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CeBIT ´99: Interview mit Bildungsministerin Bulmahn

19.03.1999
Staat und Wirtschaft müssen für die Informationstechnik mehr tun

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Mit den 900 Millionen Mark, die in diesem Jahr zusätzlich in ihr Budget fließen, will Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn Deutschland auf dem Weg in die Informationsgesellschaft weiterbringen. Die CW-Redakteure Alexandra Glasl und Hans Königes fragten auf der CeBIT die SPD-Politikerin, wie sie die Informationstechnik fördern will.

CW: Über den Fachkräftemangel in der IT-Branche wird derzeit heftig diskutiert. In Europa soll es 500 000 offene Stellen, in Deutschland 75 000 unbesetzte IT-Stellen geben. Was wollen Sie dagegen unternehmen?

Bulmahn: Ich muß an unterschiedlichen Punkten ansetzen. Zum einen in der Schulausbildung, zum anderen bei den Weiterbildungsmöglichkeiten. Wir entwickeln zusammen mit dem Fraunhofer-Institut und der Universität Kaiserslautern Weiterbildungskonzepte, um den Fachkräftemangel in den IT-Berufen offensiv entgegenzutreten. Der dritte Bereich ist die Hochschulausbildung. Ich bin froh, daß sich wieder mehr Jugendliche für ein Studium der Informatik oder Elektrotechnik entscheiden.

CW: Reichen die ansteigenden Studentenzahlen in den technischen Fächern aus oder müssen sich nicht auch die Studieninhalte ändern, damit der Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis gelingt?

Bulmahn: Die Hochschulen müssen ihre Informatikausbildung verbreitern. Die mathematische Orientierung in den Informatikstudiengängen reicht bei weitem nicht aus. Wir brauchen Studiengänge, die stärker auf das künftige Anwendungsfeld ausgerichtet sind. Nicht umsonst findet die Wirtschaftsinformatik so eine große Nachfrage.

CW: Aber bisher hat die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft noch nicht die erhofften Früchte getragen.

Bulmahn: Inzwischen studiert ein großer Teil der Jugendlichen mit dem Ziel, die so erworbenen Kenntnisse in einem Unternehmen und nicht im Rahmen einer wissenschaftlichen Karriere anzuwenden. Das hat auch Auswirkungen auf die Hochschule selbst. Auf der anderen Seite stellen Unternehmen fest, daß eine intensive Zusammenarbeit mit Hochschulen auch ihnen nützt, weil frühzeitig neue Forschungsergebnisse auch in die Firmen fließen.

CW: Ein Professor und Inhaber eines gutgehenden Softwarehauses beklagte sich, daß nur Forschungsergebnisse Anerkennung bringen. Gründet er ein Unternehmen, wird er von den Kollegen geschnitten. Hat die Wissenschaft nach wie vor einen zu hohen Stellenwert?

Bulmahn: Als ich das gelesen hatte, habe ich gedacht: Nicht jammern, sondern handeln. Ich setze bei der Erneuerung der Hochschulen auf größtmögliche Autonomie, auf Wettbewerb und auf eigenständige Profilbildung statt auf staatliche Bevormundung. Der Staat soll sich künftig auf verbindliche Rahmenvorgaben für die Arbeit der Hochschulen beschränken.

CW: Apropos Handeln. Sie haben sich in Sachen computerunterstütztes Lernen einiges vorgenommen. Wie sollen Deutschlands Schulen und Hochschulen auf diesem Gebiet die Nummer eins werden?

Bulmahn: Computerunterstütztes Lernen soll in allen Schulen und Hochschulen zu einem ganz normalen Bestandteil der Lehre werden. Ich werde einen Schwerpunkt für die Entwicklung hochwertiger Lernsoftware setzen, und zwar über alle Jahrgangsstufen und Fächer hinweg. Es ist ganz entscheidend, eine Lernsoftware zu haben, die erstens für die Schüler interessant ist und zweitens den Lehrern auch das Unterrichten erleichtert. Das erhöht entscheidend die Akzeptanz und auch die Motivation, Lernsoftware und die neuen Medien als integralen Bestandteil im Unterricht einzusetzen.

CW: ZVEI-Vorsitzender Menno Harms hat auf der CeBIT für ein Bündnis für Bildung plädiert, dagegen ist IBM-Personalvorstand Klaus Kuhnle der Ansicht, daß die Wirtschaft genug getan hat. Jetzt sei die Politik dran. Was halten Sie von diesen gegensätzlichen Aussagen?

Bulmahn: Weder Staat noch Industrie haben genug getan. Keiner kann sich entspannt zurücklehnen. Deshalb werde ich die Wirtschaft, Länder, Städte und Gemeinden zu einem Spitzengespräch einladen, um unsere Schulen und Hochschulen im Rahmen einer Public-Private-Partnership so auszustatten, daß sie weltweit eine Spitzenposition beim computergestützten Lernen einnehmen.

CW: Herr Harms könnte es sich so vorstellen, daß der Staat die Koordination übernimmt und die Unternehmen zum Beispiel eine Börse für ältere Rechner aufmachen. Wie würde Ihr Modell aussehen?

Bulmahn: Kurzfristig halte ich solche Überlegungen, die Rechner der letzten Generation gleich an die Schulen und nicht an den Handel weiterzugeben, für richtig. Auf Dauer sollte die Industrie einen bezahlbaren PC oder Laptop entwickelt. Im Augenblick bewegen wir uns ja noch in Kostendimensionen, die es für viele Familien sehr schwer machen, sich einen Computer anzuschaffen.

CW: Mit dem Wirtschaftsministerium arbeiten Sie an einem Masterplan, der Deutschland den Weg in die Informationsgesellschaft ebnen soll. Welche Initiativen umfaßt der Plan?

Bulmahn: Ein Bestandteil wird die Entwicklung des Next-Generation-Internet sein, damit wir die Übertragungsgeschwindigkeit deutlich erhöhen. Wir wollen in den Terabit-Bereich vorstoßen. Weitere Schwerpunkte sind die Weiterentwicklung breitbandiger Mobilfunkkommunikationssyteme, die Display-Technik und die IuK-Anwendungen insgesamt.