RZ-Genossenschaft Datev wächst mit gewandeltem Angebot:

Die Anwenderkooperative wird zum Systemhaus

22.07.1988

NÜRNBERG (ujf) - Die größte deutsche DV-Dienstleistungsgesellschaft, die Datev eG in Nürnberg, hat im vergangenen Jahr ihre Marktposition weiter ausgebaut, Knapp 29 000 Steuerberater, weit über die Hälfte aller in der Bundesrepublik zugelassenen Vertreter dieses Berufsstandes, lassen inzwischen bei der Datev rechnen oder beziehen von ihr Software.

Vier Jahre nach der Einführung ihres PC-Verbundsystems DVS steht die Steuerberatergenossenschaft Datev besser da als je zuvor. Der Umsatz ist seit damals um fast 50 Prozent gewachsen: 1983, im Jahr vor dem DVS-Start, betrug er etwa 312 Millionen Mark, 1987 fast 453 Millionen. Allein im vergangenen Jahr legte die Datev über 50 Millionen Mark zu. Ähnliche Steigerungen weisen auch Bilanzvermögen, Eigenkapital und Betriebsergebnis auf. Im laufenden Jahr wird der Umsatz mit einiger Sicherheit die halbe Milliarde Mark überschreiten.

Datev-Gründer Heinz Sebiger, der im März 65 Jahre wurde und in absehbarer Zeit in den Ruhestand treten wird, hält sein DV-Konzept für das auf lange Sicht wirtschaftlichste:

Routineaufgaben erledigt der PC in der Kanzlei mit spezieller Datev-Software, während das Rechenzentrum vor allem für die Bereiche Datenbanken und Druck zuständig ist. So sieht sich die Nürnberger Genossenschaft inzwischen nicht mehr in erster Linie als Rechenzentrum, sondern als System- und Softwarehaus mit angegliederter Druck-"Fabrik". Gleichwohl hängen noch etwa 60 bis 65 Prozent des Umsatzes, so schätzt man bei der Datev, vom Rechenzentrum ab.

Zu der direkten Klientel, den Steuerberatern, kommen inzwischen als indirekte Kundschaft die Mandanten: 1,3 Millionen Betriebe, die 3,8 Millionen Arbeitnehmer beschäftigen - ein riesiges Potential, das die Datev, selbst wenn sie wollte, nicht selbständig ausbeuten darf. Satzung und Kartellrecht ließen das nicht zu. Statt dessen kooperieren Datenzentrale und Genossen völlig legal. Das Stichwort heißt "Mandantenverbund": Größere Kanzleien verlagern die Datenerfassung in die beratenden Unternehmen. Dort wird zwar (branchenspezifische) Datev-Software eingesetzt, aber vertragliche Beziehungen hat der Mandant ausschließlich zu seinem Steuerberater. Die Datev bleibt formell außen vor und kommt trotzdem auf ihre Kosten.

Trotz der Selbstdarstellung der Datev als Systemhaus distanziert sich Vorstandsvorsitzender Sebiger regelmäßig von der DV-Industrie. "Ich sehe in der Datev eine Anwenderkooperation", erinnerte Sebiger bei der Vorlage des Geschäftsberichts an die Ursprünge der Genossenschaft, die heute 60 Millionen Mark im Jahr für Hardware ausgibt. Voller Überzeugung, daß die Dienste seines Hauses denen eines kommerziellen Herstellers haushoch überlegen sind, schimpfte er: "Beim Hersteller sitzen an der Holten vielleicht drei Mann - für 20,- 50-, 100 000 Installationen. Da bekommen Sie keine Beratung. " Bei der Datev sei das anders.

Seine Mit-Anwender forderte Softwarehaus-Chef Sebiger auf, "marktkonform Einfluß auf die Hersteller auszuüben", damit diese "nicht bauen, was machbar ist, sondern was der Anwender braucht". In der "gezielten Unverträglichkeit" der Systeme sieht Sebiger eine "künstliche Behinderung" des Markts und eine "Entwertung von Hardwareinvestitionen". Erst mit Kommunikations- und Betriebssystem-Standards ließen sich die heutigen Engpässe in der Softwareentwicklung überwinden.

Ein Hersteller bekam von Sebiger besonders sein Fett weg: Von Siemens sei er enttäuscht, weil dieses Unternehmen immer noch keinen PC liefern könne, der den seit 1984 vorliegenden Datev-Spezifikationen entspricht. So teilen das Geschäft mit den Steuerberatern (und ihren Mandanten) weiterhin Olivetti/TA, IBM und Nixdorf unter sich auf.