Emanzipation

17.08.1979

Schon zweimal in diesem Jahr ist die IBM an die Grenzen ihrer Marktmacht gestoßen - und hat dabei an Glaubwürdigkeit auch bei den eigenen Kunden eingebüßt. Folge: Deutschlands IBM-Kunden beginnen sich vom Marktführer zu emanzipieren.

Fall Nummer eins: Die Lieferlotterie für die E-Serien-Modelle 4331 und 4341. Das Gerücht von IBMs Lieferschwierigkeit, zunächst in Marktbeobachterkreisen, dann aber auch in Anwenderzirkeln kolportiert, klang zunächst nach Sensation. Doch sehr schnell stellte sich heraus, daß die Gerüchteköche nicht übertrieben hatten - die Kundenreaktion war offenbar Ernüchterung. Indizien für diese Vermutung fand die COMPUTERWOCHE, als sie Anwenderstimmen zur IBM-Zuteilungspolitik einholte. Schlagzeilte die CW in ihrer Ausgabe vom 1. Juni 1979: "Unmut über 4300-Liefertermine wächst."

Gereizt auch die Reaktion der IBM-Anwender auf die Mietpreiserhöhung für die Systeme /32, /34, /3, /370 und 303X (CW-Nr. 27 vom 6. Juli 1979).

Nun hat IBM vor der Schwierigkeit kapituliert, den Datenbankcomputer System /38 zum geplanten Auslieferungstermin startklar zu kriegen. Lakonische IBM-Erklärung: Die Integration der neuen Software brauche zusätzliche Zeit. Zugegeben: Daß die Entwicklung von Software-Systemen ins Stottern gerät, ist ein an sich normaler Vorgang. Daran hat man sich in der Branche gewöhnt - auch bei allen anderen Herstellern.

Man liegt sicher auch nicht falsch mit der Annahme, daß einige /38-Besteller IBM ob der Lieferterminverschiebung nicht gram sind, weil ihnen so erspart bleibt, zu erwartende Umstellungsschwierigkeiten betriebsintern zugeben zu müssen.

Das ändert nichts an der Tatsache, daß die jüngste IBM-Aktion ein marktpolitischer Tiefschlag ist.

Die /38-Datenbank wurde ja nicht als irgendeine evolutionäre Software-Entwicklung angekündigt, sondern als absolute Novität, als Meilenstein in der Datenbank-Geschichte.

Welcher System /3-Anwender hatte da noch Augen für die Konkurrenz?

Ergebnis: Das System /3-Ablösegeschäft kam nahezu ganz zum Erliegen - ein harter (Tief-)Schlag für Hersteller wie Univac, Honeywell Bull, NCR und Nixdorf.

Es sieht allerdings so aus, als ob der Branchenriese den Bogen diesmal überspannt hat: Deutschlands IBM-Kunden beginnen sich vom Marktführer zu emanzipieren.

Bumerang

Das fast konkurrenzlos hohe Durchschnittseinkommen der Datenverarbeiter ist nicht zuletzt durch ihre Sonderstellung im Unternehmen verursacht. Das DV-Spezialwissen, das Einkomensworteile verschafft erweist sich jedoch gleichzeitig als Bumerang: DV-Mitarbeiter haben es schwer, in die Geschäftsleitung aufzusteigen. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage, die die COMPUTERWOCHE zum Thema "Aufstiegschancen" durchgeführt hat.

Während Manager aus Vertrieb, Fertigung und Rechnungswesen in Vorstandspositionen aufrücken, bleiben DV-Führungskräfte meist in Stabsabteilungen hängen. Personalfachleute und Branchenkenner streiten sich über die Gründe der Chancenungleichheit. Für Paul G. Dolan, Geschäftsführer der Dolan Consulting GmbH, Frankfurt, ist die "Jugend" der Branche dafür verantwortlich, daß es DV-Leiter bisher so schwer hatten weiterzukommen (vergleiche Gastkommentar, Seite 6).

Organisationsleiter Jürgen Dold von der Netheler + Hinz GmbH, Hamburg vermutet indessen "eine bisher zu starke Bezugnahme der DV-Verantwortlichen auf ihr spezielles Fach" als Ursache des "Sackgassen-Effektes". Und der Berliner EDV-Chef Hans Günther Lippert sieht die Leistung der Datenverarbeitung "schon allein deshalb laufend unterbewertet, weil das eigentliche Betriebsgeschehen an den EDV-Abteilungen zwangsläufig vorbeigeht". (Thema der Woche, Seite 5)

Paul Dolan verheißt freilich bessere Zeiten: "EDV-Leute werden mehr und mehr das Sagen haben." Sein Wort in das Ohr der Top-Manager!