CeBIT: Realität und berechtigte Erwartung

01.03.1991

In Frankreich gehen die DV-Uhren anders: Dort wurde jetzt der "Salon International d'Informatique, Télématique, Communication, Organisation du Bureau et Bureautique", kurz: "Sicob", vom Messe-Spielplan 1991 abgesetzt, auf ausdrücklichen Wunsch - vornehm ausgedruckt - der großen Aussteller (voilÓ: IBM, Bull, DEC, Unisys, HP, Olivetti, NCR, Apple etc.), mit dem schlichten Argument, eine derartige DV-Superschau (siehe Bezeichnung) sei nicht mehr marktkonform, nicht mehr zeitgemäß. Wie gesagt: In unserem westlichen Nachbarland gehen die DV-Uhren anders. Die Sicob-Ausrichter mühen sich erst gar nicht um den Nachweis vertaner Chancen - was alles schief gelaufen ist, ja schieflaufen mußte -, mit einer Ausnahme: Gegen die großdeutsche CeBIT-Konkurrenz sei kein Messekraut gewachsen, wird ohne Umschweife eingeräumt.

Die Verantwortlichen für das "Welt-Centrum Büro - Information - Telekommunikation" in Hannover werden es nicht ungern vernommen haben, daß der Sicob-Salon geschlossen werden muß. Dennoch müssen sie einige Aussagen in dem Kapitulationspapier als Provokation auffassen, vor allem die Thesen zur Messepolitik. Da heißt es nämlich, auf den französischen Markt bezogen, der Trend gehe zu überschaubaren, Zielgruppen-genauen Spezialveranstaltungen. Und jetzt wird es interessant: Unter hiesigen Kritikern im Ausstellerlager - auch die gibt's - gilt die CeBIT als Gemischtwarenladen, insbesondere die Halle 1 (siehe Thema der Woche, Seite 7). Was hat zum Beispiel das CeBIT-Management in den vergangenen Jahren unternommen, um den Konflikt "Publikumsmesse contra Fachmesse" zu entschärfend? Ist sie überhaupt bereit zu akzeptieren, daß dieser Konflikt besteht?

Das wenigste, was die Messe AG dazu sagen könnte, wäre doch: Das Problem ist unlösbar. Wer, wie der typische Marketier der DV-Branche, zur CeBIT geht, um sich über die Konkurrenz schlau zu machen, wer die CeBIT als Inzuchtveranstaltung der DV-Industrie goutiert, der hätte Verständnis für diese Aussage. Lippenbekenntnisse, man werde schon einen Weg finden, die CeBIT besucherfreundlicher zu gestalten, ändern nichts daran, daß Themen wie Outsourcing, CASE, Reverse-Engineering, Online Transaction Processing, objektorientierte Programmierung oder offene Standards nur bedingt messefähig sind.

Es geht nicht darum, die CeBIT mies zu machen, dies nebenbei. Es geht vielmehr darum zu differenzieren, was marktpolitische Realität ist (siehe Sicob) - und was unangebrachte Erwartung. Aus Anwendersicht gibt es, diese Feststellung muß erlaubt sein, Wichtigeres als die CeBIT. Daß sich die DV-Industrie vergaloppiert, kann den Anwendern indes nicht egal sein.