Die Zeche zahlen oft die Mitarbeiter

23.11.2005
Von 
Winfried Gertz ist Journalist in München. Er arbeitet in einem Netzwerk von zahlreichen Anbietern kreativer Dienstleistungen. Das Spektrum reicht von redaktioneller Hörfunk- und Fernsehproduktion über professionelle Fotografie bis zu Werbetexten für Industrieunternehmen und Non-Profit-Organisationen.
Outsourcing eröffnet neue Karrierpfade - oder führt direkt in die Arbeitslosigkeit. Betroffene IT-Experten schildern ihr Schicksal.

Der Betriebsrat der Deutchen Bank staunt Bauklötze. Was der IBM-Vertriebsmann ihm gerade in der S-Bahn verrät, dürfte vielen bei dem Finanzinstitut beschäftigten IT-Kollegen in den kommenden Wochen schlaflose Nächte bereiten. An die explosive Stimmung in der anderntags anlässlich des bevorstehenden Outsourcing-Projekts einberufenen Betriebsversammlung erinnert sich Doris Keppler, im Frühjahr 2002 Teamleiterin in der Systemprogrammierung, noch heute haargenau. "Jahrelang haben wir uns krumm gelegt", schäumten Mitarbeiter vor Wut, "und als Dank werfen sie uns nun raus."

Hier lesen Sie …

• wie unterschiedlich betroffene Mitarbeiter das Outsourcing beurteilen;

• welche Fehler das Management macht;

• warum nicht nur Mitarbeiter Veränderungsbereitschaft zeigen müssen.

Kommunikationsnotstand

• Zwei Drittel der Mitarbeiter in deutschen Unternehmen erfahren wichtige Neuigkeiten über den Flurfunk und nicht von ihren Vorgesetzten. (Quelle: ISR)

• Manager leiten Informationen nur zögerlich weiter und meiden regen Austausch mit ihren Mitarbeitern. (Quelle: Fleishman-Hillard)

• Als Führungsinstrument wird das Mitarbeitergespräch in anderen europäischen Ländern wesentlich häufiger und zugleich professioneller eingesetzt. (Quelle: StepStone)

• 80 Prozent der Konflikte in Betrieben gehen auf das Konto mangelhafter Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. (Quelle: IFF Dr. Frey)

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1060858: Wenn Mitarbeiter wechseln;

1067404: Der verordnete Arbeitsplatzwechsel.

Outsourcing-Deals mit Mitarbeiterübergang (Auswahl)

Anwenderunternehmen Künftiger Zahl der Ausgelagerte Dienste Arbeitgeber betroffenen Mitarbeiter

Gerling SBS 280 RZ-, Desktop- und Netzbetrieb

Sparkasse München IZB 200 IT-Betrieb

E-Plus Atos Origin 180 IT-Infrastruktur, Applikations-Management

Fraport Gedas 120 IT-Betrieb

Unilever Accenture ca. 120 IT-Infrastruktur (angekündigt)

Haspa Wincor Nixdorf 90 IT-Betrieb

Flughafen Düsseldorf Sita 63 Komplett-Outsourcing

Deutsche BP Atos Origin 50 Anwendungs-Management

Deutsche Bank Logica CMG 39 Anwendungsentwicklung

IVG T-Systems 25 IT-Betrieb

In den seltensten Fällen wird die Belegschaft auf einschneidende Veränderungen etwa durch Auslagerungsvorhaben rechtzeitig vorbereitet. Vielen Managern ist vertrauensbildende Kommunikation unbekannt, die Führung und Motivation ihrer Mitarbeiter eher lästig. "In den vergangenen zehn Jahren hat die Beachtung von Mitarbeiterinteressen tendenziell nachgelassen", beobachtet etwa Lothar Rolke, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Mainz. Mit der eigenen Belegschaft spricht das Management deutlich weniger als mit Kunden.

Wütende Mitarbeiter

Erst wenn die gewünschten Einsparungs- und Gewinnziele auf beiden Seiten fixiert und Verträge ratifiziert sind, wird die Katze aus dem Sack gelassen. Sickert die Nachricht wie beim Infrastruktur-Outsourcing-Projekt von Deutscher Bank und IBM dennoch frühzeitig durch, haben Betriebs- und Personalräte, Vertrauensleute und Führungskräfte alle Hände voll zu tun, um dem aufschäumenden Gefühlschaos Herr zu werden. Keppler: "Viele Kollegen drohten, alles hinzuschmeißen", schildert Keppler.

Von Mitarbeiterbelangen ist die in IT- und Management-Kreisen geführte Outsourcing-Debatte heute gänzlich frei. Statt sich Gedanken um die schlechte Außendarstellung zu machen, die Versäumnisse in der Kommunikation mit den Mitarbeitern bewirken, erwecken die Branchenvertreter den Anschein, der Auslagerungszug lege nun erst richtig an Tempo zu. Laut IT-Verband Bitkom soll der Umfang ausgelagerter IT-Dienstleistungen in Deutschland von zehn Milliarden Euro im Jahr 2003 auf 17 Milliarden Euro in 2008 steigen. "Damit entsteht eine neue Schlüsselindustrie", heißt es in Berlin.

Einige schaffen den Aufstieg

Auch wenn es den Anschein hat, ist Outsourcing nicht nur auf ein Geschäftsmodell zu reduzieren, das einzig von nüchternen Zahlen geprägt ist. Die Auslagerungsprojekte zeigen zudem, wie Unternehmen und ihre Akteure mit zweifelsfrei notwendigen Veränderungen umgehen. Während die einen mit den Neuerungen kaum klar kommen, nutzen andere die Gelegenheit zum beruflichen Durchmarsch. "Wenn man den Kopf nicht in den Sand steckt", betont Keppler, "erhält man eine große Chance, etwas aus sich zu machen." Ähnlich lautet das Resümee von Thomas Otremba, 2003 mit rund 110 Kollegen aus IT-Infrastruktur und Betrieb von Thomas Cook zu Lufthansa Systems gewechselt: "Heute bin ich überzeugt", fasst der einstige Teamleiter für Mainframe und SAP überraschend zusammen, "ich hätte schon viel früher wechseln sollen."

Outsourcing gleicht oft einem Himmelfahrtskommando, kann Mitarbeitern aber auch neue Perspektiven eröffnen. Trotz großer Verunsicherung zum Start des Auslagerungsprojekts fühlen sich Keppler und Otremba in ihrem neuen Berufsfeld wohler denn je. Während die 43-jährige Informatikerin und Bankkauffrau inzwischen in die Planung von Outsourcing-Verträgen involviert ist, sorgt Senior-Berater Otremba, 47, in SAP-Projekten für den konzeptionellen Feinschliff.

Geschichten aus der Halbwelt

Sich lediglich auf die Mut machenden Erfolgsstorys zu konzentrieren, würde aber ein schiefes Bild vermitteln. Mindestens ebenso oft trifft man auf das Gegenteil. Während Manager und ihre Berater unentwegt verkünden, die Auslagerung der IT würde erhebliche Kosten- und Servicevorteile mit sich bringen, blickt Hardy Meier (Name geändert), ein inzwischen arbeitsloser ehemaliger Projektleiter eines deutschen IT-Dienstleisters, enttäuscht zurück. "Es geht nur um Gewinn", schimpft Meier, der ein Outsourcing-Projekt in der Chemieindustrie verantwortete. "Moral bleibt auf der Strecke."

Was Meier schildert erinnert an Geschichten aus der Halbwelt. Mit dem Auftrag, jeden Bereich auf Herz und Nieren zu überprüfen und altgediente Mitarbeiter auf Schlüsselpositionen wie IT-Leiter, Netzwerk- und Helpdesk-Manager auszufragen, schleuste Meier zwei Freelancer in die IT ein. So floss dem Dienstleister immenses Wissen zu; etwa darüber, welche Bereiche womöglich den größten Profit abwerfen oder welche Mitarbeiter - wie beim Outsourcing durchaus üblich - nicht weiter beschäftigt werden sollen. "Anders kommt man an Informationen nicht heran", schildert er, "denn IT-Mitarbeiter dokumentieren und berichten nicht gerne." Als die Pläne bekannt gegeben wurden, stieg die Belegschaft auf die Barrikaden. "Die liefen Amok", sagt Meier, der einräumt, allein wegen der hohen Projektprämie sich auf das Spiel eingelassen zu haben. "Wenn der Bonus stimmt, schaltet jeder Projektleiter Verstand und Moralempfinden aus."

Harte Bandagen wurden auch anderswo angelegt. "Die Stimmung der Mitarbeiter, die ja maßgeblichen Einfluss auf die Kreativität und den Arbeitswillen hat", beschreibt Karl Bauer (Name geändert) seine Outsourcing-Erfahrung, "wurde mit den Jahren zusehends schlechter." Ältere Kollegen, so Bauer, wurden nach dem Wechsel von der deutschen Aktiengesellschaft zu einem globalen IT-Riesen in Altersteilzeit gemobbt; während hochqualifizierte IT-Profis flugs absprangen. "Was vor sieben Jahren für mich mit Begeisterung begann", rekapituliert Bauer, der inzwischen der IT-Branche enttäuscht den Rücken gekehrt hat, "ist zu einem Trauerspiel geworden."

Wer meint, hier beglichen einige Frustrierte nur offene Rechnungen, irrt. "So kann Dienstleistung als ein von Menschen betriebenes Geschäft nicht funktionieren", verweist Andreas Burau, Research Director der Experton Group, auf gravierende Managementfehler. In vielen Projekten würde sich die Bedeutung der "weichen" Faktoren wie Wissen, Motivation und Identifikation nicht hinreichend in der betriebswirtschaftlichen Planung niederschlagen. Dies bestätigt Ralf Seidler, 47, freiberuflicher Consultant im Großrechnerumfeld und vor Jahren selbst von einem Versicherungskonzern outgesourct. "Kann ich meine Arbeit nicht ordentlich leisten, hat das auch Auswirkung auf die Motivation der Mitarbeiter."

Leistung und Motivation im Keller

Während Seidler vor allem den nachlässigen Umgang mit Service Level Agreements (SLA) kritisiert und darin einen zentralen Grund erkennt, warum "Stimmung, Motivation und Leistungsniveau auf beiden Seiten in den Keller rauschen", ist Unternehmensberaterin Monika Rösler täglich mit Entscheidern konfrontiert, die lieber "die Unsicherheit der Mitarbeiter ausnutzen wollen, nur um den Druck zu erhöhen." Wer im Wandel nur mit Zahlen jongliere und Mitarbeitern Respekt, Anerkennung und Dank verweigere, sagt Helmut Meyer, sei keine Stütze sondern eine Belastung. "Verändern sollen sich allein die Beschäftigten", so der Geschäftsführer der Starnberger Roots and Friends Academy, der als Coach zahlreiche Outsourcing-Projekte begleitet, "für viele Manager gilt das aber nicht."

Überforderte Manager

"Viele Manager haben Angst, dass ihnen die Tränen kommen", beschreibt Meyer das erdrückende emotionale Vakuum, das viele Führungskräfte erheblich belastet. Sich selbst Schwächen einzugestehen und offen darüber zu sprechen, um sich überhaupt in die Seelenwelt von Mitarbeitern einfühlen und sie durch unruhige Zeiten führen zu können, auf diesen Gedanken kämen nur die wenigsten Entscheidungsträger. "Ihr Selbstbild lässt das nicht zu", legt Meyer den Finger in die Wunde. Im konkreten Fall von Harald Berger (Name geändert), der 2002 gemeinsam mit 70 Kollegen zu einem internationalen Dienstleister wechselte, hatte der Change-Management-Prozess folgende Lesart: "Mitarbeiter sind wie Lieferanten zu behandeln. Was keinen Gewinn bringt, ist uninteressant."

"Gefördert", gibt Berger zu Protokoll, werde ein Führungskräfte-Typus, der alles nur von oben betrachtet und "sich um die persönlichen Belange und Sorgen der Kollegen nicht sonderlich schert." Plötzlich kämen sich Mitarbeiter vor wie eine jederzeit austauschbare Ware. Naiv auf rechtlichen Schutz des Paragrafen 613a aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zu vertrauen, hilft auch nicht weiter. "Vor allem Betriebsräte werden leicht über den Tisch gezogen", lässt ein unzufriedener Programmierer ordentlich Dampf ab.

Wahr ist aber auch, wie der Münchener Rechtsanwalt Knut Müller betont, dass von einem IT-Outsourcing betroffene jüngere Arbeitnehmer "die Flexibilisierung ihrer Arbeitsbedingungen begrüßen, ältere Angestellte hingegen oft aus Angst vor Veränderung das Gesetz bemühen." Die ohnehin offene Schere zwischen den Zukunftsperspektiven jüngerer und älterer Mitarbeiter geht beim Outsourcing noch weiter auseinander. "Bereits jede zweite Führungsposition bei CSC wird durch übernommene jüngere Mitarbeiter besetzt", redet Burau Klartext.

Unzufriedene Outsourcing-Partner

Wie man es auch wendet - noch zahlen Mitarbeiter häufig die Zeche. Doch offenbar entdecken die IT-Dienstleister wieder den Wert der IT-Experten, denn immer häufiger positionieren sie sich als attraktive Arbeitgeber und lassen ihren Charme spielen, wie Katharina Grimme vom Marktforschungsinstitut Ovum beobachtet. "Damit wollen sie ihr Image verbessern." Wenn die Ergebnisse jedoch zu wünschen übrig lassen, wie eine noch nicht veröffentlichte Studie der Technischen Universität München bilanziert, bräuchte auch die Werbestrategie dringend frische Impulse. Allem Anschein nach engagieren Unternehmen nämlich die falschen Sparringspartner, die ihnen aus der Konfrontation nicht wirklich heraushelfen. "Es herrscht eine generelle Unzufriedenheit mit IT-Outsourcing", schreibt Professor Horst Wildemann an die Teilnehmer seiner Umfrage. Auf beiden Seiten würden immer mehr Firmen betriebswirtschaftlich mangelhafte Entscheidungen treffen und den Betriebsübergang nachlässig managen. Konsequenz: Eine Vielzahl von Unternehmen holt die ausgelagerten IT-Leistungen wieder zurück.