Branchenbeobachter sehen nur begrenzte Marktchancen

Die SAP erhält Konkurrenz von Big Blue und der Sema Group

18.01.1991

MÜNCHEN (hv) - Was lange als Gerücht durch die Branche geisterte, ist nun Wirklichkeit geworden: Big Blue und die Sema Group Systems AG, Wilhelmshaven, werden Teile ihres Angebots an kommerzieller Standardsoftware zusammenführen und so gemeinsam den Kampf gegen den Marktführer SAP aufnehmen - allerdings nur im Großrechnerbereich.

"Das, was wir hier in einem ersten Schritt tun wollen, wird sich ganz klar am Mainframe orientieren", erklärt Hans-Werner Weber, verantwortliches Vorstandsmitglied der Sema Group. Geplant ist die kurzfristige Verbindung der Standardsoftware-Produkte "Cimapps" von Big Blue und "I-Linie" von der Sema Group.

Darüber hinaus sollen bei Bedarf branchenspezifische Fremdprodukte von Mainframe-Softwarehäusern eingebunden werden. Schon im nächsten Jahr, hofft das Vorstandsmitglied, wird die Kooperation erste Früchte tragen.

Langfristig, so die Planung, werden einzelne Elemente der I-Linie aus dem Mainframe-Umfeld genommen und auf Workstations verlagert. Dazu zählen nach Angaben von Unternehmenssprecher Weber voraussichtlich die Systeme für Management-Information und Controlling. Die Software stammt noch von dem Wilhelmshavener Softwarehauses ADV/Orga, das Anfang 1990 in schwer angeschlagenem Zustand von der französisch-englischen Sema Group aufgekauft worden war.

"ADV/Orga war 1985 und 1986 einer der klangvollsten Namen in Deutschland", erinnert sich Weber. Allerdings sieht sich das Vorstandsmitglied heute mit einer anderen Realität konfrontiert: "Jetzt machen wir eine Schwächeperiode durch." Tatsächlich hat die Wilhelmshavener Sema Group Systems AG im Fiskaljahr 1991 einen Verlust von 2,9 Millionen Mark ausgewiesen. Dabei hatten Umstrukturierungsmaßnahmen und eine Finanzspritze des französischen Großaktionärs Sema Group S.A. Schlimmeres verhütet. Im Kalenderjahr 1990 mußte das Softwarehaus nämlich einen Verlust von 19,7 Millionen Mark hinnehmen.

Marktbeobachter rätseln, warum IBM und Sema in einer Zeit, in der sich IT-Manager für Downsizing beziehungsweise für die Entlastung - nach Möglichkeit sogar Ausmusterung - ihrer Großrechnerumgebung interessieren, ausgerechnet ein integriertes Softwarepaket für Mainframes herausbringen wollen. Rudolf Munde, Research-Leiter bei der deutschen IDC-Niederlassung in Kronberg, beispielsweise sieht darin keine offensive Marktstrategie, sondern eher ein "Rückraum-Ordnungsmanöver".

Zwar sei heute überall die Rede von Client-Server-Architekturen, doch das größere Geschäft werde zumindest für einen begrenzten Zeitraum noch im Großrechnerbereich gemacht. "Aus kaufmännischer - oder besser: aus Sicht einer Krämerseele - macht es Sinn, die Bastionen auf dem Ist-Geschäft abzusichern", so der IDC-Forscher. Das hänge vor allem mit den gegenwärtigen Marktbedürfnissen zusammen: Noch nicht überall sei die DV-Leiter-Generation abgelöst, für die es zur Online-Transaktionsverarbeitung auf dem Mainframe keine Alternative gebe.

IBM und Sema Group versuchten, in den altbekannten Märkten noch einmal ein Geschäft, zu machen, ohne dabei aber "die Zukunft zu erschließen". Vor allem Big Blue komme die Kooperation entgegen, könne sich der Branchenprimus doch auf diesem Wege ideal als Systemintegrator darstellen. Auf lange Sicht sei das Engagement der Partner jedoch kaum angelegt: "Wer zukünftig mitmischen will, der muß heute bereit sein, Fehler zu riskieren." SAP ringe gegenwärtig bei der Entwicklung von R/3 mit gewaltigen Problemen - dafür werde das Unternehmen aber voraussichtlich in zehn Jahren diesen Markt beherrschen.

Adler: Bessere Chancen im Ausland

Gerhard Adler, Geschäftsführer der Diebold Deutschland GmbH in Eschborn, hält die gemeinsame Initiative von IBM und der Sema Group für begrüßenswert, zumal der Markt eine Alternative zur dominierenden SAP AG gut gebrauchen könne. Allerdings schätzt er die Marktchancen für Mainframe-Software in Zeiten, in denen Workstations, Client-Server-Architekturen und Vernetzung an Bedeutung gewinnen, nur als gering ein. Laut Adler haben IBM und Sema im europäischen Ausland bessere Chancen als in Deutschland, wo SAP den Markt beherrscht.

Sema-Sprecher Weber sieht in Europa ebenfalls noch großes Marktpotential. Die Dominanz der Walldorfer SAP AG mit ihrer R/2-Software sei zwar unbestritten, doch bis dato sei dieser Markt nur zu 20 bis 40 Prozent ausgeschöpft. Das Standardsoftware-Geschäft werde sich denn auch in Zukunft vor allem im Mainframe-Bereich abspielen.

Das wisse auch die SAP, für die R/2 wohl noch über Jahre hinaus das tragende Produkt sein werde. Dort, wo tagtäglich "riesige Transaktionsvolumina" bewältigt werden müßten, bleibe der proprietäre Großrechner installiert. "Ich glaube nicht", so Weber, "daß die SAP mit ihrer R/3-Software ein Replacement-Programm ins Auge faßt."

R/3 sei dafür konzipiert, den Mittelstand anzusprechen. Dagegen richte sich das IBM-Produkt Cimapps, bestehend aus einer Reihe von Softwarepaketen zur Produktions- und Logistiksteuerung, an Großunternehmen mit IBM-Mainframes der /390-Reihe. Auch die I-Linie mit ihren Komponenten für Finanz- und Anlagenwirtschaft, Controlling und Personalverwaltung stelle eine integrierte Anwendungssoftware dar, die für IBM-Großrechner maßgeschneidert sei.