Zukunft des Desktops/Windows-Terminals:

Ende der PC-Sorgen?

18.09.1998

Das Umdenken kam ziemlich schnell. Plötzlich sind nicht mehr die Neuerungen der nächsten Softwareversion interessant, sondern eine Technik, die Features in Frage stellt: die Terminaltechnologie. Was macht sie für Unternehmen so interessant?

Der erste wesentliche Faktor besteht wohl darin, daß sich jeder beliebige Client dafür nutzen läßt. Genau genommen geht es um die Entkopplung der Client-Spezifikation und der Datenübertragung von der eigentlichen Anwendung. Das hat Folgen: Sowohl die bis-her konventionell erstellten Windows-Applikationen als auch alle zukünftigen Anwendungen, beispielsweise die auf Basis von Java oder ähnlichem, lassen sich einsetzen. Und zwar auf nahezu jedem beliebigen Client, sogar solchen mit niedriger Leistung.

Der zweite wichtige Faktor ist die Tatsache, daß die Terminaltechnologie das Beste aus zwei bisher konträren Systemwelten vereint. Sie kombiniert die Vorteile der klassischen Host-Systeme mit denen aktueller Programme. Aus der Welt der Host-Systeme zählen vor allem die zentrale Administration und der geringe Supportaufwand für die Terminals. Aus der Windows-PC-Welt kommen Benutzeroberflächen und Anwendungen hinzu.

Die Windows-Terminaltechnologie bietet damit schon einige allgemeine Pluspunkte. Allerdings hat in der Regel jedes Unternehmen, das sich heute mit ihr beschäftigt, durchaus auch spezifische Beweggründe.

Die Hersteller propagieren sie als ideales Mittel zur Senkung der Total Cost of Ownership (TCO). Ein Argument, das erst einmal hellhörig macht. Tatsächlich lassen sich die Gesamt-DV-Kosten senken; es bedarf dafür jedoch zunächst einiger Investitionen für die Server-Ausstattung und Lizenzen.

Weiterhin ermöglicht die Terminaltechnologie Lösungen, die vorher wirtschaftlich nicht realisierbar waren. So lassen sich nun auch Zweigstellen, Außendienst und Home-Offices zu vernünftigen Kosten online in Firmen-LANs einbinden.

Ein wichtiger Pluspunkt ist in der zentralen Installation der Applikationen zu sehen. Der Anwender kann erheblich schneller und effizienter, als das bei den heutigen Strukturen möglich ist, sämtliche vorhandenen Applikationen zur Verfügung gestellt bekommen. Das sorgt nicht zuletzt auf Nutzerseite für eine höhere Zufriedenheit.

Nicht unbedeutend ist außerdem, daß die Windows-Terminaltechnologie die Weiterverwendung älterer Rechner erlaubt. Das bedeutet nicht nur, daß sich ihre Nutzungsdauer verlängert. Auf diese Weise lassen sich auch die Investitionszyklen von Soft- und Hardware entkoppeln. So kann beispielsweise eine unternehmensweite Migration auf ein 32-Bit-System selbst dann stattfinden, wenn die Arbeitsplatzrechner noch nicht 32-Bit-fähig sind.

Vorhandene Geräte langfristig nutzen

Dank der möglichen Einbindung nahezu jedes beliebigen Clients - seien es Windows-PCs, Unix-, OS/2-Maschinen oder Macs - können die zahlreich vorhandenen Windows-Applikationen auch auf den bisher nicht integrierten Arbeitsplätzen laufen. Damit wären die im Unternehmen vorhandenen Ressourcen optimal genutzt. Auch der nicht selten parallele Einsatz von Unix-Arbeitsplätzen und Windows-PCs gehört dann der Vergangenheit an.

Unter Umständen lösen Windows-Terminals auch ein Performance-Problem im LAN und WAN. Denn für die Übertragung der Daten vom Client zum Terminal-Server sind nur geringe Bandbreiten nötig, um ein störungsfreies, effektives Arbeiten zu erlauben.

Interessanterweise zeigt sich in den ersten Beratungsgesprächen mit Unternehmen zu diesem Thema und in einer Potentialanalyse, daß es meist deutlich mehr Anwendungsbereiche gibt, als es die Firmen auf den ersten Blick selbst erkannt haben.

Häufig gehen sie zunächst nur von der Idee aus, eine spezielle Aufgabe durch den Einsatz der Terminaltechnologie zu lösen - und allenfalls später zum Aufbau einer kompletten Plattform für das Unternehmen zu gelangen.

So wird etwa für die Realisierung des Remote-Zugriffs eine Lösung gesucht. Vielfach geht es auch darum, einer bestimmten Benutzergruppe wie den Administratoren oder der Geschäftsführung spezielle Applikationen zur Verfügung zu stellen. Insbesondere für sie ist ein kompletter Remote-Zugriff besonders interessant, um von jedem beliebigen Ort auf das Netz zugreifen zu können.

Insgesamt eröffnen sich aber mehrere Ansätze, die Windows-Terminaltechnologie im Unternehmen zu implementieren. Prinzipiell gibt es drei Ansätze, die zum Tragen kommen können: Sie soll firmenweit zur strategischen Plattform reifen; sie soll Anforderungen in einer Nische erfüllen; oder sie gilt als Migrationslösung.

Doch unabhängig davon, welche Lösung das Unternehmen anstrebt, gibt es selbstverständlich immer auch Restriktionen, die bei der Entscheidung zu berücksichtigen sind. Die Qualität, Effektivität und Stabilität der Nutzung hängen stark sowohl von den zu nutzenden Applikationen als auch von den Anwenderprofilen ab.

So ist die Windows-Terminaltechnologie für Poweruser nur bedingt geeignet. Komplizierte Grafiksoftware, wie CAD- und Multimedia-Programme, belasten den Server weit über Gebühr. Es ist daher abzuwägen, ob diese Arbeitsplätze zu Lasten des Servers integriert oder in einer klassischen Client-Server-Konfiguration belassen werden.

Im übrigen benutzen immer mehr mobile Anwender ein Notebook, nach dem heutigen Stand der Technik ein Fat Client. Wichtig ist also, daß sich in den meisten Fällen nicht die komplette PC-Struktur auf Windows-Terminals umstellen läßt.

Im Prinzip sind auf den neuen Thin Clients fast alle Applikationen lauffähig, wobei aber 16-Bit-Versionen den Server weit stärker belasten als 32-Bit-Pendants. Für jede Software müssen im Vorfeld die Funktionalitäten getestet werden, um deren einwandfreien Betrieb zu gewährleisten. Auch ein Clustering zum unterbrechungsfreien Betrieb für den Fall eines Server-Defekts ist noch in der Entwicklung.

Die verschiedenen Restriktionen verlangen ein konsequentes Vorgehen. Im Vorfeld sind für jedes Unternehmen eine individuelle Analyse und eine anschließende strategische Planung erforderlich, um Fehler zu vermeiden und die Investitionen zu sichern.

Die Investitionskosten fallen im Vergleich zu denen von normalen Client-Server-Systemen nicht deutlich anders aus. Die Lizenzkosten steigen, die Ausgaben für die Hardware sinken kaum oder bleiben im ersten Schritt sogar gleich. Denn jetzt müssen zwar keine neuen Clients angeschafft werden, dafür aber neue, extrem leistungsfähige Server. Die normalen File- und Print-Server des Unternehmens bleiben bestehen, allerdings sind neue Applika- tions-Server nötig.

Wesentlich ist hierbei, daß für die Server ein regelrechter Rechenzentrumsbetrieb aufgebaut wird. Es ist für jedes Unternehmen notwendig, neben der produktiven DV-Umgebung ein Entwicklungs- und ein Backup-System aufzubauen. Dazu gehört neben einem Betriebskonzept mit Notfall- und Backup-Plan im Rahmen eines umfangreichen Sicherheitskonzepts auch eine überlegte Systemadministration.

Einige Vorteile der Terminalkonzeption stellen sich sofort bei Inbetriebnahme ein. So sinken die Gesamtbetreuungskosten deutlich. Neben dem geringeren Supportaufwand reduzieren sich insbesondere die Ausgaben für die PC-Installation und -Instandhaltung. Durch die einfachere Konfiguration der PCs oder gar durch den Einsatz von Windows-Terminals entfällt der Einsatz von hochqualifiziertem Fachpersonal.

Ein weiteres wichtiges Einsparungspotential entsteht durch die Entlastung des Netzwerks, da im LAN nur noch 10 bis 30 Kbit je Endgerät nötig sind. Bei einem schwachen Netzwerk, das sich aktuell an der Leistungsgrenze befindet, sind keine Ausbauinvestitionen erforderlich. Dennoch wird die Verfügbarkeit der Applikationen erheblich gesteigert.

Die Ausfallsicherheit beim Server läßt sich schon heute durch die Verwendung eines Tools von Citrix erhöhen. Das sogenannte Load-Balancing, das für eine dynamische Verteilung der Anwenderzugriffe auf die Server sorgt, macht es bei einem Server-Ausfall möglich, daß die User umgehend weiterarbeiten können, wenn sie sich erneut anmelden. Auf diese Weise ist der Schaden bei einem Server-Ausfall begrenzt.

Per Verschlüsselung des Datenverkehrs zwischen Server und Endgerät läßt sich die Sicherheit des Netzes steigern. Allerdings ist hier aufgrund der amerikanischen Exportbedingungen nur eine 40-Bit-Verschlüsselung möglich.

Vor diesem Hintergrund ist bei der Einführung der Windows-Terminaltechnologie ein dediziertes Vorgehen unerläßlich: Je nach Einsatzgebiet betrifft dies sämtliche Applikationen und alle Komponenten der Netzwerkplattform, angefangen vom LAN, WAN über Client, Server bis hin zu Sicherheitsmaßnahmen und Betriebskonzepten.

Die Einführung geht idealerweise in mehreren Schritten vor sich. In der Potentialanalyse wird der Bedarf des Unternehmens ermittelt und im Hinblick auf die Windows-Terminaltechnologie bewertet. Dafür sind weitreichende firmenspezifische Informationen nötig. Andernfalls lassen sich keine Aussagen über die Konfiguration der Server hinsichtlich der erforderlichen Speicherkapazität und möglicher User-Zugriffe treffen.

Das Anwenderumfeld im Unternehmen ist für die Auswahl der Server von größter Bedeutung. Daher ist vor der Konzeption ein Test der Applikationen und Nutzerprofile unerläßlich. Im Testumfeld wird die Software auf Funktionalität getestet, und die verschiedenen Anwendergruppen werden analysiert. Es folgt ein Strategie- und Umsetzungskonzept samt Budgetierung. Vor dem Roll-out findet schließlich eine Pilotinstallation unter Realbedingungen statt.

Angesichts der umfangreichen Vorarbeiten dürften Unternehmen dazu neigen, sich ein Beraterteam ins Boot zu holen, das allerdings einige Kompetenz mitbrigen sollte, um den Wert der neuen Technologie auch wirklich auszuschöpfen. Nur wer sich mit der kompletten Hard- und Softwareplattform, System-Management, Sicherheitskonzept und den eingesetzten Applikationen auskennt und das firmenindividuelle Customizing beherrscht, kann weiterhelfen.

Bei guter Vorbereitung und Konzeption schafft die Terminaltechnologie eine offene Welt für den Einsatz beliebiger Clients. Somit wird die Auswahl der Clients nicht mehr durch die Anforderungen der Software bestimmt, sondern durch das Anforderungsprofil des Unternehmens insgesamt und das des Anwenders im einzelnen.

Unberührt bleibt hier die Frage, ob in absehbarer Zeit alle benötigten Applikationen Browser-fähig werden und damit die NCs eine echte Alternative zu den heutigen Desktop-Systemen bilden werden. Da sich aber Windows-Terminals sowohl für die bisherigen Anwendungen als auch für die derzeit verstärkt aufkommenden Browser-Anwendungen optimal eignen, stellen sie einen technologisch sicheren Weg dar.

Olaf Götz ist Geschäftsführer der Go-net Netzwerk- und Datensysteme GmbH in Dortmund.