Kundenbindung via Internet/Wo bleibt der Nutzen der schönen Pages?

Auch viel Farbe übertüncht nicht die Zweifel am Nutzen

28.02.1997

Kleine Firmen, die sich in ihren Angeboten für Website-Kreation übertreffen, schießen regelrecht aus dem Boden. Flinke Programmierer überbieten sich mit der Zahl der Links. Außerdem streiten sich Werbe- und PR-Agenturen um die Zuständigkeit: Fällt eine Website nun unter Werbung oder in den Bereich Öffentlichkeitsarbeit? Eigentlich sollten sich Unternehmen aber zunächst einmal die Frage stellen, ob und warum sie eine Website brauchen, und danach deren Gestaltung an der Zielgruppe ausrichten.

Immer mehr Firmen drängen ins Netz der Netze, um vom angeblichen Geschäft der Zukunft zu profitieren. Digitales Business, Electronic Commerce? Die wohlklingenden Zauberwörter, die ungeahnten Profit in neuen digitalen Märkten versprechen, kursieren schon in den sonst eher distinguierten Manageretagen. Jeder will dabei sein, aber wie?

Der Beginn der rosigen Zukunft sieht eher trüb aus. Der Web-Alltag hat wenig mit dem "wirklichen Leben" gemein - auch wenn das Chat-Niveau häufig an Stammtischrhetorik erinnert. Jeder will ins Web, und das nicht mehr nur, um einfach dabeizusein wie ganz am Anfang der Cyber-Revolution, sondern inzwischen mehr und mehr, um durch digitale Transaktionen schönes analoges Geld zu verdienen.

Glaubt man Branchenkennern, so gehört dem digitalen Business die Zukunft. Die Umsätze, die mit Online-Shopping erzielt werden, werden im Jahr 2000 laut Forrester Research weltweit mehr als zehn Milliarden Mark erreichen. Dabei wird über die kommenden Jahre mit langsamen, aber kontinuierlichen Steigerungen gerechnet. Es scheint also sinnvoll, schnell auf den Internet-Zug aufzuspringen, um sich an der Beute zu beteiligen.

Allerdings sind die Amerikaner uns wieder einmal um eine Nasenlänge voraus. In Deutschland fand kürzlich der "Stern" bei einer Marktstudie gerade einmal zwei Millionen Haushalte mit Computer und Modemanschluß, von denen wiederum drei Viertel einen Online-Zugang haben.

Nur eine kleine Zielgruppe wird erreicht

Für manches Unternehmen sicher eine riesige Zielgruppe, aber eben nur ein kleiner Bruchteil der Bevölkerung. Dennoch: In der Mehrheit sind die Anwender männlich, haben eine Universitätsausbildung, sind technisch überdurchschnittlich interessiert und eher exklusiv im Geschmack.

Eine klar definierte Zielgruppe also, die ein Unternehmen, sofern es denn genau diese Konsumenten im Visier hat, über das Internet auch erreicht. Dem digitalen Business steht hier also nichts im Wege. Alle anderen Unternehmen, wie beispielsweise Tupperware, sollten derzeit, zumindest in Deutschland, nicht auf das große Geschäft hoffen. Wollen sie trotzdem - unter dem Motto "Frühes Erscheinen sichert die besten Plätze" - im Internet aktiv werden, sollten sie das Projekt Website als Experiment betrachten, an dem zuerst einmal andere verdienen: die Webpage-Designer und die Provider.

Ist die Entscheidung für eine Website gefallen, steht die nächste Hürde an - ihr Design. Eine Studie des Kölner Instituts IFM kommt in diesem Zusammenhang zu niederschmetternden Ergebnissen: Von passionierten Surfern "... wird die Präsenz der Unternehmen, insbesondere die Werbung, von den allermeisten Befragten mit vernichtenden Urteilen belegt". Zugegeben, die Geschmäcker in bezug auf Werbung sind schon bei Printmedien, Radio und TV sehr verschieden, aber manche Marketing-Strategen scheinen in ihrer Internet-Euphorie wesentliche Kommunikationsgrundsätze komplett vergessen zu haben.

Moderne Informationsverarbeitung bietet unzählige Möglichkeiten, eine Webpage zu gestalten. Bilder und Grafiken gelten dabei als rudimentäre Basis. Java macht's möglich: Die Website lebt! Und der Surfer kann sogar mit ihr interagieren, das heißt, sie reagiert auf Tasten- und Mausbefehle, blinkt, wechselt die Farben, bewegt Bilder und, und, und. Den technischen Variationen sind kaum Grenzen gesetzt - leider.

Ohne klare Konzeption und Zielgruppendefinition avancieren Websites zunehmend zur Spielwiese für den technikverliebten Egotrip. Dabei bleiben grundsätzliche Überlegungen über die avisierte Kundschaft, ihre Bedürfnisse, ihren Haushaltsetat und ihr Kommunikationsverhalten nicht selten auf der Strecke.

Das fängt schon im technischen Equipment an, mit dem Otto Normalsurfer ins Internet eintaucht. Der von vielen Web-Designern ausgemachte ideelle Power-User mit Pentium, neuesten Sound- und Videokarten sowie ISDN-Anschluß entspricht nicht unbedingt der Realität in den 1,5 Millionen deutschen Wohnzimmern mit Online-Zugang. Aber auch das andere Extrem gibt es: Digitale Werbung, die - obwohl sie ja eigentlich Kaufanreiz sein soll - dem Surfer eher auf die Nerven geht.

So ist die verlockende neue Web-Welt denn auch für den normalen User und seine alltäglichen Ansprüche an Service und Dienstleistung wahrlich kein Schlaraffenland. Was bei stabiler Verbindung funktioniert, ist das Absaugen von Software - entweder als Freeload oder bei größeren Programmen auch gegen Cash, sprich Kreditkartennummer.

Grundsätzlich gilt: Für den IT-Profi, PC-Freak oder Hobby-Hacker ist das Web eine wahre Fundgrube. So paradox es klingt - je spezieller die Wünsche, desto eher wird man im unendlichen Datenmeer fündig. Gar nicht so gut sieht es dagegen für die einfacheren Bedürfnisse des Bürgers aus, der die neue Technologie nutzen möchte, um Alltägliches schneller und komfortabler abzuwickeln.

Was nutzen einem die Wellenhöhen in Hawaii oder die neuesten Börsenkurse von der Wallstreet, wenn man abends gegen 22 Uhr Heißhunger auf eine frische Pizza verspürt und den nächstbesten Call-a-Pizza-Service sucht. Ein Fall fürs Web? Denkbar schon, aber für den Surfer bliebe es beim digitalen Menü und einem Loch im Magen, denn per Telefon geht es einfacher und schneller. Gute lokale Serviceangebote sind im Web die Ausnahme. Alles das, was in der nächsten Umgebung passiert, ob nun eine neue Kneipe aufmacht oder die Reinigung umzieht, spiegelt sich im Cyberspace nicht wider - das Web ist vor lauter Internationalität einfach nutzlos.

Erste Anfänge sind allerdings gemacht. Schon schießen die virtuellen Kaufhäuser aus dem Boden, Versandhäuser laden zum Online-Bummeln ein, Reisebüros buhlen mit Last-minute-Schnäppchen um die Gunst der Internet-Globetrotter, Zeitungen und Magazine schleudern News so aktuell wie nie zuvor unter die Leserschaft, Banken bieten den 24-Stunden-Service fürs Online-Girokonto, und sogar die Oper wirbt für ihre Stimmen und natürlich das Jahresabonnement.

Wer ein paar dieser unzähligen Seiten etwas genauer unter die Lupe nimmt und das digitale Angebot auch namhafter Unternehmen betrachtet, stellt fest, daß in vielen Fällen die Absichten gut, der Nutzwert aber eher mager ist. Hier einige Beispiele von Klassikern der deutschen Wirtschaft, die jeder kennt - auch aus dem richtigen Leben.

"Otto ... find ich gut." Dieser Slogan des Versandhauses darf natürlich auch im Cyberspace (www.otto.de) nicht fehlen. Die Startseite ist an Schlichtheit kaum noch zu überbieten. Hier hat der Web-Designer den Grundsatz, nicht zuviel digitalen Schnickschnack auf die Page zu packen, etwas zu wörtlich genommen.

Auf den weiterführenden Seiten tauchen Frames auf, die der besseren Navigation durch den Shopping-Katalog dienen. Zu Gunsten der Geschwindigkeit - grundsätzlich ja lobenswert - fallen die Abbildungen der Artikel minimalistisch aus, so daß einen nicht gerade der Kaufrausch übermannt. Das kann auch Vorteile haben, denn die Datenbanksuche nach Artikeln aus dem umfangreichen Sortiment ist einfach zu handhaben und spuckt das Gewünschte sehr schnell aus. Otto online ist unter dem Strich ein solides Angebot. Zwar konservativ bis bieder im Design, dafür aber funktional und übersichtlich.

Einkaufsspaß jedoch bietet schon eher die Konkurrenz. Was das Design angeht, gleichen sich die Angebote von Neckermann (www.neckermann.de) und Quelle (www.quelle.de) außerordentlich. Sie sind farbiger, lockerer und verspielter. Was bei Otto atmosphärisch fehlt, ist hier vorhanden, stört jedoch weder Funktionalität noch Geschwindigkeit. Das Warenangebot wird deutlich besser präsentiert. Die Warenkorbfunktion und der Merkzettel helfen dabei, die finanzielle Übersicht zu behalten.

Wer eine Reise tut, kann viel erzählen. Bevor es losgeht, heißt es aber Fahrpläne wälzen und Flugzeiten studieren. Wer sich online über Verbindungen informieren will, loggt sich zielstrebig auf den Seiten der Deutschen Bundesbahn und der Lufthansa ein. Was ihm dort geboten wird, erinnert allerdings eher an die Zeit der Postkutschen und Doppeldecker.

Das Angebot der Lufthansa (www.lufthansa.de) ist der Bedeutung des Unternehmens nicht angemessen. Das ultrakonservative Design mal beiseite gelassen, bietet der "Flugplan" zwar die möglichen Verbindungen des Unternehmens und seiner Partner, das Navigieren und Eingeben gestaltet sich allerdings äußerst mühsam, die Ergebnisse der Recherchen werden extrem unübersichtlich präsentiert.

Flugpreise scheinen zur Kategorie Staatsgeheimnis zu gehören, obwohl das doch wohl den mobilen Online-Reisenden am meisten interessiert. Wer die Verbindung zu einem Traumziel gefunden hat, muß also ins nächste Reisebüro, um nach Preis und freien Kapazitäten zu fragen. Zumindest dieser Wirtschaftszweig wird es der Lufthansa danken.

Die Deutsche Bundesbahn hält sich im Internet vornehm zurück und lieber an den Online-Dienst Compuserve. Denn nur dort - und nur wenn man vorher die notwendige Zugangssoftware herunterlädt - erfährt man, wann welcher Zug wohin abgeht und wieviel das Ganze kostet. Die Auskunft funktioniert ganz gut, einschließlich Informationen über Speise- und Schlafwagen oder Behindertenbetreuung. Zur Reservierung aber werden Unternehmen den Service einer Reiseagentur vorziehen.

Freude am Fahren, Freude am Surfen: Die Internet-Präsenz von BMW (www.bmw.de) kann sich sehen lassen. Neben vielen Informationen rund um des Deutschen liebstes Thema kann gezielt nach fast neuen oder gebrauchten Fahrzeugen nahezu aller Marken gesucht werden.

Das Suchsystem funktioniert einwandfrei und äußerst zügig. Sogar der Kontakt zu dem entsprechenden Autohaus, in dem der zukünftige Wagen derzeit steht, läßt sich per Mausklick herstellen. Das ist digitaler Service, der sich garantiert auszahlt.

Angeklickt

Internet-Werbetreibende im Goldrausch - mit allem, was zum Klischee dazugehört: Nuggets, sagenhafte Erfolge, steile Karrieren, Silver Bullets, schnelle Männer. "Bit-Spucker", stöhnen coole Profis für Öffentlichkeitsarbeit, "nur schnell am Computer." "Überladene Glamourfassaden", kontern mit Blick aus den Windows die Angesprochenen. Und draußen steht ein Volk, wartend auf Zorro, damit der das ganze Pack virtuell teert und federt - und in die Cyber-Wüste jagt.

*Roland Schmidt und Gabriele Thoering sind Mitarbeiter der Agentur Beiersdorff in München.