Abschied von einer langjährigen Tradition

Die IBM verkauft künftig ihre Halbleiter auf dem Weltmarkt

26.06.1992

NEW YORK (CW) - Big Blue will innerhalb der nächsten drei Jahre den Umsatz um 500 Millionen Dollar per anno durch den Verkauf von Halbleitern erhöhen.

Damit löst sich die IBM von der bisherigen Konzernphilosophie, nur Chips für den eigenen Bedarf zu fertigen. Das sagte Paul R. Low, General Manager der Technology Product Division, anläßlich seiner Rücktrittserklärung.

Die IBM hatte zwar bereits zuvor allgemeine Statements über einen eventuellen Einstieg in das Halbleitergeschäft abgegeben, aber erst in der vergangenen Woche wurde in einem Gespräch zwischen Low und Redakteuren des "Wall Street Journal" konkrete Aussagen gemacht. So hat Big Blue offenbar schon 50 Vertriebsbeauftragte für diesen Bereich eingestellt, die , so der General-Manager "alles an Halbleiterverkaufen sollen, von dynamischen Speicher-Chips bis hin zu wärmeleitenden Bausteinen. Es wird nichts in unserem Komponentenkatalog geben, was nicht verfügbar ist." Dieser Schritt bedeutet die Abkehr von der bisherigen Sichtweise, nach der die Chip-Patente und Fabriken die "Kronjuwelen" des Konzerns darstellen.

Im vergangenen Jahr begann IBM aggressiv mit der Vermarktung von Lizenzen und konnte zusätzliche Einnahmen durch Vereinbarungen mit Motorola, Siemens und zehn anderen Unternehmen verbuchen. Mit dieser neuen Einstellung, berichtet das "Wall Street Journal" weiter, könne das Unternehmen etliche Dollar aus seinen immensen Investitionen in den Halbleiterbereich zurückgewinnen. Allerdings berge das Öffnen der Chip-Fabriken auch Gefahren. Die Strategie können es kleineren Rivalen erleichtern, mit Big Blue technlologisch zu einem geringeren Preis konkurrieren.

Ein IBM-Sprecher bestätigte, daß der Rechnerhersteller die von Low skizzierte Strategie fortführen wollte. Nachfolger von Low, der kurz vor seinem 60. Geburtstag am 30. Juni in den Ruhestand tritt, wird Michael J. Attardo, langjähriger Manager in der Technology Product Division.