Ausfallsicherheit der Systeme ist von hoher Bedeutung Springer: Neue Unix-DV fuer den Kampf um die Lesergunst Von Robert Harnischmacher*

12.11.1993

Im Zeitungsgeschaeft ist Tempo Trumpf. Damit sich wichtige Nachrichten noch in letzter Minute ins Blatt bringen lassen, installiert der Springer-Verlag fuer seine Berliner Tageszeitungen "Berliner Morgenpost", "BZ" und "Die Welt" ein neues Produktionssystem, das DV-Unterstuetzung bis zur Druckvorstufe bietet. Trotz hoher Anforderungen an die Fehlertoleranz entschied sich der Projektleiter fuer eine Unix- basierte Loesung.

Wenn bei der "Berliner Morgenpost" der Redaktionsschluss naht, zaehlt jede Minute: Reportagen, Berichte und Meldungen werden in Druckfahnen ausbelichtet und im Klebesatz auf den Zeitungsseiten montiert. Zusammen mit Fotos, Grafiken, Standard-Seitenelementen und Anzeigen formt sich daraus das Gesamtlayout.

Der DV-unterstuetzte Produktionsprozess endete dabei bislang gleichsam vor den Tueren der Montageabteilung - aehnlich wie auch bei "BZ" und "Die Welt". In wenigen Wochen wollen nun die Computerspezialisten des Springer-Verlages ein neues Produktionssystem auf Basis von Sparc-Systemen in Betrieb nehmen, das die nahtlose elektronische Erstellung der drei Blaetter bis in die Druckvorstufe ermoeglicht.

Schon seit langem verfassen die mehr als 400 Redakteure von "Die Welt", "BZ" und "Berliner Morgenpost" ihre Artikel an PC- Terminalsystemen des US-Herstellers System Integrators (SII). Die Systeme dienen als Texterfassungseinheiten mit einfachen Layout- Funktionen. Die Integration der Terminals erfolgt ueber Point-to- point-Verbindungen mit einem fehlertoleranten Tandem-Rechner (Guardian).

Die manuelle Montage der Texte stellt derzeit die letzte nicht digitalisierte Luecke zwischen Redaktion und Zeitungsproduktion dar. Dieses Manko wollen die Verlagsplaner nun beseitigen. So werden derzeit zwoelf IPX- und 27 LX-Workstations von Sun Microsystems (Layout-Champs) als Clients zusammen mit zwei Multiprozessor-Servern des Typs "Sparccenter 2000" in den Berliner Redaktionsraeumen installiert. Als zentrales Bindeglied fungiert hierbei ein Seitenlayout- und -produktionsprogramm des Softwarehauses CCI. Es verfuegt ueber eine Schnittstelle zum SII- System und verwaltet mit Hilfe eines Datenbanksystems von Sybase saemtliche Texte, Gestaltungselemente und Photos. CCI bietet eines der wenigen professionellen Publishing-Pakete an, die sich als echte Mehrplatzanwendung einsetzen lassen.

Zusaetzlich zu dem bidirektionalen Datenaustausch mit den SII- Redaktionssystemen sollen die Sun-Server auch fuer die Kommunikation mit den Raster-Image-Prozessoren (RIP) der Marke "Hyphen" in den Postscript-Seitenbelichtern von Triple I sorgen. Ausserdem ist die Anbindung an mehrere Apple-Macintosh-Systeme im Grafikbereich, an digitale Bildagentursysteme von Hasselblad und Inline sowie an die elektronische Bildverarbeitung mit dem High- end-System "Da Vinci" von Hell zu realisieren.

Saemtliche Systeme sind ueber Ethernet (TCP/IP) und FDDI- Lichtwellenleiter vernetzt. Auf den Sparc-Servern laufen ferner Module der Hyphen-Software, die die Kommunikationsprozesse mit den RIPs steuern, sowie ein elektronisches Seitenplanungssystem von PPI. "Die Offenheit der Solaris-Umgebung war fuer uns ein entscheidendes Kriterium", erlaeutert Hans-Joachim Etzold, Projektleiter in der Stabsabteilung Redaktions- und Vorstufensysteme des Axel Springer Verlags, die Gruende fuer die Hardware-Entscheidung. Dass es hierbei keineswegs nur um trockene Theorie ging, belegt die Fuelle an tatsaechlich genutzten Kommunikationswegen. So werden in Zukunft am CCI-System Seitenfeinlayouts erstellt. Die Informationen ueber Textlaengen und Ueberschrift-Formatierungen werden dabei automatisch an das SII- System uebergeben.

Da im CCI-System hauptsaechlich unter OSF-Motif gearbeitet wird, lassen sich sowohl die Mac-Arbeitsplaetze als auch die SII-PCs ueber X-Windows direkt in die CCI-Welt einbinden. Dadurch besteht die Moeglichkeit, am Apple-Rechner beispielsweise fertige CCI- Layoutseiten im Originalformat aufzurufen. Die Redakteure am SII- System koennen ihre PCs in aehnlicher Weise auf X-Windows umschalten und anschliessend die Produktionsverfolgung im CCI-System durchfuehren. Umgekehrt finden die CCI-Layout-Champs ueber eine Telnet-Prozedur problemlos Zugang zu dem SII-System, so dass Produktionsredakteure jederzeit auf SII-Textverarbeitungsfunktionen zugreifen koennen.

Fuer die Ausbelichtung der Filme stehen in den Produktionsraeumen von "Berliner Morgenpost" und "BZ" acht Belichter mit vorgeschalteten Hyphen-RIPs zur Verfuegung. Sie belichten zum Redaktionsschluss in einem sehr engen Zeitrahmen bis zu 200 grossformatige Zeitungsseiten, beim Boulevard-Blatt "BZ" aufgrund der Farbseparation oftmals sogar in vierfacher Ausfuehrung. Dazu erzeugt die CCI-Software auf den Sparccenter-Systemen Postscript- Dateien und sendet diese zum Belichter.

Derzeit sind die beiden Daten-Server mit jeweils zwei Prozessoren und 128 MB Hauptspeichervolumen ausgeruestet. Jeder Rechner verfuegt ueber eine Plattenkapazitaet von 8,4 GB. Die Rechner fuettern momentan bis zu sechs Seitenbelichter mit Daten. Die beiden anderen Geraete sind fuer die Anzeigenproduktion reserviert, die derzeit noch separat abgewickelt wird. Doch auch hier zeichnet sich bereits die Integration mit einer Unix-basierten Seitenumbruch- loesung ab.

Auch die Anzeigen sollen kuenftig integriert werden

Als eine der groessten Herausforderungen betrachtet der DV-Planer das Thema Ausfallsicherheit. Denn beide Server erfuellen Funktionen, die fuer das tagesaktuelle Erscheinen der Ausgaben von wichtiger Bedeutung sind. Da auf einem Sparc-Rechner die Sybase- Datenbank fuer die "BZ" laeuft, waehrend der andere fuer die Belange der "Berliner Morgenpost" sowie der "Die Welt" zur Verfuegung steht, wurden sie von vornherein mit gespiegelten Platten ausgeruestet. "Wenn wir uns dem Redaktionsschluss naehern, koennen wir uns nicht einmal eine Viertelstunde Ausfall leisten", verdeutlicht der Diplom-Informatiker. "Unix bietet diese Sicherheit per se nicht - deswegen ist es fuer uns auch wichtig, die relationale Produktionsdatenbank durch zusaetzliche Hochverfuegbarkeits- Software abzusichern." Durch die "High-Availability"-Option der Sun-Server haengen die Plattenlaufwerke jeweils an beiden Prozessoreinheiten, so dass der Produktionsprozess praktisch verzoegerungsfrei fortgesetzt werden kann, falls eine Komponentenstoerung auftritt.

Wenn die CCI-Umgebung in den kommenden Wochen in Betrieb genommen wird, ermoeglicht das CCI-System den Berliner Zeitungsmachern eine erheblich hoehere Nachrichtenaktualitaet. Am deutlichsten wird dies bei der Bildberichterstattung. Fotos, die erst spaetnachmittags die Redaktion erreichen, koennen derzeit nur mit Muehe durch den gesamten Produktionsablauf gebracht werden.

Im Zeitalter des elektronischen Seitenumbruchs lassen sich die digital gerasterten Motive hingegen bis buchstaeblich zur letzten Minute ins Blatt aufnehmen. Wenn dann Hertha BSC am Freitagabend zum Match antritt, koennen sich die Berliner bereits zum Samstagsfruehstueck ein genaues Bild davon machen, wie gut sich ihre Elf in Szene gesetzt hat.