IT-Visionen/Entscheiden müssen Menschen

Die Technik ist nur ein Hilfsmittel

28.05.2004
Die Unternehmen der Zukunft brauchen vor allem eines: Transparenz. IT spielt dabei eine wichtige Rolle, wird jedoch Analyse und Management-Entscheidungen niemals ersetzen können. Und auch die IT selbst wird sich stark verändern. Damit wird sich auch die Rolle des CIO entscheidend wandeln. Von Martin Lippert*

Wie kann ein optimiertes Unternehmen in, sagen wir, fünf Jahren aussehen? Bevor wir uns an diese Vision wagen, klären wir zunächst einmal den Begriff. Er stammt von Optimum - das Beste. Den Absolutheitsanspruch dieses Superlativs müssen wir sofort wieder relativieren. Es geht nicht um einen Endzustand, sondern um einen Prozess, und die Ziele können in den einzelnen Phasen und Segmenten sehr unterschiedlich sein.

In jüngerer Vergangenheit hießen die Optimierungsziele Kostensenkung und Rationalisierung. Fast alle Unternehmen haben mit mehr oder weniger großem Erfolg entsprechende Programme durchlaufen.

Zurzeit mehren sich die Anzeichen, dass Manager wieder Wachstum ins Auge fassen. Neben Effizienzsteigerung, Rationalisierung und Controlling werden Ausbau des Geschäfts, Entwicklung neuer Produkte und deren Vertrieb als gleichwertige Ziele genannt.

Allerdings liegt die Betonung auf gleichwertig. Die Unternehmen kehren nicht einfach zu Zielen früherer Wachstumsphasen zurück. Der Kollaps der New Economy hat tiefe Spuren hinterlassen. Die Zeit der Investitionen ohne Kontrolle dürfte endgültig vorbei sein.

Expansion - jedoch nicht um jeden Preis

Die erste Prognose lautet also: Ziel der Optimierung ist Expansion - jedoch nicht um jeden Preis, sondern indem mit den eingesetzten Mitteln äußerst sorgfältig umgegangen wird. Das impliziert, dass in allen Teilbereichen ein Höchstmaß an Effizienz angestrebt wird. Der zweite kritische Erfolgsfaktor heißt "Responsiveness" - die Fähigkeit, am Markt sehr schnell und flexibel zu reagieren. Das gilt für alle Unternehmenstypen: Klassische Produktionsbetriebe mit bewährtem Geschäftsmodell und herausragender Kernkompetenz brauchen die stetige Verbesserung im Detail; Unternehmen, die auf ständige Innovationen setzen, müssen immer wieder neue Kompetenzen, Geschäftsmodelle und Produkte entwickeln und diese schnell in den Markt bringen. In beiden Fällen wird Transparenz in allen Bereichen verlangt.

Die richtige Fertigungstiefe finden

Wachstum, ständige Effizienzsteigerung und Responsiveness, damit Transparenz - dies sind die geschäftlichen Ziele, die Optimierungsstrategien der nächsten Jahre prägen werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund eines weiteren ökonomischen Rahmenparameters, der zunehmenden Globalisierung. In multinationalen Organisationen ist es noch wichtiger, genau zu wissen, was in den lokalen Gesellschaften und fachlichen Sparten passiert. In all diesen Fällen adressieren Optimierungsbemühungen zwei Bereiche: einerseits die Unternehmensstruktur, andererseits die Menschen.

Die Strukturen zu optimieren heißt vor allem, die richtige Fertigungstiefe zu finden sowie Teilprozesse aufeinander abzustimmen. Das Management verfügt über drei Optionen: die Leistung einzelner Standorte zu verbessern, durch Zusammenfassung von Standorten eine Konsolidierung anzustreben sowie bestimmte Aktivitäten durch Outsourcing auszulagern. Hier den richtigen Mix und die richtigen Schnittstellen zu finden ist eine der wichtigsten Herausforderungen - heute und künftig. Um diese Entscheidungen sehenden Auges treffen zu können und die Entwicklung zu steuern, braucht das Management erneut Transparenz, möglichst auf Basis konkreter Kennzahlen.

IT-Visionen und Mythenbildung

Hier kommt die IT ins Spiel. Zum einen kann sie zu Transparenz und Optimierung des Gesamtunternehmens einen wichtigen Beitrag leisten, zum anderen wird sie selbst Gegenstand der Veränderung.

Allerdings werden ihre Möglichkeiten oft überschätzt. IT-Visionen tragen zur Mythenbildung bei; der Technik werden Eigenschaften zugeschrieben, die sie gar nicht haben kann. In unserem Fall, dass sie durch vollautomatische Prozesse dem Menschen das Entscheiden - und damit letztendlich das Denken - abnimmt. Wir kennen dies bereits aus frühen Diskussionen über Künstliche Intelligenz. Da die Realität komplex ist und die Fernwirkungen strategischer Entscheidungen nicht erkennbar sind, wächst offensichtlich der Wunsch nach Delegation dieser Mühsal. Genährt wird er allerdings nur zu gern von Herstellern. Derzeit sind es vor allem drei Technikvisionen, die von solchen Mythen behaftet sind: "On-Demand"-Konzepte, Visionen einer "Organic IT" und schließlich das Thema "Embedded Analytics".

On-Demand-Konzepte und - als deren Weiterentwicklung - Organic-IT-Visionen drücken die Hoffnung aus, dass die IT sich selbst optimiert.

Bisher ist das Interesse der Unternehmen allerdings begrenzt. Vor allem bei Komplettlösungen inklusive Anwendungen sind Aspekte wie Sicherheit, Verantwortung und nicht zuletzt die Gefahr einer neuen Herstellerabhängigkeit weitgehend ungeklärt. Außerdem sind Organisationen meist noch nicht darauf vorbereitet, ausgelagerte On-Demand-Prozesse sauber in ihre Geschäftsabläufe zu integrieren. Insbesondere stellt sich die Frage, ob die Investitionsproblematik nicht verschoben wird und durch die Hintertür wieder zurückkommt: Denn je stärker der Hersteller das Risiko der Ressourcenauslastung übernimmt, desto teurer wird die Lösung letztendlich werden.

Zweifellos bieten solche Konzepte dem Anwender die Chance, mehr Flexibilität zu entwickeln. Auch waren Automatisierung und Intelligenz schon immer wesentliche Eigenschaften der IT, sie werden natürlich weiterentwickelt. Die Implementierung wird aber letztendlich davon abhängen, inwieweit die Hersteller in der Lage sind, die Anforderungen wirtschaftlich zu erfüllen. Die Unternehmen müssen dies in jedem Einzelfall exakt prüfen. Also sind auch hier wieder Entscheidungen zu treffen - auf der Grundlage möglichst hoher Transparenz.

Mit "Embedded Analytics" stoßen wir nun auf eine Vision, die verspricht, genau diese Transparenz - und damit die Unternehmenskontrolle - zu automatisieren. Analysewerkzeuge sollen vollautomatisch alle benötigten Kennzahlen liefern.

Transparenzsysteme aufbauen

Solche Werkzeuge können durchaus hilfreich sein, vor allem wenn sie den Rahmen proprietärer IT-Systeme überwinden. Heute gehört es zu den mühsamsten Aufgaben einer Unternehmensanalyse, die richtigen Informationen in den einzelnen IT-Komponenten zusammenzusuchen. Es wäre wünschenswert, dass diese Daten eine höhere Qualität besitzen und man sie leichter in unterschiedlichen Detaillierungsgraden betrachten kann. So könnte die Kontrolle künftig auf einer höheren Ebene ansetzen.

Das entbindet das Management aber nicht von der Verantwortung, sich in jedem einzelnen Fall Gedanken zu machen, wie solche Transparenzsysteme am besten aufgebaut werden. Es muss den richtigen Mix von verdichteten und detaillierten Kennzahlen finden und festlegen, mit welchen Indikatoren die unterschiedlichen Ziele - etwa Effizienz, Innovation etc. - gemessen und kontinuierlich verfolgt werden.

Um zum Beispiel die IT-Effizienz zu beurteilen, muss man zuerst herausfinden, welches die für die jeweiligen Kundenanforderungen wichtigsten Kosten- und Wertetreiber sind. Darüber hinaus muss man untersuchen, welche variablen geschäftlichen Parameter die geforderte IT-Unterstützung beeinflussen. Zum Beispiel kann sich in Branchen mit stark schwankendem Geschäft das Volumen der Online-Transaktionen rasch ändern. Individuell muss man solche diskontinuierlichen Anforderungsprofile erarbeiten und festlegen, mit welchen Parametern der IT-Produktion darauf reagiert werden muss - etwa flexiblere Netzwerke, mehr Prozessorleistung oder mehr Speicher.

Shared-Service-Konzepte kommen

Das "optimierte Unternehmen" ist also kein Endzustand, der sich quasi automatisch reguliert. Es ist vielmehr eine transparente Organisation, in der auf einer sicheren Grundlage Entscheidungen getroffen werden, um neuen Herausforderungen bestmöglich zu begegnen.

In diesem Prozess wird sich die IT selbst verändern. Zum einen werden Trends zur Industrialisierung verstärkt; IT muss wie ein Unternehmen ergebnisorientiert operieren. IT-Abteilungen werden unter dem Druck externer IT-Dienstleister gezwungen sein, sich noch kundenorientierter aufzustellen, und die Dienstleister müssen ihrerseits infolge des Marktdrucks noch wettbewerbsorientierter arbeiten. Auch dazu wird größtmögliche Transparenz benötigt.

Zum anderen werden Shared-Service-Konzepte weiter vorangetrieben. Querschnitts- und Unterstützungsfunktionen wie Finanzen, Personal und natürlich die IT werden zusammengefasst und zentral zur Verfügung gestellt - in einer eigenen Serviceabteilung oder einer für diese Funktion gegründeten Gesellschaft. Damit wird sich auch die Rolle des CIO wandeln: Entweder geht er im Servicebereich auf, oder er übernimmt aufgrund seiner Kompetenz als Dienstleister die Verantwortung für alle Serviceleistungen im Unternehmen.

Jede Optimierungsanstrengung wird scheitern, wenn die Mitarbeiter nicht gewonnen werden. Das Management muss eine intensive Kommunikation pflegen, Hilfen und Perspektiven anbieten.

An fachliche Fertigkeiten und Qualifikation werden künftig noch höhere Anforderungen gestellt, etwa durch neue Technik und neue Prozesse. Damit sind zugleich gravierende mentale und kulturelle Herausforderungen verbunden. In immer kürzeren Zyklen müssen sich die Mitarbeiter auf neue Situationen einstellen. Als Folge der Globalisierung arbeiten sie in internationalen Projektteams mit teilweise sehr unterschiedlichen Kulturen, Werten und Prägungen. Habituelle Ausdrucksformen wie Kleidung und Kommunikationsstil wandeln sich. Ständig müssen die Beschäftigten ihre individuellen Vorstellungen mit neuen Unternehmenszielen synchronisieren.

Die kulturelle Vielfalt globaler Unternehmen verlangt ein klares Wertesystem zur Zusammenarbeit im Rahmen einer Corporate Governance. Zugleich muss das Management kurzfristige Optimierungsstrategien mit langfristigen kombinieren. So reicht es nicht, Mitarbeiter für die Ziele des laufenden Change-Management-Prozesses zu motivieren. Sie benötigen Perspektiven, die ihnen trotz ständigen Wandels eine Orientierung erlauben und das Unternehmen berechenbar machen.

Auch weiche Faktoren im Blickfeld

Dies wird in Zukunft noch viel wichtiger werden. In den vergangenen Jahren haben Unternehmen neues Know-how ins Haus geholt, indem sie die Belegschaften extrem verjüngten. Durch die demografische Entwicklung werden wir jedoch in einigen Jahren vor gravierenden Nachwuchsproblemen vor allem im akademisch-technischen Bereich stehen. Unternehmen werden neues Wissen und neue Impulse immer weniger durch den Austausch vorhandener gegen extern ausgebildete junge Mitarbeiter gewinnen können, sondern ihre eigene Belegschaft kontinuierlich weiterentwickeln müssen - fachlich und mental.

Neben harten Fakten beinhaltet Optimierung künftig also auch immer mehr weiche Faktoren. Diese müssen ebenfalls transparent werden, damit sich die Entwicklung steuern lässt. Dafür müssen geeignete Messgrößen entwickelt beziehungsweise fortgeschrieben werden. (bi)

*Dr. Martin Lippert ist Geschäftsführer der Compass-Deutschland GmbH in Wiesbaden.

Hier lesen Sie ...

- warum sich die Unternehmen in Zukunft veränderten Zielen zuwenden werden und welchen;

- weshalb Transparenz in allen Unternehmensbereichen unverzichtbar sein wird;

- welche internen und externen Teilprozesse aufeinander abgestimmt werden müssen, um die richtige Fertigungstiefe zu finden;

- in welcher Weise die IT selbst Gegenstand der Veränderung wird;

- wie "Embedded Analytics" die Unternehmenskontrolle automatisieren kann;

- wie sich der Druck externer IT-Dienstleister auf die Unternehmen auswirken wird;

- welche Rolle der CIO in Zukunft spielen wird.

Abb: Ohne Transparenz kein Erfolg

Transparenz auf Basis konkreter Kennzahlen ist die Grundlage für Entscheidungen, die ein Unternehmen kontinuierlich optimieren. Quelle: Compass Deutschland GmbH