stürzen. Auch die Festplatten müssten an den neuen Markt angepasst werden. So komme es bei einer Festplatte in einem Videorekorder weniger auf die Fehlerkorrektur an. Wichtig sei hier, dass ein durchgängiger Datenstrom vom und zum Laufwerk gewährleistet sei.

Festplattenhersteller kommen vom Regen in die Traufe

Georg Wilde, Unternehmenssprecher bei Philips, dämpft die Erwartungen der Hard-Disk-Produzenten. So gebe es in den USA bereits digitale Videorekorder, in Deutschland habe sich jedoch bislang kein zuverlässiger Diensteanbieter gefunden, der das entsprechende Programmangebot liefere. Außerdem müsse der Speicherbedarf in CE-Geräten nicht unbedingt über eine Festplatte gedeckt werden. Nach Ansicht von Wilde könne dies genauso mit Hilfe magneto-optischer Speichermedien oder CD-RW-, DVD-RW-Medien realisiert werden. Ferner dürfen die Festplattenhersteller nicht glauben, im CE-Markt eine Cash-Cow eingefangen zu haben, die nur noch gemolken werden müsse. Hier sei der Preisdruck mindestens genauso so groß wie im PC-Geschäft. Hersteller wie Philips müssten knallhart mit den Kosten kalkulieren, und wenn ein Produkt zu teuer sei, werde man sich nach anderen Lösungen umsehen.

Deuschle von der Meta Group glaubt dennoch, das der CE-Markt eine gute Chance für die Festplattenhersteller bedeutet. Allerdings müssten die Firmen erst ihre Probleme im Kerngeschäft lösen. Einige Unternehmen würden sich unvorbereitet auf Nebengeschäfte zum Beispiel mit Software stürzen, um die negativen Bilanzen aufzubessern. Mit dieser Strategie hätten jedoch die wenigsten Erfolg. "Schuster, bleib bei deinen Leisten und optimiere lieber die eigenen Prozesse", rät Deuschle den Herstellern.