DEC im Ballon

25.01.1991

Frank-Michael Fischer über die Krise des Mini-Marktführers

Ballonfahrer waren die ersten Menschen in der Luft; keine Fahrt ohne Ballast hieß damals die Devise. Moderne Fliegerei basiert auf anderen Prinzipien, heute ist Ballast schädlich und deshalb verpönt. DEC kämpft um Geschäftsergebnisse und Marktpositionen, ein ganzes Marktsegment (AS/400) bleibt den Maynardern und besonders der Münchner Digital-Dependance praktisch verschlossen.

Da beschließt der Wegbereiter dedizierter Systeme erstmals in der Firmengeschichte Entlassungen in den USA (3500 Mitarbeiter bis 30. Juni). Ein Ballastabwurf zu neuem Aufstieg? In der Tat erscheint im Zeitalter des "Lösungsgeschäfts" bei näherem Hinsehen dieser Aderlaß als ebensolcher Anachronismus wie heutzutage Ballonfahrten. Eine Bilanz durch Personalkostensenkung aufzupolieren, erfordert keine höhere Management-Bildung und bringt als Maßnahme nur die Erkenntnis, daß DEC seine Finanzprobleme erkannt hat und behandelt. Ob DEC nun endlich auch an seine Unternehmensprobleme herangeht, ist nicht ersichtlich, ja, es ist sogar zu bezweifeln. Im Rückblick auf das vergangenen Jahrzehnt wird deutlich, daß dieses Aushängeschild der Computer-Industrie zwar gelegentlich kräftig mit organisatorischen Kunstgriffen am Schild herumpoliert hat: Product-Lines, dann Länderorientierung, danach ein bißchen Branchen-Ausrichtung, zuletzt wieder die Regionalisierung der Verantwortung. Den wirklichen Ballast der mangelnden Positionierung DECs in der Wertekette - die bedruckende Unentschlossenheit, ob das gesamte Unternehmen in Richtung System-Integrator a la EDS oder harter Hersteller a la Intel marschiert - schleppt DEC nach wie vor mit sich herum. Denn seine Feld-Organisation weist noch heute die Struktur der frühen Jahre auf, indem der Vertrieb de facto der harten Hersteller-Fraktion gehört und der weitgehend unabhängig gestellten Dienstleistungs-Fraktion gezielt und systematisch eine eigene, ausreichend bemessene Vertriebsmannschaft vorenthalten wird. Verschlimmert wird diese Situation dadurch, daß viele Entscheider bei Digital Equipment ihren eigenen Marketing-Sprüchen erlegen sind, die DEC als "Komplett-Anbieter" positionieren und preisen. Schlüssigkeit des Handels, verbunden mit einer knallharten Fokussierung, hat in der Unternehmenskultur eines Ken Olsen keinen Platz. Steht Digital damit schlechter da als die meisten seiner Mitbewerber? Wohl nicht, aber der Ausweg aus der Unternehmenskrise erfordert eben mehr als Gleichstellung, erfordert strukturelle Überlegenheit.

Dies gilt um so mehr, als auf der Produktseite DEC auch heute gute Karten auszuspielen hat, was offenbar für sich allein keine Erfolgsgarantie darstellt. Zudem hat die Fach- und Wirtschaftspresse in den letzten Jahren durch ihre Nadelstiche bei PCs und Open Systems DEC in seinem unerschütterlichen Irrglauben, Marktnähe und -erfolg seien zuallererst Sache der Produktstrategie, zusätzlich bestärkt. Ohne kompromißlose Ausrichtung von Vertrieb und Dienstleistung auf ein eindeutiges Unternehmensziel stehen die Chancen für einen inneren Ruck hin zu marktbestimmter Organisation nicht gut. Für die Mitarbeiter des Unternehmens ist dies eine schlechte Nachricht, für den Markt, zumal in Deutschland, eine noch schlechtere, weil so die Dominanz einer IBM nicht erschüttert werden kann. Der Wettbewerb und mit ihm der Anwender erleidet wieder einmal eine Schlappe.

Frank-Michael Fischer war zehn Jahre für DEC tätig. Vom Juli 1989 bis Januar 1991 zeichnete er als Geschäftsführer der Gartner Group GmbH, Berg, verantwortlich.