Zu Hause denken und im Betrieb kommunizieren

Erst bei finanziellen Vorteilen kommt die Telearbeit zum Zug

23.10.1992

FRANKFURT/M. (hk) - Ernüchterndes Urteil zum Thema Telearbeit: Den Praktikern ist sie zu teuer, die Gewerkschaft betont die soziale Problematik und die Bundesanstalt für Arbeit sieht keine arbeitsmarktpolitischen Impulse durch diese Form der Dezentralisierung von Beschäftigung.

Commerzbank-Vorstandsmitglied Peter Gloystein äußerte sich auf einer Podiumsdiskussion des CDU-Wirtschaftsausschusses sehr zurückhaltend zu den Möglichkeiten seiner Mitarbeiter, ihre Arbeitsplätze in die eigene Wohnung zu verlagern und von dort via Telekommunikation der gewohnten Bürobeschäftigung nachzugehen. Auch Satellitenbüros am Stadtrand zu installieren, hält er für wenig realistisch, obwohl damit lange Anfahrtswege in die Innenstadt zu vermeiden wären. Wichtiger als Umweltschutz-Gesichtspunkte wie die Entlastung des Verkehrs sind für Gloystein die Kostenargumente. Der Banker geht von 30 000 Mark pro ausgelagertem Arbeitsplatz aus. Hinzu käme ein weiterer Aspekt: "Bei einer Mitarbeiterzahl von 26 000 gibt es höchstens 200 Telearbeitsplätze, und zwar Außendienstmitarbeiter und Software-Entwickler". Und ob die zu Hause arbeiten wollten, stehe auf einem anderen Blatt.

IBM Deutschland ist einen Schritt weiter und kann in Sachen Telearbeit bereits erste Erfahrungen vorwiesen, wobei die Stuttgarter ausdrücklich von außerbetrieblichen Arbeitsplätzen sprechen. Auch Vorstandsmitglied Gisa Schultze-Wolters machte sehr deutlich, daß sich diese Form der Beschäftigung "in erster Linie fürs Unternehmen rechnen muß".

Letzten Endes werden die Ergebnisse bezahlt

Da ihr Unternehmen schon seit Jahren nach der Management-by-objectives-Methode verfahre, sei es kein Problem, die Mitarbeiter zu Hause zu beschäftigen: "Wir bezahlen nicht für die Anwesenheit im Betrieb, sondern die Ergebnisse der Arbeit werden bewertet ."Die Devise laute: zu Hause arbeiten und denken, im Betrieb kommunizieren. Wichtig sei, so die IBM Managerin, daß der Mitarbeiter auch nach dem Beginn seiner Heimarbeit in die betrieblichen Abläufe integriert ist, so daß "man eigentlich von Mischarbeitsplätzen reden müßte".

Der Geschäftsführer der DGB-Technologieberatungsstelle, Klaus Wagenhals, zeigte sich zufrieden mit der zurückhaltenden Einstellung der Industrie zu diesem schwierigen Thema, wies aber auf die soziale Problematik dieser Beschäftigungsform hin. Er warnte vor allem vor den Folgen einer Vereinsamung und Isolierung sowie dem Verlust des Freundeskreises. Telekom-Manager Joachim Klaus erinnerte hier an eine Studie der Fraunhofer-Gesellschaft, die feststellte, daß Frauen nach dreivierteljähriger Telearbeit wieder an ihre angestammten Arbeitsplätze zurückkehrten, weil die Beschäftigung zu Hause durch die zusätzliche und gleichzeitige Betreuung der Kinder und die Erledigung der Hausarbeit keine Vorteile brachte. Was jedoch die technische Seite der Telearbeit-Einführung angehe, gebe es nach Klaus' Auffassung überhaupt keine Probleme. Im übrigen hätte die Telekom mit Satellitenbüros gute Erfahrungen gemacht; so seien etwa Teile der Frankfurter Fernmeldeauskunft nach Kassel und Fulda ausgelagert.

Werner Dostal vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit glaubt, daß die Telearbeit, die aus der klassischen Heimarbeit hervorgegangen ist, so gut wie keine Überlebenschancen hat. "Auf Dauer sind die Leitungskosten zu teuer", schätzt der Nürnberger Arbeitsmarktexperte. Er sieht nur Perspektiven für Höherqualifizierte, die kreativ und selbständig arbeiten wollen.