Entbündeltes SNA

13.10.1978

"Mehr zentrales Volumen schafft höhere dezentrale Verfügbarkeit und größere Verknüpfungsbreite im zentralen Datenbestand für qualifiziertere Peripherie-Funktionen und mehr Datenstationen." Der dies vor anderthalb Jahren sagte, Cornelius Schulz-Wolfgramm, Nummer eins der IBM-DV-Sales-Force, bekennt sich heute zu einem Networkkonzept, das eine stärkere Dezentralisierung der Kontrolle im Verbundsystem vorsieht. Schulz-Wolfgramm bei der Ankündigung des neuen "Distributed Data Processing"-Produktes 8100: "Das Besondere des Systems ist seine Doppelrolle. Es bietet zugleich beides - die Verarbeitungsleistung einer mittleren Computeranlage und alle für die freie Kommunikation notwendigen Steuerungs- und Sicherungsfunktionen."

Folgte die frühere Schulz-Wolfgrammsche Argumentation (siehe oben) noch ganz dem von SNA (System Network Architecture) vorgezeichneten Zentralisierungs-Approach (Abhängigkeit aller Subsysteme von einem Hostrechner), so akzeptiert IBM heute offensichtlich einen Kompromiß, der den Benutzern - sprich Fachabteilungen - mehr Freiheiten einräumt: Der Marktführer plädiert jetzt voll (ohne wenn und aber) für "Distributed Data Processing" (DDP)

Daß IBM das Ziel hat, den attraktiven DDP-Markt zu beherrschen, das braucht man nicht hinein zu interpretieren. Deshalb ist es müßig" darüber zu spekulieren, ob IBMs nunmehriges DDP-Manifest auf "Halbherzigkeit" beruht und lediglich dazu dienen soll, den Minicomputer- und Terminal-Herstellern eine Breitseite vor den Bug zu setzen. Daß die Folgen der 8100-Ankündigung, für -den Wettbewerb verheerend sein können, mag IBM nur recht sein - vordringlichste Aufgabe der "8100-Strategie-Kommission" war die Einschüchterung anderer Marktteilnehmer sicherlich nicht.

Vielmehr versucht der lernfähige Mainframer, seine Kunden mit entsprechender Netzwerk-Hardware (8100 aber auch System /34, und Serie /1 sowie mit leistungsfähigen Transaktions-Programmen zu mehr Datenkommunikation zu animieren.

Dafür spricht: Das neue Informationssystem soll "zehntausenden Arbeitsplätzen den Weg ins Datenverarbeitungsnetz öffnen" (Originalton Schulz-Wolfgramm). Mit der jüngsten, auch preislich (für IBM-Verhältnisse) bemerkenswerten Ankündigung des 3790-Nachfolgers wird deutlich, daß es IBM dabei um mehr geht, als "Spielregeln" für die Datenfernverarbeitung festzuschreiben. So betont denn auch Schulz-Wolfgramm die 8100-Architektur als "praktisches Gegenstück zum SNA-Konzept".

Im Klartext: SNA blieb wohl mehr oder weniger graue Theorie - jetzt sollen Datenstationen verkauft werden. Es paßt genau ins Bild, daß die 8100-Ankündigungs-Kampagne auf das "Reizwort" SNA nahezu ganz verzichtet: Die Netzwerk-Konzeptionisten wollen keine Kompatibilitäts-Schwierigkeiten provozieren.

So ist es auch nur konsequent, daß IBM durch eine "offene" Bilanzierung der eigenen SNA/SDLC-Vergangenheit etwaigen Fehlinterpretationen der neuen DDP-Philosophie von vornherein den Nährboden entziehen will. Schulz-Wolfgramm bündig: "Wir hatten bisher verschiedene Ansätze zur Verwirklichung von Datenkommunikation im Netz. Jetzt haben wir eine generalisierte Plattform."

Falsch ist, daraus zu schließen, Alleinstellungs-Anspruch von SNA werde aufgegeben. Der Marktführer verhält sich einfach nach innen

- den eigenen Kunden gegenüber - und außen - dem Wettbewerb gegenüber flexibler als noch vor einem Jahr. Daß zu einem Neubeginn auch gehört, die Endlichkeit bestehender DDP-Produkte zu offenbaren - auch IBM hat's erkannt und handelt danach. Zitat Schulz-Wolfgramm: "Für mich ist mit der neuen Hardware das Kapitel 3790 beendet." Doch bei aller behaupteten Rigorosität wird nicht verabsäumt, auf die Komplexität der angebotenen Steuerungs-Software für Kommunikationsgesetze hinzuweisen. Benutzern und IBM-Konkurrenten ist Schulz-Wolframms Aussage ins Stammbuch zu schreiben: "Es kommt längst nicht mehr auf die Streuung von Kapazitäten an . . . fast-schwieriger ist es, den erforderlichen Organisationsstand beim Anwender zu erreichen, um das zu implementieren.