Die High-speed-Allianz soll die Trendwende bringen

Deutsche Unternehmen sagen nein zu Token Ring

21.11.1997

Noch halten viele deutsche Anwender, anders als ihre US-Kollegen, dem Token Ring mit 4 oder 16 Mbit/s die Treue. Für sie hat der Schutz bisher getätigter Investitionen eindeutig Vorrang vor dem Umstieg auf Fast Ethernet. Doch der Bedarf an mehr Bandbreite im Unternehmensnetz steigt unaufhaltsam. Ursache dafür sind die wachsende Zahl der Terminals, immer größere Anwendungen sowie der Wunsch nach Internet-Anbindung, die die IT-Manager zum Netz-Tuning zwingen. Nach Meinung des Netzwerkanalysten Frank Walther, Chef der Unternehmensberatung Synapse in Bonn, gerät dabei der Token Ring zunehmend an seine Leistungs- und Entwicklungsgrenzen. Analysten von IDC prognostizieren dementsprechend eine massiven Rückgang der Netztopologie zugunsten von Fast-Ethernet (siehe Grafik).

Diesen Trend will die HSTR-Allianz jedoch unbedingt verhindern. Mit der Aussicht auf Übertragungszeiten von 100 Mbit/s sollen Token-Ring-Anwender von der Migration abgehalten werden. Laut Thomas Friedel, technischer Leiter in Madge Networks Deutschland, könnte das Übertragungsverfahren zunächst eine günstige Alternative zu ATM im Backbone darstellen. Dabei seien die Eingriffe in das bestehende System überschaubar, und getätigte Investitionen blieben weitgehend erhalten. Switches, die an den Knoten der Token-Ring-Netze betrieben werden, wären weiterhin nutzbar. Sie müßten lediglich durch ein zusätzliches Einschubmodul für höhere Übertragungsraten aufgerüstet werden. Zugleich sei die Abwärtskompatibilität gewährleistet. Ebenso könne mit den Servern verfahren werden, die dann jedoch neue Adapterkarten benötigten. Da Friedel gegenwärtig noch keine Leistungsengpässe an den angeschlossenen Arbeitsplatzrechnern sieht, sei hier mit dem Einsatz der High-speed-Version frühestens in zwei bis drei Jahren zu rechnen. Die dann fälligen neuen Adapterkarten sollen etwa 20 Prozent teurer sein als bisherige 16-Mbit/s-Modelle.

Unternehmen, die sich für die HSTR-Option interessieren, aber bereits heute mit Leistungsengpässen ihrer Netze zu kämpfen haben, können sich mit einer Politik der kleinen Schritte behelfen. Eine solche Verschnaufpause verschafft die Segmentierung des Netzes und das Token-Switching. Da gegenwärtig noch etwa 40 Prozent aller deutschen User im 4-Mbit/s-Bereich arbeiten, sind hier noch Ausbaumöglichkeiten gegeben.

Dieser Meinung ist man auch bei der Datev in Nürnberg. Um die rund 6000 Terminals mit genügend Bandbreite zu versorgen, wurde der Token Ring von 4 auf 16 Mbit/s aufgerüstet. "Wenn dennoch die Anwenderzahl pro LAN zu groß wird, segmentieren wir und verwenden Router für die Anbindung der Subnetze", erklärt Hauptabteilungsleiter Lothar Lux die Strategie.

Zwar gewinnt der Steuerberater-Direnstleister auf diese Weise Zeit und weitere Kapazitäten, aber ein derartiger Zukauf von Routern dürfte auf Dauer eine zu kostspielige Lösung sein.

Auch Berater wie Andreas Gebauer, Mitarbeiter beim Systemintegrator NK Networks, empfehlen ihren Token-Ring-Kunden ein solches Tuning. Dazu gehört laut Gebauer auch der Austausch von Bridges gegen Switches. Das ändert seiner Ansicht nach allerdings nichts an der Tatsache, daß sich der Token Ring "auf dem absteigenden Ast befindet". Der Trend im Markt ist vorgezeichnet. Schon heute wollen viele Kunden bei Neuinvestitionen die Migration zu Switched Ethernet mit Fast-Ethernet-Backbone oder ATM durchführen.

Innovationstempo zu langsam

Zu den Unternehmen, die dem Token Ring den Rücken kehren, gehört die Hebel AG, Emmering. Anläßlich der unternehmensweiten Einführung von SAP R/3 soll eine zentrale Datenhaltung entstehen, an die alle zehn Werke des Baustoffproduzenten angebunden werden. Die Unternehmensleitung entschied sich dabei für eine einheitliche Netzstruktur mit Fast Ethernet und ATM-Backbone. Bis zum kommenden Jahr soll die Umrüstung beendet sein. Laut Reinhard Pöhlmann, DV-Leiter der Werke Emmering und Stulln, hatten die Übertragungsraten im Token Ring bisher genügt, aber die Kosten waren explodiert. Die Wahl fiel auf Ethernet, da es problemlos unterschiedliche Netzkomponenten unterstütze und aus strategischer Sicht gemeinsam mit ATM eine "zukunftsweisende Technik" darstellt.

Ob die schnelle Variante des Token Ring bei anderen Anwendern doch noch als akzeptable Technologie Anklang findet, hängt entscheidend vom Innovationstempo der Hersteller ab- und das ist zur Zeit eher schleppend. Erste Produkte wie verbesserte Switching-Komponenten für Uplinks zu ATM oder Ethernet von Olicom, Madge oder der zum Jahresende von Xylan ankündigte Gigabit-Token-Ring-Switch könnten Vorboten eines neuen Aufschwungs sein. Bisher ist es jedoch ungewiß, ob es der Allianz gelingen wird, gegenüber dem Ethernet Boden gutzumachen. Netzberater Walther rät zudem zur Vorsicht bei den neuen Produkten, denn erfahrungsgemäß muß mit Bugs und Verzögerungen gerechnet werden. "Immerhin hat es fast drei Jahre gedauert, bis die Technik der Token-Switches fehlerfrei lief."

Außerdem muß die 100-Mbit-Version des Token-Ring mit dem Manko des Protokoll-Overheads fertig werden. Aus Gründen der Abwärtskompatibilität muß es Protokolle für eine Shared-media-Umgebung unterstützen (das heißt, daß alle Nutzer in einem LAN-Segment sich die Bandbreite teilen). Da aber durch Switching die klassische Token-Ring-Topologie abgeschafft wird, verursacht das nun unnütze Protokoll nur Zeitverzögerungen. Während bei Token Ring die Logik auf jeder einzelnen Adapterkarte sitzt, liegt beim Ethernet die Hauptleistung im Verteiler. Dies wirkt sich positiv auf den Datendurchsatz aus. Durch die Logik des CSMA/CD-Protokolls des Ethernet lassen sich Adapter außerdem bei einer Migration einfacher anpassen.

Während der Token Ring früher die höheren Kosten gegenüber Ethernet durch mehr Sicherheit rechtfertigte, haben sich die Vorzeichen heute geändert. In den 80er Jahren galt das Ethernet aufgrund der Verwendung des störungsanfälligeren Koaxialkabels als nicht sicher genung. Insbesondere Banken und Versicherungen, die eine höhere Ausfallsicherheit benötigten, wählten daher den teureren, aber sichereren Token Ring. Seine Adapter kontrollieren sich ständig gegenseitig, und ein Defekt führte anders als beim Ethernet normalerweise nur zum Ausscheiden der betroffenen Station, nicht aber zum Systemstillstand. Seitdem Ethernet-LANs jedoch durchweg mit Twisted-Pair-Kabeln und in einer Sterntopologie arbeiten, gilt das Sicherheitsargument auch für sie. Der Ethernet-Hub birgt dabei den alten "Koax"-Bus als Backplane in sich und kann bei einer Störung den entsprechenden Anschluß trennen.

Neben dem Verlust des technischen Vorsprungs ist auch die Verbindung des Token Ring in einer heterogenen Netzumgebung mit Ethernet kompliziert. Der Übergang auf die Layer-2-Ebene erweist sich dabei erfahrungsgemäß als schwierig, zumal die Hersteller bisher ihre Anstrengungen ganz auf ATM und Gigabit Ethernet abgestellt haben. Die einzige momentan praktikable Lösung läge im Einsatz von Routern. Das Problem besteht jedoch darin, daß diese gegenüber LAN-Switches eine erhebliche Zeitverzögerung verursachen und eine Veränderung der IP-Adreßstruktur vornehmen.

Ein ATM-Backbone ist für manche Anwender hingegen ein Schritt in Richtung bessere Netzleistung und integrierte Sprach- und Datendienste. Anders als Gigabit Ethernet erlaubt ATM auch die Übertragung von Sprache. Bei einer maximalen Übertragungsrate von bis zu 155 Mbit/s lassen sich ferner Server und Segmente effizienter miteinander verbinden. So berichtet Uwe Piepenburg vom Competence Center Netze- und Systemtechnik des Beratungs- und Schulungsanbieters Integrata in Tübingen, von zwei Großkunden mit Token-Ring-Netzen, die diesen Weg gewählt haben. Sie wollten vor allem keine arbeitsintensive und technisch aufwendigere Heterogenität in ihren Netzwerken riskieren. Daher war Ethernet kein Thema.

Migration nicht ohne Systemanalyse

Statt dessen wurden die Server über ATM-Backbones verbunden und entsprechende Switches eingebaut. Was die Migration auf HSTR betrifft, wollen sich die Großunternehmen gegenwärtig die Option noch offenhalten. Piepenburg glaubt, daß deren Skepsis erst mit einer umfassenden Normierung des Standards und der Behebung von möglichen "Kinderkrankheiten" weichen wird.

Für kleinere Token-Ring-Anwender stellt sich nach Ansicht Piepenburgs die Situation anders dar. Ist eine IBM Typ1-Verkabelung vorhanden, wäre der Umstieg auf Ethernet zu kostspielig, da sämtliche Komponenten ausgetauscht werden müßten. Sind hingegen bereits Kat5-Kabel im Einsatz, wäre eine Migration überlegenswert. Unabhängig davon müssen jedoch neben den Kosten stets auch die Risiken bei der Planung bedacht werden. So muß beispielsweise genügend Know-how für die neue Architektur verfübar sein.

Netzbetreiber, die weiterhin auf Token Ring setzen und auch mit der High-speed-Version liebäugeln, sollten wenn möglich mit großen Investitionen wenigstens bis zum kommenden Jahr zu warten. Dann wird deutlicher erkennbar sein, ob diese Architektur eine technische Zukunft hat. Netzanalyst Walther und andere erwarten jedoch bereits eine massive Flucht weg vom Token Ring. Seiner Meinung nach investierten nur noch solche Unternehmen in diese Technologie, die sich eine Migration auf Ethernet nicht leisten können.

High-speed Token Ring Allianz

Gegründet 15.September 1997.

Mitglieder:

3Com, Bay Networks, Cabletron, Cisco Systems, IBM, Madge Networks, Novacom, Olicom, UNH, Xylan.

Ziele:

- Entwicklung von Switching-Techniken und Komponenten (Switches, Adapterkarten), die Geschwindigkeiten von zunächst 100 Mbit/s sowie später 1 Gbit/s ermöglichen.

- Bessere Ausnutzung von 100BaseTx und Unterstützung von abgeschirmten 150-Ohm-Twisted-Pair-Kabeln.

- Weiterentwicklung des Token-Ring-Standards IEEE 802.5

Fahrplan:

- 10.November 1997: Erster Entwurf für die interne Beratung.

- 21.November 1997: Erste Abstimmung über den Entwurf.

- 27.März 1998: Vorraussichtliche Annahme des überarbeiteten Token-Ring-Standards.

- Frühjahr 1998: Produktvorstellung auf der Networld + Interop '98 in Las Vegas.

- Juni 1998: Abstimmung über 100BaseTx.

Tips zum HSTR

- Die technische Normierung wird mindestens bis zum nächsten Jahr dauern. Diese Verzögerung sollten IT-Manager in ihrer Netzplanung berücksichtigen.

- Zunächst sind 100 Mbit/s als Durchsatzrate angepeilt, später 1 Gbit/s.

- Erste Produkte wurden bereits angekündigt, haben aber proprietären Charakter und sind in der Praxis noch nicht erprobt.

- Bestehende Investitionen bleiben weitgehend erhalten, da der Eingriff in das System überschaubar ist.

- Vor einem Umstieg sollten die bestehenden Netze verbessert werden. Dabei helfen Switching, gute Kabel und zentrale Datenhaltung (Server-Farmen)

- HSTR kann als Alternative zu ATM im Backbone sinnvoll sein. Die bestehenden Switches werden durch Einsteckmodule erweitert. Server benötigen neue Adapterkarten.

- Soll HSTR bis zum Rechner genutzt werden, werden neue Adapterkarten fällig. Sie sollen etwa 20 Prozent mehr als bisherige 16-Mbit/s-Karten kosten.

- HSTR hat aufgrund der Abwärtskompatibilität zur Shared-Media-Variante einen Protokoll-Overhead, der sich auf die Performance auswirkt.