ERP-Ablösung birgt Steuerrisiken

18.08.2008
Wer sein ERP-System austauscht, muss steuerrelevante Daten für die Betriebsprüfung bereithalten. Verschiedene Firmen bieten Software, mit der sich archivierte Altdaten gesetzeskonform auswertbar machen lassen.

Derzeit trennt sich so manches Unternehmen vom alten ERP-System, um eine neue Software einzuführen. Stammdaten wie Kontenpläne und Lagereinträge des Altsystems überführen die Firmen in die Nachfolgelösung. Allerdings wollen Wirtschaftsprüfer bei einer Betriebsprüfung auch die Geschäftsdaten aus der Zeit einsehen, als noch die alte Software beim Unternehmen im Einsatz war. Um dies zu gewährleisten, holt sich das Unternehmen vom Finanzamt die Erlaubnis, die alten Daten auf Papier oder in Form eines GDPdU-Outputs zur Verfügung zu stellen. "Diese Erlaubnis wird von der Behörde bei gleichzeitiger Ankündigung einer vorgezogenen Betriebsprüfung in der Regel gewährt", so Andreas Erhart, Leiter Beratung Business Intelligence/Financials beim ERP- und Rechnungswesenanbieter SoftM AG aus München. GDPdU steht für Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen.

Andere Firmen archivieren die Altdaten: Steuerrelevante Bewegungsdaten und Änderungsbelege der abgelösten Applikation wandern in ein elektronisches Archiv. Allerdings muss der Datenspeicher nicht nur die Angaben verlässlich sichern, sondern die gleichen Datenauswertungen bieten, die das alte ERP-System gestattet. "Das Archiv muss qualitativ und quantitativ gleichwertige Datenauswertungen gewährleisten wie das Produktivsystem", erläutert Axel Zimmermann, Geschäftsführer der Firma Audicon aus Düsseldorf.

Unmittelbarer Zugriff

Von Belang sind die Auswertun-gen für die Betriebsprüfung. Die Steuerexperten wollen nämlich bis zu zehn Jahre in die Vergangenheit schauen können. Dies gilt dann, wenn der Prüfer mit einem PC die Firma aufsucht und gemäß der gesetzlich vorgesehenen Zugriffsart "Z1" unmittelbaren Zugriff auf die Hard- und Software des Unternehmens verlangt. Allerdings dürfte kaum ein Anwenderunternehmen Interesse daran haben, für etwaige Besuche von Prüfern das Altsystem im Hintergrund weiterlaufen zu lassen. Manche Firmen übernehmen Bewegungsdaten nur in verdichteter Form in das neue ERP-System, was aber nicht mehr den Vorgaben der Finanzbehörden entspricht. Andere Unternehmen fahren das Altsystem herunter und halten es auf einem Rechner vor, in der Hoffnung, es bei einem Prüfungstermin wieder fehlerfrei hochfahren zu können.

Wenig informiert

Experten sind immer wieder erstaunt, wie wenig Unternehmen darüber informiert sind, welche Aufgaben bei einer ERP-Migration oder -Ablösung auf sie zukommen. "Viele Unternehmen haben zwar von den gesetzlichen Bestimmungen gehört, wissen aber nicht, was genau sie tun sollen, und warten lieber ab. Auch die ERP-Hersteller sowie deren Einführungspartner sensibilisieren die Firmen oft nicht", hat Paul Liese, Vertriebschef und Gesellschafter des Softwarehauses HSP Handels-Software-Partner aus Norderstedt bei Hamburg, festgestellt. Liese zufolge sind es eher die Großfirmen, die erkennen, dass sie in Sachen Datenaufbewahrung etwas tun müssen, wenn sie sich von ihrer ERP-Software trennen wollen. Doch auch hier hält sich die Motivation mitunter in Grenzen. "Ein Problem ist, dass Firmen nicht gern Geld ausgeben wollen, um den Staat schlauer zu machen", so Liese. Zudem gebe es noch keinen Präzedenzfall, in dem eine Firma rechtlich belangt wurde, weil sie die Auswertung mit einem Altsystem nicht gewährleisten konnte.

Grundsätzlich hat der Steuerprüfer aber die Möglichkeit, digitale Betriebsprüfungen vorzunehmen. "In Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg erfolgen etwa 70 Prozent aller Prüfungen elektronisch", so Audicon-Chef Zimmermann.

Sowohl Audicon als auch HSP haben Software entwickelt, mit der Firmen ihre Altdaten auch dann für die Betriebsprüfer bereitstellen können, wenn sie das ERP-System abgeschaltet haben. Das Audicon-Programm "AIS Taxmart" dient dazu, aus einem Produktivsystem, das abgeschaltet werden soll, die steuerrelevanten Daten auszulesen, zu validieren und in einen XML-Beschreibungsstandard zu überführen. Das Tool ist Teil der "Audicon Information Suite", die Analysewerkzeuge für ERP-Software bereitstellt. Damit können Daten aus der Lagerverwaltung, Einkauf/Beschaffung, Finanz-, Anlagen- und Personalbuchhaltung und der Warenwirtschaft ausgewertet werden. Datamarts bereiten Geschäfts-informationen für die Auswertung auf. Mit der Taxmart-Software stehen Berichtsfunktionen speziell für den Steuerprüfer bereit, wie sie die GDPdU vorsehen. Entsprechende Berechtigungen gewähren den Angestellten der Steuerbehörde nur so viel Einblick wie unbedingt erforderlich.

Kopplung mit Archivsystemen

Grundsätzlich kann Taxmart mit jeder ERP-Software zusammenarbeiten, verspricht Audicon. Vorgefertigte Berichte gibt es für SAP R/3, Dynamics NAV (vormals "Navision") und DCW (von SAP übernommener Rechnungswesenspezialist). Über Schnittstellen greift ein Werkzeug steuerrelevante Daten ab und konvertiert sie in den Beschreibungsstandard, den die Finanzverwaltung vorsieht. Darüber hinaus arbeitet das Audicon-System mit unterschiedlichen Archivspezialisten zusammen, darunter mit IBM, SER, Easy Software und Ceyoniq. Diese Systeme sind in der Lage, neben elektronischen oder eingescannten Dokumenten auch Belegdaten aus ERP-Lösungen in einem revisionssicheren Langzeitarchiv abzulegen.

Steuerprüfer wollen unter Umständen auch Zeiterfassungsdaten auswerten. Dann nämlich, wenn Überstunden an die Mitarbeiter ausbezahlt wurden.

Drucklisten aus ERP-Software

Verarbeiten können Firmen laut Anbieter auch Drucklisten aus ihren Altsystemen. Diese konvertiert das Modul "Report Reader" in Ascii-Dateien, um sie aus-wertbar zu machen. Die Dateien können gemeinsam mit den originalen Drucklisten (als Bilddatei oder PDF) archiviert werden.

Im Schnitt kostet Taxmart sowie die begleitenden Dienstleistungen zur ERP-Abschaltung zwischen 40 000 und 50 000 Euro.

Audicon zufolge eignet sich die Software jedoch auch dazu, dem Controlling im Unternehmen ein Berichtswesen für die produktive ERP-Applikation zu schaffen. Taxmart stützt sich auf die Datenbank SQL Server von Microsoft. Das Reporting kann der Anwender hierzu nach den eigenen Vorstellungen konfigurieren. Der Softwareanbieter beliefert auch die Steuerprüfer.

Einen etwas anderen Ansatz verfolgt HSP. Dessen Software "Opti.list" gestattet ebenfalls eine GDPdU-konforme Auswertung von Daten aus Altsystemen, bringt aber das Archivsystem gleich mit. Es handelt sich um ein Datenarchiv, in dem beispielsweise eine Bilanz als verschlüsselte Datei abgelegt wird. Für die Auswertung durch die Steuerprüfung lassen sich die Geschäftsdaten aus den gespeicherten Files reproduzieren.

Projektdauer

Wie lange ein ERP-Abschaltungsprojekt dauert, hängt laut HSP beispielsweise im SAP-Umfeld von der Anzahl der eingesetzten Module ab. Wer nur die Finanzbuchhaltung nutzt, hat weit weniger zu tun, als wenn er mit der SAP-Lösung auch die Materialwirtschaft, Warehouse-Management, Vertriebssteuerung und das Personalwesen abwickelt. So kann es schon mal 70, aber auch nur 20 Projekttage dauern, bis die rechtskonforme Auswertungslösung steht. Dazu zählt ein Workshop, die Entwicklung eines Konzepts sowie Projektplans. Ein weiterer Anbieter von Auswertungssoftware, die nach einer ERP-Abschaltung steuerrelevante Daten bereithält, ist das "GDPdU-Warehouse" der Vater Unternehmensgruppe aus Kiel. Auch dieses Produkt kombiniert eine Archivfunktion mit Auswertungslogik.u

Ablösung von Rechnungswesensystemen

Alte Rechnungswesensysteme enthalten steuerrelevante Daten, die bei einer Betriebsprüfung bereitgestellt werden müssen.

Der ERP- und Rechnungswesenanbieter SoftM aus München teilte auf Anfrage mit, wie er in Rechnungswesenprojekten verfährt. Das Unternehmen unterscheidet dabei vier Lösungsalternativen:

  • Die Altdaten werden komplett migriert. Bei dieser Variante werden zusätzlich zu den Stammdaten und offenen Posten, die in jedem Fall migriert werden, die zehn Jahre zurückliegenden Altdaten mit Einzelbelegen ins neue System übernommen. Dies ist die von den Kunden am häufigsten gewünschte Lösung.

  • Das Unternehmen holt sich vom Finanzamt die Erlaubnis, die alten Daten auf Papier oder in Form eines GDPdU-Outputs zur Verfügung zu stellen. Diese Erlaubnis wird vom Finanzamt bei gleichzeitiger Ankündigung einer vorgezogenen Betriebsprüfung in der Regel gewährt. Viele Unternehmen wählen diese Variante.

  • Die alten Daten werden komplett in ein Archiv-system mit entsprechender Software überspielt. Für das Archivsystem muss Software erworben und Hardware bereitgestellt werden. Es bestehen dann zwei Systeme nebeneinander. Bisher hat sich laut SoftM noch kein Kunde für diese Variante entschieden.

  • "Einmotten" des alten Systems. Diese Variante kann sich anbieten, wenn mit dem Systemwechsel auch die Rechnerplattform gewechselt wird. Das alte System wird dann komplett beiseitegestellt, und man setzt darauf, dass es bei einer Betriebsprüfung wieder problemlos aktivierbar ist. Auch dafür hat sich noch kein Kunde von SoftM entschieden.