Kongreß und Gründung eines Dachverbands der Computerclubs geplant

Computerszene in der DDR sucht Anschluß an den Westen

02.03.1990

OSTBERLIN - Auch die Computerszene in der DDR ist durch die politischen Entwicklungen in Bewegung geraten. Ende Februar findet das erste DDR-weite Treffen der Computerfreaks in Ostberlin statt. Und bald darauf will sich dann ein "Verband der Computerclubs" (VCC) etablieren.

Von einer "knapp vierstelligen Zahl" von Computerclubs in der DDR geht Michael Gähme aus. Er gehört zu den Initiatoren des zukünftigen Dachverbandes: "Dazu zählen viele kleine Clubs an den Schulen, in den Berufsbildungseinrichtungen und an den Hochschulen. Aber auch Freizeitclubs wie wir."

Michael Gähme und Gernot Zander sind Mitglieder des Computerclubs "Pericont" im Ostberliner Stadtteil Pankow. Gernot Zander: "Wir sind inzwischen 15 Leute und haben uns auf Eigeninitiative zusammengefunden. Da war jemand, der ganz praktisch spezielle Programme brauchte, zum Beispiel eine Datenverarbeitung für eine Fahrschule, die er betreibt. Zuerst haben sich zwei und dann immer mehr Leute zusammengefunden. Die haben sich mit dem Anschluß peripherer Geräte beschäftigt und mit dem Ausbau der Hardware. Wir sind Leute, die nicht nur programmieren oder den Computer benutzen, sondern wir basteln auch an den Geräten."

Die "Geräte", das sind vor allem die "Kleinrechner" KC 8513 und KC 8514 aus dem Mikroelektronikwerk Mühlhausen sowie der KC 87 aus dein Robotron-Meßelektronikwerk in Dresden, sämtlich Z-80-Rechner. Diese Computer - 16 KB Arbeitsspeicher, Ausgang auf den Fernseher, Tonbandgerät als Massenspeicher - sind nicht nur als Hobbygeräte im Einsatz. Auch in den DDR-Büros und in den Betrieben sind sie noch überall als Steuerungsrechner zu finden. Der Hersteller empfiehlt sie selbstbewußt für den Einsatz bei der "Rationalisierung von Verwaltungsprozessen, Prozeßautomatisierung, im Bildungswesen, für wissenschaftlich-technnische Berechnungen".

Auch die beiden Computerfreaks aus Pankow lassen auf ihre Kleinrechner nichts kommen: "Wir haben im Club noch einen Einplatinenrechner Z 1013, der ist mit sehr vielem Basteln verbunden. Man lernt dabei eine ganze Menge, muß aber mit dem Lötkolben umgehen können. Wir können damit in Basic und sehr komfortabel in Maschinensprache programmieren, und Versuche in Pascal gibt es auch. Eine Schwierigkeit besteht darin, daß es mit Diskettenlaufwerken bei uns sehr schlecht aussieht und die Anpassung nicht einfach ist."

Rund 40 000 dieser Kleincomputer gibt es nach Schätzungen von Michael Gähme in der DDR. Billig sind sie nicht: Gebraucht kosten sie noch immer zwischen 1000 und 3000 Mark das Stück. Für April dieses Jahres hat der VEB Mikroelektronik "Wilhelm Pieck" in Mühlhausen ein Nachfolgemodell angekündigt: den KC compact einen 8-Bit-Rechner auf der Basis des DDR-Prozessors U 880 mit Basic-Interpreter im 32 KB großen ROM. Neu ist ein spezieller Soundchip U 8912, ebenfalls aus heimischer Produktion. Michael Schulz, Redakteur der DDR-Zeitschrift "Funkamateur" zu dem "Neuen aus Mühlhausen": "Spät, sehr spät kommt er, aber er kommt nun doch, der kompakte, portable, kompatible 8-Bit-Heimcomputer. Er weist gegenüber den bisher in der DDR angebotenen Kleincomputern deutlich verbesserte Leistungsparameter auf. Und 8 Bit zu Hause sind auch 1990 keine Schande."

Das sieht man im Computerclub des Ostberliner "Haus der jungen Talente" (HdjT) etwas anders. Eine Nachfrage bei vier Computerfreaks in diesem zentralen Jugendhaus mit 60 hauptamtlichen Mitarbeitern ergibt: Alle vier haben einen Commodore-64-Rechner aus dem Westen, einer zusätzlich einen XT. Schätzungsweise zwischen 150 000 und 250 000 westliche Computer haben in den letzten Jahren den Weg in die DDR gefunden. Clubmitglied Rontan Golka (18): "Vor der Wende hat die Oma die Rechner einfach mitgebracht oder es sind Päckchen geschickt worden."

Gegen Westgeld konnten Computer seit Ende 1985 auch in den Intershops gekauft werden. Dirk Scheuermann (33) hatte seinen ersten Commodore 64 zu Weihnachten bekommen: "Da wurde die Oma oder die Tante in den Shop gezerrt und so lange gebettelt, bis sie zahlten." In den Intershops lagen die Preise für Heim- und Personal Computer geringfügig über denen im Westen. Nach der Grenzöffnung wurden sie - um das Geschäft nicht ganz zu verlieren - gesenkt. Auch Software und Computerliteratur gibt es jetzt - so ein Schild im Computer-Intershop am Ostberliner Schiffbauer Damm - um 20 Prozent billiger als im Westberlin.

Ein gebrauchter VC 64 kostet derzeit immer noch 3000 Ostmark, eine Floppy ebensoviel. Im Anzeigenblatt "Der heiße Draht ", das seit Anfang Februar in der DDR erscheint, werden auch XT-Rechner angeboten: Ein Schneider PC, 1512 mit Drucker zum Beispiel für 35 000 Mark (Ost). Ein Paket mit zehn Disketten kommt auf 600 Mark. Stefan Seeboldt (37), seit einigen Jahren hauptberuflicher Leiter des Computerclubs im HdjT in der Ostberliner Klosterstraße "Die Ausstattung mit Hardware ist unser größtes Problem". An die IBM-kompatiblen Personal Computer aus DDR-Produktion - 1989 wurden immerhin 130 000 Stück produziert - kommen Privatleute nicht heran. Sie gehen in die Industrie, fiktive "lndustriepreise" von zeitweise 120 000 Mark pro Rechner machten die Suche nach solchen Geräten von vornherein aussichtslos.

Über eine Spendenaktion, die seit ein paar Wochen in der Bundesrepublik läuft, kamen die Ostberliner Computerfreaks zu einigen älteren CP/M-Rechnern aus dem Westen. "Die Rechner sind zwar ein bißchen vorsintflutlich", konstatiert Stefan Seeboldt, "aber das schadet nichts, sie sind wirklich noch gut brauchbar."

Hier, im "Haus der jungen Talente", haben sich Ende Februar erstmals in der DDR einige hundert Computerfreaks getroffen, davon 200 bis 300 aus der Bundesrepublik. Veranstalter waren der örtliche Computerclub und der Hamburger "Chaos Computer Club". Stefan Seeboldt: "Wir haben niemanden gefragt, ob wir das machen dürfen. Früher hätte man ein Jahr gebraucht, um dafür die Weichen zu stellen. Diesmal haben wir es andersum gemacht. Wir haben die zuständigen Stellen eingeladen, zum Beispiel die Post. Ich hoffe, daß von denen jemand kommt und als Gesprächspartner zur Verfügung steht."

Privates Datennetz für "Neues Forum"

Auf drei vorbereitenden Treffen wurde ein Veranstaltungsplan für den Kongreß erarbeitet. Volker Strüwe von der Vorbereitungsgruppe: "Wir haben uns die verrücktesten Ideen ausgedacht. Am längsten hat es gedauert, bis wir uns den Namen und die Finanzierung geeignet haben." Jetzt heißt das Treffen "Kokon 90". Volker Strüwe: "Das heißt "Kommunikationskongreß" und soll Assoziationen zur Abkürzung "Cocom" wecken, zur Cocom-Liste. Denn sie steht ja unseren Anliegen entgegen weil sie die Einfuhr von Technik verhindert."

Die Besucher des Kokon 90 erwartet ein dichtes Programm. Vor allem geht es darum, individuelle Erfahrungen auszutauschen und such kennenzulernen, aber es sind auch praktische Vorführungen von Mailboxbetrieb und Bildtelefon geplant. Dazu kommen verschiedene Fachvorträge und Diskussionsveranstaltungen. Stefan Seeboldt: "Am Sonnabend wird der Schwerpunkt auf Informationen für die DDR-Leute liegen. Bei uns gab es eine regelrechte Informations-Quarantäne. Die Begriffe sind nicht bekannt, die Technik ist teilweise nicht bekannt und auch das ganze Umfeld nicht. Da müssen wir erst mal einiges nachholen. Sonst fallen Begriffe wie ISDN, und die Leute wissen nicht, was das ist. Wir wollen deshalb ein Mini-Lexikon verbreiten, in dem solche Begriffe erklärt werden."

Mit dem Kongreß soll auch die Installation eines privaten Datennetzes für die DDR-Oppositionsgruppe "Neues Forum" beginnen. Dieses "DDRNet" wird mit 17 AT-Rechnern als Knoten aufgebaut, die unter UNIX laufen und per UUCP miteinander verbunden sind. Stefan Seeboldt: "In jedem Bezirk soll ein Rechner aufgestellt werden, so daß die Informationen des Neuen Forums oder anderer Organisationen im ganzen Land ausgetauscht werden können."

Interessenten für den geplanten "Verband der Computerclubs" können sich an Michael Gähme, Binzstraße 5 in Berlin 1100 (Telefon: 4 72 53 06) oder Eberhard Paul, Ilsenstraße 9 in Petershagen 1273 (Telefon: 8 93 55) wenden.