Leistungssteigerung bei voller PC-Kompatibilität:

CAD-Einstieg für Vorsichtige

22.01.1988

Ein Personal Computer, ob PC oder AT, ist mittlerweile in den meisten Betrieben vorhanden. Die Performance dieser Maschinen läßt jedoch für rechenintensive Anwendungen, wie CAD, Simulationen oder Berechnung von Finite-Elemente-Problemen, noch deutlich zu wünschen übrig. Den Sprung zu einer Grafik-Workstation oder einem kleinen Minicomputer scheuen viele Anwender, weil dies zu kostspielig und mit großem Umstellungsaufwand verbunden wäre. Einen Ausweg aus dem Dilemma bieten in vielen Fällen PC-Zusatzkarten mit eigener 32-Bit-CPU.

Seitdem im Oktober 1986 ein AT-kompatibler PC mit dem neuen 32-Bit-Prozessor 80386 von Intel auf dem Markt kam, sind von diesem Prozessor weit über eine Million Exemplare produziert worden. Nach Compaq mit dem Deskpro 386 kamen noch vor IBM diverse andere Hersteller mit ihren AT-kompatiblen 386-Modellen, und es werden immer mehr.

Es ist erstaunlich, in welcher Stückzahl sich diese Rechner verkaufen lassen, bieten diese doch unter MS-DOS gegenüber dem bisherigen AT mit dem 16-Bit Prozessor 80286 lediglich eine etwa verdoppelte Verarbeitungsgeschwindigkeit. Ein 386-AT unter MS-DOS gleicht damit einem Flugzeug, das einen leistungsfähigen Motor besitzt, der aber noch so stark (durch MS-DOS) gedrosselt ist, daß das Flugzeug nicht abheben und daher nur als Landfahrzeug genutzt werden kann.

MS-DOS als Bremse für Rechnerleistung

Wird in einen solchen AT nun eine Rechnerbaugruppe mit einem entsprechend leistungsfähigen Prozessor und eigenem Arbeitsspeicher als Steckkarte eingesetzt, so ist eine vielfach höhere Rechenleistung möglich, ohne auf ein anderes Betriebssystem zurückgreifen zu müssen und dadurch den Zugriff auf die breite Palette an Software für MS-DOS zu verlieren. Um bei dem angesprochenem Vergleich zu bleiben: In das Gefährt wird ein zusätzlicher, leistungsstärkerer Motor eingebaut, der nicht nur das Abheben erlaubt, sondern das Gefährt zu einem Überschall-Düsenflugzeug macht. Dieser Vergleich gibt ungefähr die Relationen der Rechnergeschwindigkeit wieder (Faktor 4 bis 20 im Vergleich zu 80386-ATs beziehungsweise 8 bis 40 im Vergleich zu 80286-ATs). Um transparent zu machen, wie eine solche Leistungssteigerung möglich ist, ist zunächst ein kurzer Blick auf die Entwicklungsgeschichte der 32-Bit-Prozessoren erforderlich.

Bei der Entwicklung des 80386 stand die Abwärtskompatibilität zu den 16-Bit-Prozessoren des gleichen Hersteller stark im Vordergrund.

Diese war aus wirtschaftlichen Gründen sehr wichtig, denn es galt, den Zugriff auf das wohl breiteste Softwareangebot aufrechtzuerhalten, das je für eine Prozessorfamilie entwickelt wurde.

Dabei mußten jedoch auch eine Reihe von Beschränkungen in Kauf genommen werden. Gerade in der Kompatibilität des 80386 liegt auch seine Schwäche, denn sein Instruktionssatz ist eine Obermenge desjenigen seiner 8- und 16-Bit-Vorgänger, und da diese Familien jeweils sehr unterschiedliche Entwicklungsstufen repräsentieren, waren Kompromisse in der Struktur der Befehle, der Adressierungsarten sowie der Verwendbarkeit der Register unumgänglich. (Siehe COMPUTERWOCHE Nr. 52/1985, Seite 14.)

80386: Kompatibilität forderte Kompromisse

Benutzer von 386-ATs können deshalb unter MS-DOS zwar eine höhere Rechengeschwindigkeit, aber eben nur den Befehlssatz des 16-Bit-Prozessors 8086/8088 nutzen. Dies ändert sich kaum, wenn mit derzeit aktuellen Versionen von OS/2 gearbeitet wird. Die Begrenzung auf 640 KB RAM unter MS-DOS wird zwar durchbrochen, aber eine echte Nutzung des 32-Bit-Befehlssatzes wird erst in einer Folgeversion des Betriebssystems etwa Ende 1988 möglich sein.

Es gibt Gründe für die Annahme, daß Ähnliches für das derzeitige Unix V/386 gilt. Es soll bereits zahlreiche Applikationen für V/386 geben. Diese laufen auch unter V/286 da V/386 zu V/286 Objektcodekompatibel ist. Daraus ist zu schließen, daß auch hier noch viel von der Leistungsfähigkeit des 80386-Prozessors verschenkt wird. Andererseits erlaubt der 80386 mit der eingebauten MMU (Memory Management Unit) virtuelle Speicherverwaltung. Der so erschlossene virtuelle Adreßraum umfaßt 64 Terabyte.

Ausgereifte Compiler sichern Motorolas Vorsprung

Der 68020 von Motorola ist eine Weiterentwicklung seines Vorgängers 68000, der schon seit 1979 auf dem Markt ist und intern seit Anbeginn eine 32-Bit-Struktur aufweist. Dieser Prozessor wurde somit ohne die oben genannten Kompromisse entwickelt. Vor allem stehen seit Jahren ausgereifte Compiler zur Verfügung. Dagegen werden Compiler für den 80386 unter OS/2, die echte 32-Bit-Verarbeitung erlauben, erst Ende 1988 verfügbar sein.

Das Resultat eines Vergleiches in der Leistungsfähigkeit der beiden Prozessoren ist daher nicht verwunderlich: Vergleiche, die taktratenneutral durchgeführt wurden, ergaben eine klare Überlegenheit der relativen Leistung des 68020.

Die frühe Erkenntnis dieser Tatsachen führte zur Entwicklung von Add-on-Produkten für ATs in der Form, daß eine Zusatzkarte mit eigenem Prozessor und Arbeitsspeicher in den Basis-PC eingebracht wird und die ursprüngliche PC-CPU die I/O-Vorgänge verwaltet, während der leistungsstärkere Koprozessor sich den vornehmeren Aufgaben widmet, etwa rechenintensiven CAD/CAM-Programmen.

Mit diesen Koprozessorkarten steckt man einem AT praktisch die Rechenleistung eines Minis mit dem entsprechenden Prozessor ein. Die Karten sind mit unterschiedlicher Leistung zu haben und in der Regel mit einem Arithmetik-Koprozessor bestückt. Gelegentlich, wie im Falle der Definicon DSI-PW1, enthält das Add-on-Paket eine eigene Grafikeinheit und verkehrt mit dieser über einen eigenen Bus, um die Limitierungen des AT-Bus zu umgehen. Dadurch wird ein Bildaufbau erreicht, der mindestens um den Faktor 10 schneller vonstatten geht als mit dem reinen Basisgerät.

Der eigene RAM-Speicher auf der Karte kann bis zu 16 MB betragen. Die Adressierung erfolgt meistens direkt, etwa im Beispiel der Add-on-CPU DSI-780 von Definicon, die, mit dem Motorola-Prozessor 68020 bestückt, als typische Vertreterin ihrer Gattung angesehen werden kann. Die hohe Rechengeschwindigkeit erklärt sich unter anderem durch den Wegfall der Speicherverwaltungseinheit (MMU), die bei vergleichbaren Minis in Verbindung mit Unix natürlich einen Overhead darstellt, der hier gänzlich entfällt. Hier zahlt es sich aus, daß auf ein eigenes Betriebssystem verzichtet wird. MS-DOS bleibt das Betriebssystem auch für den Add-on-Prozessor.

Lineare Adressierung beschleunigt Anwendungen

Die Verbindung zwischen der AT-CPU (Intel 80286 oder 80386) und der Steckkarte wird durch ein Ladeprogramm hergestellt. Eine Anwendungssoftware, die die Karte ansprechen soll, wird einfach durch ein vorgeschaltetes "Load" aufgerufen. Daher liegen alle Dateien als gewöhnliche MS-DOS-Dateien vor, und man arbeitet genauso wie unter MS-DOS gewohnt; man bemerkt nichts davon, daß man mit der 68020-CPU arbeitet.

Zur Unterstützung der gängigen Hochsprachen stehen Unix-Compiler für C, Fortran und Pascal zur Verfügung. Diese bereits seit Jahren bewährten Compiler für Minis mit gleicher CPU wurden durch die "Loader"-Software an MS-DOS angepaßt. Die meisten Anwender von 68020-Boards kommen - dank der ausgereiften Compiler - ohne fremde Hilfe aus.

Eine höhere Rechenleistung als die der verbreiteten 68020-Boards läßt sich mit einigen "Exoten" erzielen wie etwa dem "Clipper" von Fairchild. (Seit dem Verkauf des Halbleiterherstellers an National Semiconductor wird die Clipper-Produktreihe von Intergraph, einem amerikanischen Hersteller grafischer High-End-Workstations, weiter unterstützt.) Als Beispiel sei das "Pantherboard" angeführt, das in Deutschland von der SPEA Software AG in Starnberg vertrieben wird und das etwa 20 bis 80 Prozent mehr Durchsatz bringen dürfte. Genauere Angaben sind allerdings erst nach einem Vergleichstest möglich, den der Autor dieses Beitrages demnächst zusammen mit der Universität Hamburg

(Fachbereich Informatik) durchführen wird.

Ein wichtiger konzeptioneller Unterschied besteht hierbei darin, daß das Betriebssystem Unix zusammen mit MS-DOS im Rechner vorgehalten wird (MS-DOS im Vordergrund, Unix im Hintergrund). Die Anwender-Programme sind dabei echte Unix-Programme, die dann aber unter MS-DOS aufgerufen werden können.

Dies ist natürlich ein Vorteil, der jedoch mit einem entsprechenden Overhead erkauft wird, was man sich hier aber wegen der höheren Prozessorleistung sicher leisten kann.

Zum Vergleich der Motorola- und Clipper-Boards gehört aber auch die Betrachtung der verfügbaren Compiler. Wie schon festgestellt, gibt es für den Motorola-Prozessor ausgereifte Compiler, da dieser schon seit Jahren auf dem Markt ist. Die Compiler für den Clipper sind sehr viel jüngeren Datums. Rückschlüsse auf den "Reifegrad" liegen nahe. Eine genauere Aussage wird erst der geplante Test ermöglichen. Dabei sollen alle verfügbaren Compiler mit Standardtests überprüft werden.

Die für den "Panther" portierte Anzahl lauffähiger CAD-Programme laut einer Liste von SPEA ist beachtlich, trotz der kurzen Zeitspanne, die dieser Prozessor am Markt ist. Neben Autocad führt SPEA noch zehn weitere Pakete auf.

Überhaupt wurde eine Vielzahl von Programmen für solche Add-ons bisher portiert, vor allem in den USA. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Software für Großrechner und Minis aus den Bereichen CAD/CAM, Finite Elemente und Operations-Research. Im deutschen Sprachraum ist das Angebot noch nicht so ausgereift, aber das, was existiert, kann sich sehen lassen.

So hat zum Beispiel die europäische Niederlassung der texanischen Gesellschaft Bonner & Moore Ass. in Wiesbaden ein Programm für lineare Optimierung entwickelt, das auf einer solchen PC/Add-on-Konfiguration ähnlich schnell abläuft wie auf einem Großrechner und auch die Ergebnisse in der gleichen Form zur Verfügung stellt.

Auswahl an Software läßt noch zu wünschen übrig

Typischerweise werden jedoch auf solchen Systemen CAD-Programme eingesetzt, wie beispielsweise das weitverbreitete Autocad, welches auch von Definicon angeboten wird. Dieses Programm ist aus der PC-Welt bekannt und findet umfangreiche Third-Party-Unterstützung, etwa in Form von Drucker- und Plotter-Treibern. Auf einem mit "Nachbrenner" bestückten PC läuft das Programm schneller als auf dem AT oder 386-Rechner, bietet aber auch nicht mehr Möglichkeiten, ausgenommen -die Grafikdarstellung, die hier von dem nach Megabyte zählenden Speicher profitiert.

Allerdings erlaubt die Installation einer Zusatz-CPU-Karte auch den Betrieb professioneller CAD-Software, die für 32-Bit-Maschinen entwickelt wurde, wie etwa SIS CAD-M von Staedler Informationssysteme. In einem solchen Fall erhält der Anwender die Möglichkeiten eines Minicomputers zu einem Preis, der lediglich 50 bis 60 Prozent davon beträgt, allerdings auch mit der Beschränkung auf ein Einplatzsystem. Bei anspruchsvoller CAD-Software dieser Art, die sehr rechenintensiv ist, wäre auch bei einem Mini das Arbeiten mehrerer Anwender an einem System wenig sinnvoll. Hinzu kommt das wesentlich einfachere Betriebssystem MS-DOS, das auch dem CAD-Neuling vom PC her bereits vertraut ist. Die Anpassung an organisatorische Veränderungen fällt damit leichter, und der Zuschnitt auf Klein- und Mittelbetriebe oder Fachabteilungen in Großunternehmen wird dadurch einfacher. Auch können geringere Schulungs- und Akzeptanzprobleme erwartet werden.

MS-DOS erleichtert Kleinbetrieben den Umstieg

Multiuser-Anforderungen erfüllt in einem solchen Fall ein PC-Netz mit Minicomputer-äquivalenten Übertragungsleistungen von zehn Megabit je Sekunde. Außerdem befindet sich gerade im Fall des erwähnten Softwarepaketes SIS CAD-M eine Multiuser-Version für PC-Netze mit Record- und File-Locking in Vorbereitung.

Eine Umstellung auf Unix und damit eine alternative Verfügbarkeit derartiger professioneller Softwarepakete auf einem Minicomputer dürfte ohne große Schwierigkeiten möglich sein (Rückportierung), da sie ohnehin für diese Zielgruppe geschrieben wurden.

Rückportierung auf Unix läßt kaum Probleme erwarten

Abschließend scheinen noch einige Bemerkungen zum Trägersystem (dem PC) angebracht. Immerhin handelt es sich bei diesen Geräten um Massenprodukte in Standardtechnik mit nicht immer der besten Herkunft. Die technischen Gegebenheiten einer solchen Koprozessor-Konfiguration stellen jedoch erhöhte Anforderungen an die Kompatibilität des Basisrechners und eine Reihe weiterer Parameter, wie etwa das Bus-Timing oder die Leistungsfähigkeit der Stromversorgung. SPEA führt in einer Liste 13 AT-Modelle als geeignet an. Für Definicon Systems sind dagegen nach eigenem Bekunden nur drei Fabrikate gut genug: die IBM AT 02 und AT 03 sowie der Wyse 286. Allerdings haben sich zwischenzeitlich die Compaq-Maschinen Deskpro-286 und -386 ebenfalls als geeignet erwiesen.

Bei Auswahl des Basic-PC ist Vorsicht geboten

Warum diese vorsichtige Begrenzung? Die Erfahrung hat gezeigt, daß nicht immer ein bestimmter Typ, sondern die Fertigungstoleranz der Standardtechnik entscheidend sind. So kann der Vertriebspartner von Definicon Systems in Hamburg (Micro Systeme) zwei weitere Maschinen nennen, in denen die Boards laufen: Die ATs von Multitech und Mitac. Es ist sogar Praxis gerade des erwähnten Vertriebspartners, für jeden Rechner einen Dauertest von 48 Stunden durchzuführen, um sicherzugehen, daß Trägersystem und Board lange Zeit sicher miteinander funktionieren. Dies gilt auch für Trägersysteme, die laut Liste lauffähig sein sollen. Der Autor dieses Beitrages hat ebenfalls zwei AT-Kompatible ausfindig gemacht, die einen 40-Stunden-Test bestanden haben: Der Radan AT und ein- 286-Portable von Abaco. Diese Rechner werden in Deutschland hergestellt und arbeiten offensichtlich mit der erforderlichen Präzision im Bus-Timing. Für das Clipper-Board liegen noch keine Erfahrungswerte vor. Käufer dieser Produkte sollten deshalb auf einem Test der Kombination im vorgesehenen Trägersystem bestehen.