Gesetze implementieren ohne programmieren

Datev steuert Entwicklung per Komponenten

10.10.1997

"Wir brauchen ein erweiterbares Fundament aus C++-Komponenten, das auf dem Industriestandard Microsoft Foundation Classes (MFC) basiert", beschreibt Jürgen Steiner, Gruppenleiter Zentrale Dienste Steuern bei der Datev, die Anforderungen an das Framework. Die Leitfrage, die zu diesem Anspruch führte, lautet: "Auf welche Weise können unsere Steuerexperten ihr Fachwissen eigenständig in Software gießen?" Drängend wurde dieses Problem, nachdem die Datev beschloß, ab 1996 ihre DOS-basierten Steuerprogramme auf Windows umzustellen.

In der Regel ändern sich alle Steuerarten durch eine neue Gesetzgebung im Jahresrhythmus. Änderungen der Gesetzeslage werden häufig erst zum Jahresende verabschiedet, die angepaßten Programme aber müssen bereits Anfang Januar ausgeliefert werden.

Vormals erstellten Betriebswirte und Entwickler die neuen Jahresversionen gemeinsam. Das verursachte nach den Beobachtungen der Datev zu hohe Reibungsverluste durch Kommunikationsprobleme und redundantes Arbeiten. Insgesamt betrug der jährliche Aufwand für Anpassungen rund zehn Mannjahre.

Darüber hinaus hat die Datev die Lauffähigkeit der jahresabhängigen Teile einer Steueranwendung für unbestimmte Zeit sicherzustellen. Jahresübergreifende Funktionen wie eine Mandantenverwaltung erfordern allerdings Kompatibilität zu älteren Versionen, wobei neue technische Features durchaus in ältere Jahrgänge einfließen sollen.

Die Datev entkoppelte die fachliche Entwicklung von der technischen. Steuerfachleute, die lediglich über "Windows-Grundkenntnisse" verfügen und "ein bißchen Basic" beherrschen, wurden zu "Fachentwicklern". Sie erstellen und warten den Anwendungsteil autonom, ohne daß in einem weiteren Arbeitsgang Programmierer die Vorgaben codieren müssen.

Die Programmierer sind für zentrale DV-technische Problemlösungen, Neuerungen und Basisentwicklungen zuständig. Sie erstellen produktunabhängige Werkzeuge sowie einen Steuerungsrahmen. "Der Einsatz von Framework ++ der New Line GmbH, Frankfurt, auf das wir zur Systems 1995 gestoßen sind, ersparte uns einen Großteil dieser Rahmenentwicklung", erklärt Entwickler Karsten Beck, ebenfalls an dem Projekt beteiligt.

Zugleich gehört zum Produkt ein Editor, der den Fachentwicklern erlaubt, Eingabemasken und Druckformulare zu erarbeiten und etwa mit Berechnungsformeln, die überwiegend aus den DOS-Programmen stammen, auszustatten. Er erzeugt Dateien mit serialisierten, persistenten MFC-Objekten. Die Steuerspezialisten sind in der Lage, ihre Anwendung sofort nach Fertigstellung auszuführen und zu überprüfen.

Inzwischen testen erste Steuerkanzleien die Programme für Körperschafts-, Gewerbe- und Umsatzsteuer mit ihren Echtdaten. Die Produkte greifen auf dasselbe Grundmodul beziehungsweise denselben Steuerungsrahmen zurück. Auf diese Weise gelangen neue technische Features im Design und in den Werkzeugen mit jedem Update zum Anwender, ohne daß gänzlich neue Versionen entwickelt werden müßten.

Den Fachentwicklern stehen vier Werkzeuge zur Verfügung. Der "Framework++-Editor" erlaubt das Erstellen von Druckformularen sowie von Masken mit Datenanbindung und Logik. Das steuernspezifische Dictionary dient der Verwaltung von Datenfeldern sowie Regeln für den Jahreswechsel und die Datenanbindung an den Editor. "Datev-Basic" ist ein vergleichsweise einfacher Basic-Dialekt zur Erstellung von Makros. Mit Microsoft Word lassen sich Layout und kleine Basic-Scripts für Berechnungslisten gestalten. Quelle: Datev