Verkaufen in Deutschland: Nixdorf nach Daimler "am besten" - IBM am aggressivsten:

Der Marketier: Informationen steuern - nicht trommeln

21.02.1986

MÜNCHEN (lo) - Das Image eines Blechtrommlers besitzt der Marketing-Leiter deutscher Unternehmen im allgemeinen nicht. Im Gegenteil, ihm obliegt es als eine Art Informations-Manager Nachrichten unterschiedlichster Herkunft zu filtern und zu koordinieren. Derart verstandenes Marketing sollte als "brainware" des Unternehmens dessen Philosophie maßgeblich durchziehen. Dies legt eine Studie der Heidrick and Struggles International Inc., Sitz in Düsseldorf, nahe.

War besonders in der DV-Branche der Marketingleiter zunächst durch technisches Know-how geprägt, wurde in der jüngsten Zeit der Wandel von einem produktbezogenen zu einem zielgruppenorientierten Marketing für ihn erfolgsentscheidend. Indem die High-tech-Geräte mehr und mehr den Anstrich der "Haushaltsware" bekommen, genügt der Blick allein auf den Absatz nicht mehr. Produkte werden erklärungsbedürftig; vor allem, inwiefern sie dem Verbraucher nützlich sein können. Eine weitreichende Marktsättigung erfordert zudem erhöhte Produkttransparenz, um rationellere Auswahlkriterien für den Kauf sowie Systementscheidungen zu ermöglichen.

Integrierte DV für schnellere Analysen

Weit über 80 Prozent der Stelleninhaber rechnen deshalb, so die Studie des Beratungsunternehmens, die zusammen mit dem Seminar für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Marktforschung und Marketing der Universität zu Köln erstellt wurde, mit der Automation und positiven Auswirkungen - Einschränkungen sind vorhanden - der Informations- und Kommunikationstechnik. Als Vorteil von integrierter Datenverarbeitung innerhalb der Marketingabteilung wird etwa eine bessere Informationsaufbereitung genannt: Schnellere Analysen und bessere Planung ermöglichen eine effektivere Entscheidungsvorbereitung. Auch die erhöhte Kunden- und Markttransparenz wird als positiv bewertet.

Negative Auswirkungen sehen die Befragten in einer Informationsschwemme: umfangreiches Datenmaterial wird nur fehlerhaft oder oberflächlich interpretiert. Weiterhin ist der Verlust von intuitiven und psychologischen Elementen zu befürchten. Als Folge davon gelten mangelnde Kreativität und Flexibilität sowie eine zu strake Formalisierung der Entscheidung.

Sprungbrett in die Unternehmensleitung

Die "typische" Führungskraft im Marketing liegt mit fast 60 Prozent in der Altersklasse zwischen 40 und 49 Jahren und absolvierte, wenn sie im Konsumgütersektor tätig ist, erfolgreich ein Hochschulstudium der Wirtschaftswissenschaften, falls sie im Investitionsgüterbereich arbeitet ein Studium Ingenieurwissenschaften.

Der Marketingleiter verdiente sich bereits als Führungskraft im Verkauf erste Lorbeeren und arbeitet seit elf Jahren in dem gegenwärtigen Unternehmen. "Typisch", so die Befragung, ist ein Unternehmen im sekundären Sektor, das einen Umsatz von 750 Millionen per anno erreicht und 2500 Mitarbeiter beschäftigt und etwa 50 leitende Angestellte hat.

Dabei zeigt die Nummer Eins im Marketing während seiner

55-Stundenwoche Eigenschaften wie Denken in Zusammenhängen, Durchsetzungsvermögen und Kreativität doch ebenso logisch-analytisches Denken und Kritikfähigkeit.

Permanente Weiterbildung ist auch für diese Führungskraft von hoher Bedeutung, um im Wettbewerb mit ideenreichen Konzepten

bestehen zu können. Für fast 100 Prozent besteht die Möglichkeit besonders externer Fortbildung.

Das Jahresgehalt beträgt durchschnittlich 170 000 Mark, wobei 43 vom Hundert der Chef-Marketiers in der Gehaltsklasse zwischen 100 000 Mark und 150 000 liegen. Hinzu zählen Erfolgsgratifikationen. Als Führungskraft besteht für ein Drittel der Marketingbosse eine Wettbewerbsklausel mit einer Sperrfrist von im Schnitt eineinhalb Jahren.

Sicher glauben immerhin 80 Prozent der Marketingleiter ihren Arbeitsplatz, nur ein Zwanzigstel sieht den eigenen Stuhl durch eine "Hire-and-fire" -Politik ihres Unternehmens wackeln. Allerdings betrachten viele der Marketing-Experten ihre Position als Sprungbrett in die Unternehmensleitung. Aus Gründen der Risikominderung im Fall eines Arbeitsplatzverlustes halten dennoch rund ein Drittel der Stelleninhaber Kontakt nach draußen, etwa zu Personalberatungen.

Laut Ergebnissen der Studie, die vor allem die Marktsektoren Maschinen- und Fahrzeugbau, Elektrotechnik sowie Feinmechanik und Optik umfaßt, gehört der Marketingleiter zu über 70 Prozent der Zentralebene des Gesamtunternehmens an. Ein Viertel der Stelleninhaber zählt zum Vorstand sowie der Geschäftsleitung, über zwei Drittel befinden sich in der Ebene "Hauptabteilung, Direktion oder Bereichsleitung" und nur ein Zehntel in der dritten Reihe "Abteilungsleitung" .

Eckwert der Firmenphilosophie

Diese organisatorische Eingliederung mit Schwergewicht auf der oberen Etage unterstreicht die Bedeutung des Unternehmenssektors. In der Zentralebene laufen die Informationen aller Sparten und Abteilungen zusammen, so daß der Marketingbereich eine koordinierende Steuerfunktion für das Gesamtunternehmen im Nadelöhr Absatzbereich ausüben kann: Marketing als Eckwert der Unternehmensphilosophie.

Der große anfallende Informationsbedarf sowie eine komplexe Problemstruktur fordert im Marketingbereich besonders die Zusammenarbeit mit externen Institutionen. Als Berater überwiegen dabei etwa Hochschulen oder EDV- sowie Organisationsconsultants.

Amerikaner praktizieren aggressive Politik

Einige der Fragen dieser Köln-Düsseldorfer Untersuchung befassen sich mit der subjektiven Einschätzung von Unternehmen und Personen mit Blick auf ihre Marketing-Aktivitäten. Derzeit wurde als das Unternehmen mit dem besten Marketing von den meisten Befragten Daimler-Benz genannt. Begründung ist in erster Linie die langfristig

konsequente Strategie dieses Unternehmens für Produkt- und Qualitätspolitik. Diese Kriterien verschaffen der Nixdorf Computer AG in Paderborn die zweite Stelle in der Rangliste. Das Unternehmen mit dem aggressivsten Marketing ist nach Ansicht der Marketingleiter IBM, zum Beispiel mit seiner Announcementpolicy "ins Blaue" hinein. Als auffallend wird gewertet, daß besonders aggressives Marketing in erster Linie von amerikanischen Gesellschaften praktiziert wird. Branchenspezifisch gesehen findet sich, so die Heidrick and Struggles-Erhebung, ein besonders gutes oder auch aggressives Marketing in der Automobilindustrie und danach der EDV-Branche.