Völliger Rückzug aus dem Computerbereich denkbar

Das DV-Barometer im Philips-Konzern steht jetzt auf Sturm

14.09.1990

MÜNCHEN (see) - Der holländische Elektrokonzern Philips steigt aus dem Bauelemente-Geschäft aus. 4000 Mitarbeiter der "Components"-Division werden entlassen. Was aus den ebenfalls schwachen Bereichen Computer und Telekommunikation in Deutschland: PKI - werden soll, ist ungewiß. Philips-Deutschland-Chef Cornelis Bossers kann "keine Alternative ausschließen". Das jetzt vorgestellte Aktionspaket für die Philips-Divison "Components" enthält folgende Maßnahmen:

- Philips steigt aus dem Joint-Memory-Project im Jessi-Verbund aus, in dessen Rahmen das Unternehmen sich mit der Entwicklung und Versuchsproduktion von 1-MB-SRAM-Chips befaßt hat.

- Die Produktion direkt angesteuerter LCDs für Laptops und andere Monitore im niederländischen Heerlen endet.

- Zum Jahresende 1991 stellt das Röhren- und Halbleiterwerk Hamburg seine Produktion von CCD-Bildsensoren ein.

- Die Aktivitäten bei Halbleiter-Lasern im holIändischen Nimwegen und in Taiwan werden beendet.

Was die Philips-Informationssysteme angeht, wird man möglicherweise bereits im Oktober mehr wissen: In einem Gespräch mit dem "Hamburger Abendblatt" vermutete Bossers, daß dann die Maßnahmen bekannt würden, die diesem Bereich bevorstünden. Schlimmes sieht der deutsche Statthalter der Niederländer in diesem Zusammenhang auf die Philips Kommutnikationsindustrie AG (PKI), Siegen und Nürnberg, zukommen. Die Informatik sei das "größe Sorgenkind" des Konzerns; ein völliger Rückzug aus dem Computerbereich - wie es die Tageszeitung wiedergibt - könne nicht ausgeschlossen werden.

Die Personal Computer (PC) hingegen nahm Bossers ausdrücklich aus: je mehr sie sich zum "Konsumgut" entwickelten, desto besser paßten sie zu Philips. Aus der Hamburger Zentrale der Philips GmbH war jedoch keine Bestätigung, weder der Äußerungen des Geschäftsführers noch des Oktobertermins für eine entsprechende Ankündigung, zu erhalten. Sprecher Gerd Goetz: "Es ist nicht meine Aufgabe, Stellung zur Arbeit von Journalisten zu nehmen."

Offenkundig haben die Computer - Konzern-Nomenklatur: "Data Systems" bei Philips keine Zukunft mehr. Hohe Investitionen in die Forschung sowie, oberhalb der Low-end-PCs, in Serviceleistungen und in die Systemintegration sind notwendig, um konkurrenzfähig zu bleiben. Der Mittelstand etwa, stellt Helmuth Gümbel, Direktor bei der Gartner Group, fest, verlange heute zunehmend nach Integrations-Dienstleistungen, um seine heterogenen Plattformen in den Griff zu bekommen. Sich zum Systemintegrator zu wandeln, Paßt nach Gümbels Beobachtung hingegen nicht zur Philosophie des Elektronikkonzerns, zunehmend nur noch "Sackware", anzubieten: "Philips ist in der Lage, Produkte, die keinen eigentlichen System-Background haben, in akzeptabler Qualität und großer Menge herzustellen."

Andererseits verfügt Philips über ein Standbein im Mittelstands-Geschäft: Diebold zählte zum Jahreswechsel 27000 Installationen von PCs und Workstations in Deutschland, bei Mehrplatz-Bürocomputern (Serien 3800 und 4000) trugen 19 000 Systeme das Philips- Lago. Mit dieser Kundenbasis, so Fritz Jagoda von Diebold Deutschland, sei der Bereich nach wie vor interessant, auch wenn er lange Zeit nicht "bearbeitet" worden sei. Daß die Eindhovener den MDT-Markt weiter auf eigene Rechnung bedienen werden, kann sich Jagoda gleichwohl nicht vorstellen: "Ich glaube, sie werden schauen, daß sie mit jemandem zusammenarbeiten oder alles samt Kundenbasis - einem Konkurrenten übergeben. Irgend jemand wird daran interessiert sein", ist er sicher.

Gümbels Prognose fällt um einige Nuancen barscher aus: "Es gibt im mittleren Bereich kaum noch einen Hersteller, der - auch mit , Open Systems - noch Geld verdient. Die Margen sind beängstigend." Nur Riesenumsätze oder umfassende Dienstleistungen böten noch eine Profit-Chance. Daran jedoch glaube auch bei Philips selbst niemand mehr, weshalb das Ende der Bemühungen abzusehen sei. "Philips-interne Leute wollen Immer häufiger wissen, wie man Open Systems Mit DEC und IBM implementiert", berichtet Gümbel aus seiner Beratungspraxis und folgert: "Ein Unternehmen, das für die internen Anwender die eigenen Produkte gar nicht mehr einbezieht, bei dem sieht es nicht so toll aus."

Ein früherer PKI-Mitarbeiter diagnostiziert ähnlich: "Das Hauptproblem bei Philips sind die PCs und die Unix-Rechner, also die ganzen Informationssysteme. Da müßte ein Strich gezogen werden!" Für Erik Hargesheimer von Management Services Hargesheimer & Partner GmbH könnte dieser Strich sogar endgültig sein: "Sie werden entweder jemanden finden, der den Computerbereich übernimmt oder ihn auf Dauer einstampfen, einschließlich PCs."

Demgegenüber läßt Bossers' Verhalten optimistische Äußerung zur Zukunft von Philips PCs als "Konsumgüter" verschiedene Interpretationen zu: Entweder verlegt sich der Konzern langfristig in großem Stil auf die Produktion und Vermarktung von Low-end-Mikros für den Home-Markt, was die Fertigungskapazitäten - nach unbestätigten Angaben 500 000 pro Jahr - im kanadischen Montreal wohl erlauben würden, oder er überschätzt sein Profil bei den professionell eingesetzten PCs. Hierzu Hargesheimer: "Bossers meinte mit Sicherheit nicht den Heimcomputer-Markt. Die Philips-Leute betrachten Personal Computer offenbar als ein Produkt, daß über ihre typischen Vertriebskanäle vermerktet werden kann. Ich frage mich allerdings, wo." Lediglich auf dem inländischen Markt, so Hargesheimer, erzielten die Niederländer derzeit nennenswerte Absatzzahlen.

Die Möglichkeit, mit PCs verstärkt den Consumer-Markt anzuvisieren, sei von Philips bisher immer "energisch" bestritten worden, berichtet der anonyme Experte mit PKI-Vergangenheit. Eine Änderung dieser Taktik könne nicht klappen, "denn die Kisten sind dafür viel zu teuer". Allerdings habe Philips die Absicht geäußert, die Kapazitäten der Fabrik in Montreal auszulassen, zu welchem Zweck man sicherlich in das Consumer-Segment hinein müsse. Chancen hierfür vermag der Insider jedoch nicht zu entdecken: "Philips hat ja kaum einen Marktanteil hier und noch weniger in den USA."

Nach Gümbels Ansicht hat der Elektronik-Riese im DV-Bereich konzeptionelle Fehler gemacht: Das Unternehmen habe sich von den Margen selbst abgeschnitten, indem es viel zu tief in den Bereich der Low-end-PCs hineingerutscht sei. "Hier kann sich niemand mehr richtig präsentieren, weil eine Produktdifferenzierung kaum noch möglich ist." Als einzigen Versuch, prägend zu wirken, erkennt der Gartner-Forscher die "Sophomation"-Aktivitäten an. Das Konzept beinhaltet die Integration von Sprach- und Datenübertragung im Bürobereich sowie die Konzipierung lokaler Netze.

Sophomation allerdings, so Gümbel, habe sich nicht durchgesetzt und falle daher als Verkaufs-Vehikel für das PC-Geschäft weg. Nicht festlegen wollte er sich gleichwohl bei der Frage, ob die Mikro-Aktivitäten von Philips bald der Vergangenheit angehören würden.

Verkaufsüberlegungen schon im letzten Jahr

Mit Bezug auf die Data Systems insgesamt jedoch findet Gümbel eine solche Vorhersage keineswegs zu gewagt: "Am wahrscheinlichsten erscheint mir, daß Philips diesen Bereich abstoßen wird." PKI zum Beispiel stehe schon jetzt innerhalb des Konzerns ziemlich alleine da. Die Möglichkeit, sich von den Computerbauern zu trennen, ist Philips-intern bereits vor über einem Jahr diskutiert worden, berichtet ein Eingeweihter: "Es gab Überlegungen, an Siemens oder an Bosch zu verkaufen. Die Verkaufsverhandlungen waren damals bereits ziemlich weit gediehen." Spätestens jetzt jedoch, empfiehlt der ehemalige Philips-Manager, sollte Eindhoven die Bereiche DV und Telekommunikation in andere Hände legen.