CGI, Softlab und Seer konkurrieren miteinander IBM offeriert jetzt gleich dreimal ICASE unter dem AD/Cycle-Label

13.08.1993

MUENCHEN (qua) - Wer heute eine integrierte CASE-Loesung (ICASE) von IBM kaufen will, hat die Qual der Wahl. Zur Auswahl stehen Pacbase beziehungsweise Paclan von der franzoesischen IBM-Tochter CGI, Maestro II von Softlab und HPS von Seer Technologies. ADW von Knowledgeware spielt fuer IBM nur noch eine untergeordnete Rolle.

Mit der kuerzlich abgeschlossenen Akquisition von 98,11 Prozent der CGI-Anteile ist IBM erstmals im Besitz einer veritablen CASE- Umgebung: Das integrierte Toolset Pacbase laeuft sowohl auf Grossrechnern als auch - unter der Bezeichnung

Paclan beziehungsweise Paclan/x - auf PC- und Unix-Plattformen.

Waehrend CGI mit dieser Produktpalette in Frankreich und den USA recht erfolgreich operiert, hat die deutsche CGI Interprogram GmbH, Langenfeld, noch keine Lizenz an den Anwender bringen koennen. Wie Vertriebsleiter Uwe Schroeter erlaeutert, scheiterten die Verhandlungen in der Vergangenheit oft daran, dass CGI nicht zu IBMs AD/Cycle-Partnern gehoerte.

Dieses Manko hat sich jetzt erledigt - zumindest, was die Argumentation dem Kunden gegenueber angeht. Intern muessen sich die IBM-Verantwortlichen allerdings noch den Kopf darueber zerbrechen, wie sie das Produktangebot der frischgebackenen Tochter innerhalb ihrer CASE-"Architektur" positionieren wollen.

Anlaesslich einer Pacbase-Anwendertagung in Memphis, Tennessee, beschrieb Mark Elliot, Assistant General Manager der IBM-Division Programming Systems (PRGS), kuerzlich seine Vorstellungen von der kuenftigen AD/Cycle-Struktur. Seiner Darstellung zufolge will IBM

die Entwicklungsumgebung Pacbase weltweit als eigenes Produkt anbieten.

Doch bevor die Vertriebsbeauftragten des blauen Riesen die mit Pacbase erzielten Umsaetze auf ihr Quotenkonto verbuchen koennen, sind noch einige Formalien zu regeln. Dieser Prozess laesst sich, so der CGI-Vertriebs-Manager Schroeter, kaum vor Ende des laufenden Jahres abschliessen.

Das hindert CGI allerdings nicht daran, seinen Status als "an IBM Company" bereits heute werbetaktisch auszuschlachten. So machte kuerzlich eine englischsprachige Pressemeldung die Runde, deren Ueberschrift suggeriert, IBM habe die Loesungen der AD/Cycle-Partner zugunsten von Pacbase aufgegeben. Uebersetzt lautet die Headline: "Die IBM waehlt Pacbase als integriertes CASE-Angebot."

Wenig erbaut von dieser Nachricht zeigte sich die Muenchner Softlab GmbH. Einige Tage zuvor hatte die BMW-Tochter noch bekanntgegeben,

dass IBM das Softlab-Produkt Maestro II als "heute verfuegbare" AD/Cycle-Plattform weltweit vertreiben werde, da es das "zur Zeit einzige" Software-Entwicklungssystem mit einem LAN-Repository sei, das grosse Teams ueber den gesamten Entwicklungsprozess hinweg unterstuetzen koenne.

Entsprechend sauer reagierte Softlabs Marketing-Leiter Heinz Weiler: Bei der CGI-Meldung koenne es sich nur um eine "Interpretation" handeln - im Vorgriff auf "Dinge, die noch geplant werden". Allerdings wollte der Muenchner nicht leugnen, dass CGI aufgrund der Zugehoerigkeit zum IBM-Konzern kuenftig wohl den direktesten Draht zu den Entwicklungslabors haben duerfte.

Die deutsche IBM-Niederlassung steht dem Marketing-Vorstoss der CGI eher reserviert gegenueber. Nach Aussagen von Edwin Vogt, Director of Software Development, ist Pacbase beziehungsweise Paclan lediglich "eine" der von IBM angebotenen integrierten CASE- Loesungen. Darauf, wie viele und welche Produkte dieses Angebot konkret umfasst, wollte Vogt sich nicht festlegen.

Im Gespraech fielen jedoch vor allem drei Namen: neben Pacbase von CGI und Maestro II von Softlab auch HPS von der in Cary, North Carolina, beheimateten Seer Technology Inc., einem Spinoff der Bankengruppe First Boston Corp. Die IBM haelt seit geraumer Zeit zwei Fuenftel der Firmenanteile; doch wollte sie sich in der Vergangenheit nicht so recht zu diesem Engagement bekennen. Der Grund liegt auf der Hand: An einer Konkurrenz fuer das mit grossem Marketing-Einsatz angekuendigte AD/Cycle-Konzept konnte IBM nicht gelegen sein.

Nachdem die hochfliegenden CASE-Plaene im Juli vergangenen Jahres revidiert werden mussten, setzt der ehemalige Branchenprimus augenscheinlich andere Prioritaeten: Jetzt ist ihm wohl eher daran gelegen, funktionierende Produkte zu praesentieren. Folglich wurde das bis dato im Verborgenen bluehende HPS in den Vorgarten verpflanzt. Bereits auf der diesjaehrigen CeBIT hatte Peter Kirn, Direktor Anwendungen und Architekturen bei der IBM Deutschland GmbH, einen Seer-Vertreter zur Pressekonferenz der AD/Cycle- Partner geladen.

Jetzt haben PRGS und Seer Technologies die Absicht geaeussert, den Codegenerator CSP in HPS zu integrieren und den von Seer entwickelten "Communications Connectivity Code" mit kuenftigen CASE-Produkten von IBM zu koppeln. Wie James Archer, PRGS-Direktor fuer AD/Cycle, gegenueber der CW-Schwesterpublikation "Computerworld" ausfuehrte, werden IBM-Produkte mit Runtime- Elementen von Seer voraussichtlich ab Mitte des kommenden Jahres ausgeliefert.

Nach Ansicht der Mitbewerber ist HPS - wegen seines integrierten Informationsmodells - fuer die Anwendungsbeduerfnisse von Banken und Versicherungen massgeschneidert. Doch von einer solchen Beschraenkung will Vogt, als Chef des deutschen PRGS-Labors direkt dem AD/Cycle-Vater Earl Wheeler unterstellt, nichts wissen. Vielmehr unterschieden sich Pacbase, Maestro II und HPS hauptsaechlich durch die jeweils zugrundeliegenden Methoden: Waehrend das Softlab-Produkt unter anderem das deutsche "Vorgehensmodell" unterstuetze und Pacbase an den franzoesischen Standard Merise angepasst sei, lasse sich HPS mit der in den USA relativ weit verbreiteten Structured analysis and design technique (SADT) nutzen.

Nur noch unter ferner liefen rangiert bei der IBM mittlerweile die Application Development Workbench (ADW) der Knowledgeware Inc., Atlanta, Georgia. So wird das Software-Unternehmen, an dem Big Blue immerhin eine Minderheitsbeteiligung von etwa zehn Prozent besitzt, auf der diesjaehrigen Systems nicht auf dem IBM- Partnerstand praesent sein. Laut Vogt kuemmert sich Knowledgeware zuviel um seine Tools und legt zuwenig Gewicht auf die Methoden - weniger jedenfalls als Softlab, Seer und CGI.

Larry Sundquist, als europaeischer Vice-President Marketing & Customer Support fuer das Tagesgeschaeft der Stuttgarter Knowledgeware GmbH zustaendig, will diesen Vorwurf nicht gelten lassen. Schliesslich habe Knowledgeware unter der Bezeichnung Foresight auch ein Methoden-Tool im Angebot. Wie der Knowledgeware-Prokurist einraeumt, unterstuetzt ADW allerdings nicht SADT, sondern die Information-Engineering-Methode von James Martin.

Vogt liess im uebrigen keinen Zweifel daran, dass die vorliegenden Produkte bislang alle noch nicht die kuenftigen Anforderungen an ein Anwendungsentwicklungs-System abdecken. Darunter versteht der IBM-Manager nicht nur eine "moderne" Client-Server-Methode, sondern ganz konkret die Ausrichtung an einem durchgaengigen objektorienten Konzept.

Wie der leitende IBMer ausfuehrt, ist auch das "Object Management System" (OMS) von Maestro II in diesem Sinne nicht objektorientiert, da es die Daten als Flat files abspeichere. Deshalb arbeitet PRGS - gemeinsam mit einer Reihe von Partnerunternehmen - nach wie vor an einem eigenen LAN-basierten und objektoriertierten CASE-Repository.