Noch kein einheitlicher Standard

Dynamisches HTML soll Web-Clients aufwerten

02.01.1998

Bis vor kurzem verstand man un-ter dynamischem HTML ausschließlich die spontane Erzeugung von Web-Seiten durch Server-Prozesse. Diese kombinieren zumeist Abfrageergebnisse aus Datenbanken mit HTML-Vorlagen, um Anforderungen von Web-Clients zu beantworten. Mittlerweile freilich propagieren Netscape und Microsoft DHTML als Technologie, die Web-Seiten ansprechender und flexibler machen soll.

Einig sind sich die beiden Rivalen nämlich darüber, daß HTML im Vergleich zu herkömmlichen CD-ROM-Multimedia-Anwendungen zu viele Beschränkungen aufweist. Ziel von dynamischem HTML ist es, Web-Seiten so gestalten zu können, daß sie selbständig auf Benutzereingaben reagieren und dabei Layout und Inhalt ändern können. Beispielsweise könnte sich die Schriftgröße eines Textabschnitts ändern, wenn der Anwender den Mauszeiger darüber bewegt. Oder das Anklicken einer Überschrift im Inhaltsverzeichnis könnte dazu führen, daß alle untergeordneten Kapitelüberschriften sichtbar werden - ohne daß wie bisher gleich ein neues Dokument vom Server nachgeladen werden muß. Zu diesem Zweck versammelt und erweitert dynamisches HTML eine Reihe von Techniken, die zum Großteil schon seit längerem verfügbar sind. Dazu zählen Style Sheets, Scripts und die Behandlung von Benutzerereignissen. So sehr die beiden Browser-Kontrahenten die weitere Anreicherung von Web-Seiten mit Funktionalität befürworten, so wenig stimmen sie bei deren technischer Realisierung überein.

"Unsere Devise heißt abwarten, bis ein Standard für DHTML vorliegt", meint deshalb Dieter Siegmund von der Agentur Baselab stellvertretend für die meisten Web-De- signer. Ausschlaggebend dafür ist nicht nur der hohe Aufwand für das Erstellen und Pflegen von zwei unterschiedlichen DHTML-Angeboten - seine Zurückhaltung begründet er auch mit der immer noch relativ geringen Verbreitung der neuesten Browser-Versionen. Anwender müssen aber nicht auf alles verzichten, was unter dem Sammelbegriff DHTML auftaucht.

Im Gleichschritt marschieren wollen nämlich Netscape und Microsoft überall dort, wo bereits Standards definiert wurden. So verwenden die aktuellen Versionen von "Internet Explorer" (IE) und "Navigator" Cascading Style Sheets (CSS) konform mit der Vorgabe des W3-Consortium (W3C).

Diese Technik dient dazu, Formatierungsangaben von der inhaltlichen Auszeichnung der Texte zu trennen. Wenn in der Vergangenheit eine Textpassage beispielsweise als Überschrift ausgewiesen war, dann hing die Bildschirmdarstellung vom verwendeten Browser ab.

Anbieter mit geringerer Marktpräsenz mußten sich daher nach Netscape richten, um eine brauchbare Präsentation von Web-Seiten mit ihrer Software zu erzielen. In der Folge wurde HTML durch proprietäre Kennungen für Formatierungsmerkmale erweitert, die eigentlich nicht im Sinne der Auszeichnungssprache sind. Von deren Gebrauch rät das W3C inzwischen ab.

Stylesheets trennen Formatierung vom Inhalt

Auf der schwarzen Liste stehen Tags wie "PLAINTEXT", "CENTER", "FONT", "BASEFONT" oder "STRIKE". Einen wesentlichen Fortschritt bringen CSS nicht nur durch eine Bereinigung von HTML, sondern vor allem durch die erweiterten Möglichkeiten der Formatierung. Textelemente und Grafiken lassen sich damit pixelgenau positionieren, Schriftgrößen sind nicht mehr auf die bisherigen sieben Stufen beschränkt.

Wenn die Möglichkeiten von CSS für Designer auch erfreulich sind, die angestrebten Verbesserungen bei der Benutzerinteraktion bringen sie alleine nicht zuwege. Zu diesem Zweck müssen Browser die Anwenderaktivitäten auf konsistente Weise behandeln und Dokumentelemente für die Manipulation durch Scripts zugänglich machen. Leisten sollen dies Objektmodelle für Web-Seiten - und bei diesen gehen Microsoft und Netscape bis dato getrennte Wege. Microsoft reichte beim W3C die im IE 4 realisierte Variante bereits zur Standardisierung ein. Dieses Document Object Model (DOM) liegt mittlerweile als Entwurf http://www.w3.org/TR/WD-DOM vor und hat gute Chancen, den Segen des Gremiums zu bekommen. Es erschließt im Gegensatz zu Netscapes Gegenstück jedes Element einer HTML-Seite für Scripts, darunter auch Styles. Auf diese Weise lassen sich Animationen erzielen, weil eine Routine beispielsweise die Positionierungsangaben von Textelementen oder Grafiken laufend verändern kann. Netscape entwickelte für diesen Zweck eine eigene Technik, Programmierer können auf Style-Definitionen aber nicht per Script zugreifen. Die statt dessen von der Barksdale-Company eingeführte HTML-Markierung "LAYER" wurde vom W3C aber schon abgelehnt und fand auch vorher keinen besonderen Zuspruch bei Anbietern von Web-Inhalten.

Für eine Vereinheitlichung der Benutzerinteraktion sieht dieses Objektmodell auch eine übergreifende Behandlung von Maus- und Tastaturereignissen vor. Auch hier beschreitet DHTML keine prinzipiell neuen Wege, sondern führt nur fort, was Netscape mit Javascript-Events in der Version 2.0 seines Browsers einführte. Der DOM-Entwurf des W3C definiert ein sogenanntes Event-Bubbling, bei dem Mausklicks oder Tastenanschläge an übergeordnete Elemente weitergereicht werden, falls sie von einem darunterliegenden nicht abgearbeitet wurden.

In puncto Objektmodell hat Microsoft mit dem IE 4 derzeit die Nase vorn und stimmt auch stärker mit den erwarteten Standards überein. Allerdings weist Oliver Hoeveler, Product Marketing Manager bei Netscape Deutschland, darauf hin, daß im Browser-Krieg technische Vorsprünge aufgrund der kurzen Produktzyklen nicht von langer Dauer sind. Der Navigator befindet sich schon ein halbes Jahr länger auf dem Markt als der IE und werde mit der Version 5 die neuesten Standards berücksichtigen.

Im Bemühen um immer attraktivere Web-Seiten machen die beiden Browser-Kontrahenten aber nicht bei diesen Basistechnologien für DHTML halt. Je nach Positionierung der erweiterten Markup-Language kommen noch Features hinzu. Microsoft will mit dieser Web-Technologie bei Front-ends für Geschäftsanwendungen gegen Java konkurrieren. Deshalb gehört zur DHTML-Variante der Gates-Company eine sogenannte "Data Awareness". Darunter fällt die Möglichkeit, für Datensätze automatisch HTML-Tabellen generieren zu lassen oder einzelne Seitenelemente bestimmten Datenbankfeldern zuzuordnen. Diese lassen sich dann am Client neu sortieren und gezielt aktualisieren, ohne daß das ganze Dokument vom Server nachgeladen werden muß. Hinter diesen Funktionen verbergen sich allerdings Active X Controls, die nur in den 32-Bit- Windows-Versionen des IE zur Verfügung stehen.

Netscape hingegen gibt bei Front-ends für die Transaktionsverarbeitung Java den Vorzug und sieht DHTML vor allem als Mittel für die Aufbereitung von multimedialem, interaktivem Web-Content. Für zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten sollen dort die Schriftarten dienen, die Net- scape von Bitstream in Lizenz genommen hat. Diese Fonts lassen sich bei Bedarf in den Navigator herunterladen. Netscape hat die "Truedoc"-Technologie beim W3C zur Standardisierung eingereicht, stößt dort aber wohl auf einige Widerstände (siehe CW Nr. 35 vom 29. August 1997, Seite 22).

Probleme durch inkom- patible Scriptsprachen

Insgesamt dürfte die in der letzten Woche verabschiedete Spezifikation von HTML 4.0 und die erwartete Standardisierung des Document Object Model den Rummel um DHTML dämpfen. Unabhängig davon sorgen aber weiterhin die vorhandenen Unterschiede in den Scriptsprachen für Mehraufwand beim Web-Design. Netscape unterstützt Visual Basic Script gar nicht, Microsofts Javascript weicht von Netscapes Variante erheblich ab. Standardisierungsprozesse werden die beiden Browser-Kontrahenten nicht daran hindern, im Wettlauf um immer mehr Funktionen proprietäre Technologien ins Internet zu drücken. Akzeptanz finden diese eigentlich nur bei Content-Anbietern, die sich vertraglich an einen der beiden Hersteller binden. So mußte Baselab beim Push-Angebot von Pro Sieben keine Rücksicht auf die bestehende Browser-Vielfalt nehmen, da sich der Kirch-Sender mit einem Marketing-Deal auf die Microsoft-Technologie festgelegt hatte.