IBMs Preispolitik in der Kritik

"Die Mainframe-Renaissance findet nicht statt"

23.10.1998

"Eine Renaissance des Main- frames gibt es nicht", sagt Phil Payne, unabhängiger Analyst und Experte in Sachen Großsysteme. Die Bemühungen der Hersteller, Neukunden zu gewinnen, seien enttäuschend verlaufen. Insbesondere IBMs "Multiprise"-Server hätten sich als Flop erwiesen. Big Blue habe diese Rechner als Einstiegssysteme mit dem Ziel entwickelt, bei Neukunden Akzeptanz für die S/390-Plattform zu schaffen. Später dann sollten diese Anwender von den Vorzügen größerer S/390-Systeme überzeugt werden. Weltweit seien bislang aber gerade einmal 200 dieser Rechner verkauft worden, so Payne. In England kämen auf 500 bis 600 installierte Großrechner lediglich ein oder zwei neue Abnehmer.

Val Rahmani, verantwortlich für den Vertrieb von IBMs Großrechnern und High-end-Speichersystemen in Europa, sieht das ganz anders. "Wir haben durchaus einige Neukunden gewonnen", wehrt sich die Britin gegen die Ausführungen Paynes. Bei der Frage des Marktwachstums gehe es aber weniger um neue Abnehmer als darum, existierende Kunden zu halten und sie dazu zu bringen, neue Anwendungen auf den Big Irons zu installieren. Genau dies geschehe auch. "Die Mainframes erleben derzeit einen Aufschwung", verkündet die Managerin. Insbesondere die Software-Anbieter sähen hier einen interessanten Markt. IBM kooperiere mit rund 1600 Entwicklungspartnern, die Programme für den Mainframe schrieben oder Anwendungen auf die OS/390-Plattform portierten.

Gegen diese positive Darstellung sprechen nüchterne Zahlen. Nach Berechnungen der Gartner Group gingen die Umsätze mit Mainframes im zweiten Quartal 1998 zurück. IBM mußte in dieser Abrechnungsperiode im Hardwaregeschäft einen Rückgang um 13 Prozent hinnehmen. Nach einhelliger Meinung von Experten sind diese Einbußen zum großen Teil auf sinkende Mainframe-Einnahmen zurückzuführen.

"Das zweite Quartal war aus verschiedenen Gründen schwierig", versucht Rahmani die Entwicklung zu erklären. "Ein Faktor war die Asienkrise. Hinzu kam, daß IBM zwar den neuen G5-Prozessor angekündigt, aber noch nicht ausgeliefert hatte." Im übrigen habe man im letzten Geschäftsjahr, gemessen an ausgelieferten Mainframe-MIPS ein Wachstum von 80 Prozent verzeichnen können. Für Payne greift diese Argumentation zu kurz: "Diese MIPS werden an einen immer kleiner werdenden Kundenkreis geliefert." Für den Hersteller würden sich die Probleme damit verschärfen. "IBM macht 80 Prozent seines Mainframe-Umsatzes mit nur fünf Prozent seiner Kunden. Die werden für das Unternehmen immer wichtiger. Die ganze Firmenpolitik wird auf diese Klientel ausgerichtet. Die Kleinen hat man fast vergessen."

Auch diese Anwürfe mag Rahmani so nicht stehenlassen. "Es ist wahr, daß ein bedeutender Teil unserer Umsatzes von sehr großen Kunden kommt", konzediert die promovierte Chemikerin. Die Zahl von 80 Prozent stimme aber nicht. Ein Unternehmen wie die Allianz-Versicherungen habe nun einmal sehr viel höhere Investitionssummen zu vergeben als ein mittelgroßer Betrieb.

Nach Ansicht von Payne geht die Diskussion um ausgelieferte Million Instructions per Second (MIPS) am eigentlichen Problem vorbei. "Die Kosten pro MIPS sind fast kein Thema mehr. Wenn man die Aufwendungen einer IT-Abteilung betrachtet, gehören die MIPS-Kosten zu den kleinsten Positionen." Die dicken Brocken bildeten dagegen die Software, Speichersysteme und das Personal.

An diesem Punkt sieht Payne Nachholbedarf für die Anbieter. Im Vergleich zur Unix- und NT-Welt seien die Softwarelizenzen für Mainframes mit schwindel- erregenden Gewinnmargen belastet. Dafür gebe es eine einfache Erklärung: IBMs Geschäftsergebnis sei in hohem Maße von den Gewinnen aus dem Softwaregeschäft abhängig. "IBM kann nicht von heute auf morgen darauf verzichten. Das hieße, man müßte rote Zahlen schreiben." Timothy Morgan vom britischen Informationsdienst "Computergram" belegt diese These mit Zahlen. Nach seinen Informationen erwirtschaftet Big Blue 63 Prozent seiner gesamten Bruttogewinnmarge mit dem Verkauf von Server-Software. Dabei handele es sich zum größten Teil um Mainframe-Software.

Für Payne gibt es nur einen Ausweg aus diesem Dilemma: "IBM muß ein völlig neues Software-Preismodell entwickeln." Allerdings sei der Hersteller dabei gezwungen, sehr vorsichtig vorzugehen und könne Änderungen nur in kleinen Schritten vornehmen. "Man hat diese Aufgaben verschlampt", wirft Payne dem IT-Konzern vor. "Eigentlich ist jetzt schon zu spät. Man hätte schon vor drei bis vier Jahren damit beginnen müssen, bevor NT überhaupt eine Rolle gespielt hat."

"IBM hat verschiedene Schritte unternommen, die Softwarekosten für Mainframes zu senken", kontert Rahmani. Ziel dieser Bemühungen sei es, die Softwarekosten auf das Niveau von Unix-Umgebungen zu drücken. Tatsächlich hat Big Blue Ende September überarbeitete Preismodelle angekündigt, die die bisherigen Methoden ergänzen oder ersetzen sollen (siehe CW 42/98, Seite 21). Dazu gehört etwa das "S/390 Usage Pricing", ein Verfahren, das IBM ab Januar 1999 anbieten will. "Anwender sollen künftig nur für das bezahlen, was sie auch nutzen", rührt die Vertriebschefin Rahmani die Werbetrommel. Bislang richten sich die Preise der Softwarelizenzen nach der gesamten Rechenkapazität eines Mainframes, unabhängig davon, ob ein Programm nur einen Bruchteil der Leistung beansprucht. Künftig erhielten Kunden von IBM ein Software-Tool, mit dessen Hilfe sich messen läßt, wieviel Rechenleistung eine bestimmte Anwendung tatsächlich in Anspruch nimmt. Laufe etwa die Datenbank DB/2 nur auf zwei Prozessoren innerhalb eines Acht-Wege-Systems, hätten Kunden auch nur für diese Kapazität Gebühren zu entrichten, so Rahmani. Das Preismodell ist allerdings auf IBM-eigene Applikationen wie DB/2, IMS oder den Transaktionsmonitor CICS beschränkt.

Ein ähnliches Verfahren hat IBMs Konkurrent Amdahl bereits im Juni angekündigt. Die Fujitsu-Tochter geht dabei einen anderen Weg. Die "Millennium"-Mainframes der Kalifornier lassen sich über das "Multiple Server Feature" (MSF) physikalisch partitionieren (siehe CW 26/98, Seite 7). Analyst Payne sieht die jüngsten Maßnahmen der IBM auch vor diesem Hintergrund. "Amdahl hat mit MSF Druck gemacht. IBM mußte reagieren." Bei der Amdahl-Methode wird jeder CPU eine eigene Seriennummer zugewiesen, anhand derer sich feststellen läßt, welche Applikation auf welchen Prozessoren abgearbeitet wird. Zu diesem Zweck müssen sich Anwender aber den Großrechner vom Hersteller gegen Entgelt umkonfigurieren lassen.

Im Vergleich zur IBM-Lösung bietet MSF einen wichtigen Vorteil: Das Verfahren soll auch für Enterprise-Resource-Planning- (ERP-)Anwendungen etwa von Baan oder Peoplesoft eingesetzt werden. Amdahl hat eigenen Angaben zufolge bereits die Zusage verschiedener großer Softwarehäuser, die das Preismodell mittragen wollen. Big Blue als größter Anbieter von Mainframe-Software blockiert die Bemühungen der Kalifornier. "IBM hat (diesem Verfahren, Anm. d. Red.) nicht zugestimmt", erklärt Rahmani. "Wir verfolgen einen anderen Ansatz." Aus Gesprächen wisse sie, daß Kunden ihre Rechner nicht aufwendig umkonfigurieren lassen wollten. Ein softwarebasiertes Meßinstrument für die Rechenlast, die eine Anwendung beansprucht, sei die bessere Lösung.

Für sogenannte neue Anwendungen - IBM versteht darunter ERP-Systeme oder auch Lotus Domino -, die nicht über das Usage-Pricing-Verfahren abgerechnet werden können, biete man ein anderes Preismodell an, so Rahmani. Dieses Schema mit der Bezeichnung "New Application Growth Environment Pricing" sieht Rabatte bis zu 75 Prozent vor. Der Pferdefuß dabei: Das Modell gilt nur für Anwendungen, die auf einem separaten Rechner unter dem Betriebssystem OS/390 installiert werden. Auf diesem System dürfen ferner ausschließlich die von IBM benannten Anwendungen laufen. Installieren Kunden darüber hinaus ältere Cobol-Programme, greift die Abrechnungsmethode nicht mehr.

Anlaß zur Kritik gibt aber vor allem die Tatsache, daß das IBM-Verfahren das bekannt teure Betriebssystem unberücksichtigt läßt. "Die Lizenzgebühren für MVS sind riesig", moniert Payne. Hier habe Big Blue noch keine Erleichterung herbeigeführt. Rahmani verweist in diesem Zusammenhang auf das Parallel-Sysplex-Preismodell, das auch Einsparungen beim Betriebssystem zulasse. Von Bedeutung ist dabei, daß das Schema nicht nur auf voll ausgebaute Sysplex-Cluster anwendbar ist, sondern auch für Stand-alone-Maschinen gilt, die lediglich für den Betrieb in einem Rechnerverbund vorbereitet sind. Ab Januar 1999 erweitert IBM dieses Modell durch "Parallel Sysplex Level C" Pricing. Dieses Verfahren sieht eine 25prozentige Preissenkung für jedes MIPS vor, das jenseits der 1000er Grenze liegt.

Mit den beschriebenen Maßnahmen sei IBM in der Lage, die Kostendifferenzen zur Unix-Welt deutlich zu reduzieren, glaubt Rahmani. Betrachte man ausschließlich Hardware und Software, so betrage der Unterschied zu Unix-Systemen noch zwischen 20 und 30 Prozent. Würden Verwaltungs- und Personalkosten eingerechnet, falle die Differenz deutlich niedriger aus. Für Anwender werde es damit zunehmend attraktiv, neue Anwendungen auf Mainframes zu installieren. Schon im Jahr 1998 würden zirka 25 Prozent der von IBM verkauften MIPS auf neue Applikationen entfallen.

Bei all diesen Wohltaten bleibt die Frage, woher die IBM künftig die Gewinne nehmen will, die bisher das schwache Hardwaregeschäft gestützt haben. Hier hat Rahmani eine Antwort parat, die Kunden zumindest zu denken geben sollte: "Wir haben das kalkuliert und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß wir unterm Strich etwa die gleichen Einnahmen haben werden.