Cloud Computing in der Automobilbranche

Die Cloud macht Magna flexibler

03.07.2012
Von Sven Hansel
Um die häufigen Modellwechsel der Hersteller in der IT abzubilden und zugekaufte Firmen schnell zu integrieren, setzt der Automobilzulieferer Magna auf eine hybride Cloud-Strategie.

Magna ist laut eigenen Angaben der am meisten diversifizierte Autozulieferer der Welt. Mit 108.000 Mitarbeitern weltweit konstruiert und fertigt das Unternehmen nicht nur Module, Bauteile und Baugruppen, sondern montiert auch komplette Fahrzeuge – einer große Herausforderung für die unternehmenseigene IT, die durch zwei Trends noch verstärkt wird.

Foto: Magna

Zum einen gibt es in der Automobilindustrie weltweit praktisch keinen Hersteller, für den Magna nicht arbeitet. Auf der Kundenliste stehen etwa Fiat, Ford und Volkswagen, aber auch Tata in Indien oder Fraser in Neuseeland. Entweder entsteht irgendwo gerade ein neues Werk oder bestehende Infrastrukturen aus Gebäuden, Zufahrten und angeschlossenen Versorgungssystemen werden für eigene Produktionsstätten übernommen. Mitunter müssen sich die beiden dafür zuständigen IT-Manager von Magna, René Schreiner und Robert Seemann, um bis zu vier solcher Projekte gleichzeitig kümmern. „Kümmern“ bedeutet: Alle Vorbereitungen dafür treffen, dass jede neue Magna-Fertigungsstätte möglichst schnell an die IT-Infrastruktur des Konzerns angeschlossen und insbesondere mit SAP-Ressourcen aus der Cloud des IT-Dienstleisters versorgt wird.

Übernahmen verändern auch die IT

Zum anderen hat sich der kanadische Hersteller im Rahmen seiner Wachstumsstrategie auch auf Übernahmen konzentriert. Um etwa das Geschäft im öffentlichen Transportbereich auszubauen, hat das Automotive-Unternehmen gerade erst den Spezialisten für Omnibus-Seating-Systeme „Vogelsitze“ übernommen. Vor allem große Übernahmen wie die von Steyr-Daimler-Puch, der Chrysler Tochter New Venture Gear oder der Porsche-Tochtergesellschaft CTS – Car Top Systems sorgen bei Magna regelmäßig für strukturelle Veränderungen. Auch in diesem Jahr, erwartet Schreiner, werde Vogelsitze nicht das einzige Unternehmen bleiben, dessen IT-Prozesse, Infrastrukturen und Anwendungen mit denen von Magna zu konsolidieren sind. Die IT von Magna muss mit dem Wachstum Schritt halten und lässt sich dabei von T-Systems helfen.

Foto: Magna

Der IT-Dienstleister stellt unter anderem Cloud-Services für den SAP-Betrieb bereit. Ein Beispiel: Waren es vor drei Jahren noch 70 Terabyte an SAP-Daten, die T-Systems europaweit für Magna allein für den Bereich Exteriors/Interiors betreute, sind es heute mehr als 115 Terabyte über alle Gruppen des Konzerns. Das betrifft Brasilien und die USA ebenso wie Südafrika, Asien und Europa. Vor rund drei Jahren entschloss sich das IT-Management, eine neue Strategie für den Applikationsbetrieb zu entwickelt, erzählt Schreiner. Denn die Verfügbarkeit der Magna-IT müsse extrem hoch sein.

Hinzu komme, dass durch die Komplexität der Lieferketten die IT-Systeme vieler Unternehmen aufeinander abgestimmt sein müssten. Beispiel Just-in-Time/Just-in-Sequence: Die Bestellung von Autoteilen erfolgt heute wenige Stunden vor Fertigung eines Modells. „Anders als in der Regel Busflottenbetreiber“, so Schreiner, „nehmen Autokäufer noch am Vormittag letzte Änderungen der Ausstattungsvarianten vor, wenn ihr neues Auto am Nachmittag aufs Band gehen soll.“ Und Varianten gibt es viele. Allein für die Innenverkleidung der Türen, etwa eines C-Klasse-Modells von Daimler, sind es 3.500.

Die Cloud macht es möglich

Und egal für welche Tür sich der Mercedes-Käufer entschieden hat, Magnas IT-basierte Prozess-Steuerung muss die richtige Variante zum exakten Zeitpunkt bereitstellen. Heute setzt der Automobilzulieferer dafür auf eine konsolidierte und harmonisierte Applikationsplattform mit einheitlichen SLAs. Dank Virtualisierung ist die Verfügbarkeit der Systeme heute höher als zuvor. Die Kosten im SAP-Basisbetrieb konnte Magna mit Hilfe der Cloud-Services laut eigenen Angaben halbieren. Eigene Vorinvestitionen seien nicht notwendig gewesen. Bezahlt werden sämtliche Leistungen nach dem Prinzip „pay-per-use“.

Entscheidend dafür, dass Magna auf schnelle Modellwechsel der Autohersteller reagieren und die nötigen Ressourcen rasch bereitstellen kann, sind allerdings Skalierbarkeit und Flexibilität der ITK-Landschaft. Im Zuge der Integration eines Betriebs gehe es fast immer darum, heterogene, anorganisch gewachsene Systemlandschaften und vielfach auch Legacy-Systeme möglichst schnell zu konsolidieren und auf eine neue Plattform zu bringen. So auch beim aufgekauften Unternehmen Vogelsitze. Möglichst schnell heißt in manchen Fällen in weniger als sechs Wochen, berichten die Magna-Verantwortlichen.

Ein anderes Beispiel liefert der Standort Meerane in der Nähe von Zwickau in Sachsen. Dort will Volkswagen ab 2013 den neuen Golf vom Band laufen lassen. Dafür baut Magna praktisch Tür an Tür zum neuen VW-Werk eine Fertigungsstätte inklusive Lackierstraße, die die neue Modellreihe unter anderem mit Stoßfängern ausstatten wird. Ähnlich gelagert sind die Vorhaben im rumänischen Craiova und im russischen Nizhny Nowgorod. Aus IT-Sicht lautet das Ziel hinter jedem der Projekte: „Import Data on Target Systems“.

Gemeint ist das Überführen der ERP-, BI- und HR-Anwendungen auf die virtualisierte Plattform in der Cloud. Doch bevor es für jede der unternehmenskritischen Anwendungen soweit ist, sind bis zu 150 Einzelschritte zu definieren, Mitarbeiter der Integrationsteams zuzuordnen und die Aufgaben innerhalb fixierter Zeitfenster abzuarbeiten. Vom „Initial Migration Plan“ über die Schritte „Export Source System“, „Setup & Test Interfaces“ bis zum „Go live“ ist es ein weiter Weg.

Die hybride Cloud-Strategie

Foto: Magna

Magna hat für solche Herausforderungen eine hybride Cloud-Strategie entwickelt, deren Ursprünge drei Jahre zurückliegen. Bereits im Sommer 2009 hatte etwa der Bereich Exteriors/Interiors von Magna seine Applikationslandschaft auf SAP konzentriert. Doch Unternehmenszukäufe und dezentrale Konzernstrukturen ließen den Applikationsbetrieb mitunter wie einen Dschungel erscheinen: Unterschiedlichste Systemlandschaften arbeiteten mit verschiedensten Produktions-, Qualitätssicherungs- und Entwicklungssystemen.

Hinzu kamen Applikationsserver, verschiedene Betriebssysteme und Datenbankkombinationen. Heterogene, intransparente Release-Stände der ERP-, BI- und HR-Systeme erschwerten die Projekte zusätzlich. Die Verantwortlichen sahen sich allein mit neun SAP-Systemlandschaften konfrontiert, betrieben von sechs verschiedenen IT-Dienstleistern.

Noch im Frühsommer 2009 schrieb Magna den Betrieb der kompletten Applikationslandschaft auf einer virtualisierten und standardisierten Hosting-Plattform eines Outsourcing-Partners aus. Für den Automobilzulieferer war das der erste Schritt in die Cloud. In drei Stufen filterte das Unternehmen die „Long List“ der Angebote für ihre zehn unternehmenskritischen Anwendungen. Darunter befand sich das zentraleuropäische SAP-ITP, die ERP-Systeme für Großbritannien und Polen, das sogenannte Mirror-System und das Crash-F&E-System.

Im November des gleichen Jahres fiel die Entscheidung für T-Systems. Ausschlaggebend waren neben dem Preis, dem Branchen-Know-how und den Referenzen vor allem die Netzwerk- und Cloud-Erfahrung des Bonner IT-Dienstleisters, berichtet Magna-IT-Director Alexander Stamm. Bereits Ende 2009 wurde ein Transition-Plan erstellt, die Implementierungsphase startete im März 2010. Im Frühjahr 2011 arbeiteten alle Applikationen auf einer Cloud-Plattform, für die T-Systems unter anderem VMware vSphere nutzt.

Doch bis dahin saß die Zeit den IT-Integratoren immer im Nacken. Selbst wenn große, mehrstufige Systemlandschaften in bis zu 60 Unternehmenseinheiten genutzt wurden, standen für die Übertragung der Daten ins Rechenzentrum des Cloud-Providers nie mehr als 22 Stunden zur Verfügung. „Genau die Zeit zwischen Samstagnacht, 24 Uhr und Sonntag abends 22 Uhr – dem einzigen Zeitraum, in dem die Arbeit in den Magna-Werken ruhte“, erinnert sich René Schreiner. Am Ende war alles eine Frage der Bandbreite. Um etwa 300 Gigabyte Datensätze von Magnas britischer OEM-Kundschaft wieder pünktlich zum Einsatz zu bringen, wurde eine Kopie der Daten per Boten im Linienflug von Birmingham nach Wien befördert. (wh)