"Computer-Kriminalität" made in USA:Datenzentrum in New York gefleddert

21.07.1978

NEW YORK (cw) - Amerika - das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dies gilt heute noch genauso wie zu Zeiten Al Capones für neue "Ideen" im Bereich des Kriminalität. Die fachmännische Plünderung eines Datenzentrums ist jedoch ein absolutes Novum in den Annalen der New Yorker Polizei.

Einbrecher stiegen kürzlich in das Datenzentrum am Herbert Lehman College ein und rissen mehr als 1000 gedruckte Schaltungen und andere Steuereinheiten aus der schuleigenen 360/40, womit sie die Maschine völlig außer Betrieb setzten.

Einer Mitteilung der New Yorker Polizei zufolge wurden aus der 2040 CPU, 2821 I/O Kontrolleinheit, dem 2314 Disk Kontroller und aus dem 3803 Tape Control Unit (Bandkontrolleinheit) mit ebenso großer Vorsicht wie Sachverstand die Boards entnommen.

Alle Boards - darunter 24 von Cambridge Memories, Inc., (CMI) mit 128K Bytes Hauptspeicher - wurden nach Auskunft der Polizei mit größter Sorgfalt ausgebaut. Für Polizei und Collegeleitung liegt die Vermutung nahe, daß die abhanden gekommenen Teile irgendwo anders wieder zum Kauf angeboten werden könnten. Vandalismus war jedenfalls nicht mit im Spiel, da weder die Gehäuse noch andere Teile des Datenzentrums beschädigt wurden. Dies ist für das College jedoch nur ein schwacher Trost, denn der angerichtete Schaden ist groß genug: Der Ersatz der entwendeten Boards wird Kosten in der Größenordnung von etwa 200 000 Dollar verursachen. "Die gestohlenen Teile zu ersetzen, wäre außerdem ein sehr fragwürdiges Unterfangen", sagte Dekan Jack Weiner, Leiter der College Verwaltung, "da ein derart umfangreicher Nachkauf für ein so altes System wie das Modell 40 gleichzusetzen wäre mit der Ausgabe von 10 000 Dollar für die Reparatur eines gebrauchten Autos, das 100 Dollar wert ist."

Die College-Leitung ist nun auf der Suche nach einer anderen Lösung. Weiner und seine Kollegen arbeiten jetzt mit Leuten von der zentralen stelle der City University von New York City zusammen.

Dekan Weiner spekuliert außerdem darauf, daß eine Stadtverwaltung oder Staatliche Behörde ihre Anlage modernisiert hat, aber die alte, ausrangierte Anlage nie losbekommen konnte. "Vielleicht",so die Verantwortlichen vom geplünderten Lehman College, spielt uns der Zufall aus irgendeinem Abstellraum so eine Anlage in die Hände."

Inzwischen entdeckten Weiner und DP-Direktor Susan Kliavkoff eine 360/40, die Kapazität frei hatte und einen Teil der beim College anstehenden Arbeit übernehmen konnte. Die Programme des Lehman College - die Zentrale wurde nur für administrative Aufgaben eingesetzt, nicht für akademische Datenverarbeitung - wurden, soweit erforderlich, neu geschrieben und modifiziert, um auf der Ersatzanlage fahren zu können.

Dabei hatte man nach Meinung der College-Leitung noch Glück im Unglück, daß das Datenzentrum nicht zu einem anderen Zeitpunkt ausgeräumt wurde. Jack Weiner: "Gott sei Dank ist der Arbeitsanfall Anfang Mai relativ gering. Wenn aber im Laufe des Monats der Betrieb hektischer wird, die Zeugnisse für das Frühjahrstrimester geschrieben werden müssen und die Vorbereitungen für das Sommertrimester beginnen, hätten wir ohne unsere alte 360/40 bös ausgesehen."

Am Lehman-College will man jedoch keine großen Anstrengungen mehr unternehmen, um die amputierte Anlage wieder voll funktionsfähig zu bekommen. Zudem hat CMI Marketing-Chef Kent Crombie Weiner versichert, daß sowohl CMI als auch Raytheon Data Services, die für die Produktwartung verantwortlich ist, alles tun werden, damit das Datenzentrum so bald als möglich wieder voll funktionsfähig ist. Auf die Frage, ob die Boards wohl gestohlen wurden, um auf dem Schwarzen Markt wieder verkauft zu werden, meinte Crombie:

"Vier von fünf Boards, die ein IBM-kompatibles Speichersystem ergeben, könnten in jeder gewöhnlichen 360er verwendet werden."

Crombie meinte aber auch, daß der Wiederverkauf möglicherweise nicht das Motiv für den Diebstahl war.

"Die rund 1000 Schaltkreistableaus auszubauen und sie dann abzutransportieren muß schon eine unglaubliche Anstrengung gekostet haben", so Crombie, "denn jedes der CMI Boards ist zum Beispiel etwa einen Quadratfuß groß."