Anwender: "Die SAP hat eine Monopolstellung inne"

Anbieter von Standardsoftware muß bei der Kundenbetreuung Abstriche machen

14.09.1990

Die Stellung der SAP AG auf dem deutschen Softwaremarkt ist einzigartig. Kaum ein Großunternehmen, das nicht zumindest die Finanz- und Anlagenbuchhaltungspakete RF und RA installiert hätte. SAP-Anwender schaffen sich mit diesen Moduln sowie mit Paketen für Materialwirtschaft, Instandhaltung, Qualitätssicherung oder PPS eine geschlossene integrierte Standardsoftware-Umgebung. Die Folge: Viele Großunternehmen machen sich abhängig, indem sie ihre Eigenentwicklungen ausmustern und ihre unternehmensweite Ablauforganisation der SAP-Umgebung anpassen. Damit wird ein Umstieg auf andere Standardsoftware fast unmöglich. Nachdem die Walldorfer eine Vielzahl deutscher Großunternehmen zu ihren Kunden zählen, machen sie sich jetzt an die Eroberung des mittelständischen Marktes. Erster Akt, Die 50prozentige Beteiligung an der Steeb-Gruppe.

Während die SAP AG immer größere Marktanteile erringt, beginnen die Anwender die Schattenseite der engen Kooperation mit dem Marktführer zu spüren. "Wir haben nicht genügend Berater im Hause, um die Vielzahl von Kunden zu betreuen", muß der SAP-Vorstandsvorsitzende Dietmar Hopp bekennen. Der offenkundig gewordene Support-Engpaß seines Unternehmens sei wachstumsbedingt. Da sich aber inzwischen eine große Anzahl unabhängiger SAP-Berater dieses Problems angenommen habe, könne der Bedarf weitgehend gedeckt werden.

Anwender, die sich beklagen, haben nach Einschätzung von Hopp ihre Situation nicht zuletzt selbst zu verantworten: "Firmen mit sehr gutem Personal haben auch keine Probleme. Die belasten auch nicht unseren Telefondienst, indem sie zu viele Beratungsfragen stellen."

Aber nur wenige Unternehmen finden sich angesichts der zumeist dünnen Personaldecke ohne Beratung in der integrierten Anwendungsumgebung von SAP zurecht. Die Service-Lücke der Walldorfer stößt auf Unverständnis und Besorgnis. "Wir müssen auf Monate hinaus planen, um einen Termin mit einem Berater von SAP zu bekommen", kritisiert etwa Karl-Martin Klein, Leiter der Hauptabteilung Informatik und Organisation bei der Krupp Widia GmbH in Essen. "Auch von unabhängigen Unternehmen ist die Beratungskapazität, die man eigentlich bräuchte, nicht zu beziehen."

"Von SAP kommen immer andere, die wieder anderen Bescheid sagen", moniert auch Wolfgang H. Grabe, Gesamtprojektleiter bei der Melitta System Service GmbH & Co. KG in Minden-Dützen. Die in den Broschüren versprochene Hilfe sei von den Walldorfern kaum zu bekommen. Sein Unternehmen habe glücklicherweise gute Erfahrungen mit einem unabhängigen SAP-Beratungsunternehmen in Peine gemacht.

Der SAP ist die Kundenbetreuung mit zunehmender Verbreitung der Standardmodule aus der Hand geglitten. Das Konzept der Walldorfer, unabhängige Berater in der hauseigenen Schule auszubilden und zum Teil mit Trainingssystemen auszustatten, reicht aufgrund der enormen Nachfrage offensichtlich nicht mehr aus. Wir sehen uns einfach nicht in der Lage, so viele Leute einzustellen. Irgendwo muß das Wachstum einer Firma auch Grenzen haben - sonst wird es unsolide", verteidigt Hopp sein Unternehmen.

Diese Grenzen des Wachstums sind bei den Walldorfern aber noch längst nicht in Sicht. Im Gegenteil: Nachdem deutsche Großunternehmen für die Lösung kommerzieller DV-Probleme bereits überwiegend SAP-Produkte unter dem Siemens-Betriebssystem BS2000 oder auf /370-Rechnern von IBM verwenden, sollen jetzt auch mittelständische Betriebe auf den Geschmack kommen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wurde vor wenigen Monaten mit der 50prozentigen Beteiligung an der Steeb Gruppe, Abstatt bei Heilbronn, vollzogen.

Steeb ist hierzulande mit immerhin 400 Anwendern einer der bedeutendsten Anbieter kommerzieller Software für den mittelständischen Bereich. Das Unternehmen bietet neben Produkten für den /370-Rechner auch Software für die AS/400 und die /3X-Systeme von Big Blue an. Zudem arbeitet gut ein Drittel der Steeb-Kunden mit Bull-Systemen.

Nicht zuletzt mit Hilfe des Steeb-Know-hows wird SAP im nächsten Jahr mit neuen Produkten eine Großoffensive auf den mittelständischen Markt starten. Zunächst in Unix- und AS/400-Umgebung sollen dann mit den neuen R/3-Paketen kommerzielle Softwareprodukte für mittelgroße Unternehmen angeboten werden. "Wir wollen mit den R/3-Systemen zu. nächst kleinere Firmen beliefern, um Erfahrungen zu sammeln, was die Performance betrifft", beschreibt Hopp die Pläne der Walldorfer.

Ginge es nach dem Willen der SAP-Kunden, so wären ähnliche Untersuchungen auch hinsichtlich der Speicherkapazität und der CPU-Belastung nötig. Anwenderunternehmen, die verschiedene Module aus dem R/2. System installiert haben, bemängeln immer wieder, daß SAP sich in Fragen der Systembelastung allzu bedeckt halte.

"Wir sind gerade dabei, ein individuelles System für die Abwicklung von Kundenaufträgen durch Standardsoftware von SAP abzulösen", schildert Krupp-Widia-Mitarbeiter Klein. "Auch nach intensiven Recherchen ist es uns nicht gelungen, eine einigermaßen realistische Zahl für den Kapazitätsbedarf zu ermitteln." Sowohl was das Plattenplatzvolumen als auch die Zentraleinheit angehe, hätten sich SAP-Module als enorme Ressourcenfresser herausgestellt - für Klein "ein sehr bitterer Wermutstropfen".

Dietmar Hopp begründet die Defizite in diesem Bereich, unter denen fast alle SAP-Anwender leiden, mit den "Abertausenden von Ausprägungen", die je nach Branche und Nutzungsgrad der Firma unterschiedlich seien. Außerdem werde heute in der DV üblicherweise nicht mehr darüber diskutiert, ob man auf der Hardwareseite nun "ein Megabyte mehr oder weniger" beanspruche.

Kein Zweifel: Mit einem Kundenstamm von rund 1300 Anwendern und einem Umsatzvolumen, das sich in diesem Jahr der 500-Millionen-Mark-Grenze nähern wird, befindet sich die SAP nicht in einer Lage, in der sie um die Gunst ihrer Anwender buhlen müßte. Am Einsatz von Standardsoftware kommt kaum ein Unternehmen vorbei und den Zuschlag erhält in den meisten Fällen der Marktführer, der schließlich den Defacto-Standard setzt. Entsprechend kann es sich die SAP erlauben, "keinen aktiven Vertrieb" zu unterstützen, wie Vorstand Hopp versichert. "Die Interessenten rufen uns von selbst an."

Anwenderunternehmen wissen durchaus um die besondere Position der Walldorfer. "Die SAP hat in Deutschland eine einzigartige Monopolstellung inne", konstatiert Karl-Martin Klein von der Krupp Widia GmbH. Anlaß zur Kritik gebe es aber nicht, solange der Großanbieter seine Kunden nicht durch überhöhte Preise knebele.

"Wir wissen natürlich, daß wir von der SAP abhängig sind. Das bedrückt uns aber nicht weiter", stellt Hern Ballast, Leiter der Informatik bei der Lindt & Sprüngli GmbH in Aachen, klar. Diese allzu enge Bindung an den Anbieter beunruhigt nicht - im Gegenteil, sie gibt dem Anwender das Gefühl von Sicherheit. "Wir empfinden es nicht als tragisch, auf SAP angewiesen zu sein. Auf der anderen Seite haben wir IBM-Systeme im Einsatz - von denen sind wir auch irgendwie abhängig", bestätigt auch Friedrich Debo, DV-Leiter der Esselte Meto GmbH in Hirschhorn.

Für SAP-Chef Hopp ist der Begriff Abhängigkeit eine Definitionsfrage: "Ich bin auch abhängig von dem Bäcker, dessen Brezeln mir am besten schmecken. Ich finde den Begriff Abhängigkeit' nichtssagend." Da der Kunde in diesem Beispiel immer noch die Möglichkeit hat, den Bäcker zu wechseln oder zum gesünderen Vollkornbrot zu greifen, scheint dieser Vergleich nicht zu treffen.

Der SAP-Kunde steht vor einer anderen Situation. Will der Anwender mehrere Module der SAP einsetzen und dabei die Standardsoftware so wenig wie möglich modifizieren, so ist er in den meisten Fällen gezwungen, massiv in die Organisation seines Unternehmens einzugreifen.

"In der Regel sind Organisationsänderungen notwendig, und zwar dort, wo die Organisation nicht stromlinienförmig verläuft", beschreibt SAP-Vorstand Hopp. "Wir liefern ja eine Organisation mit, die nicht starr ist, die man in weiten Teilen variieren kann, die aber doch einige Gesetze mit sich bringt, die in manchen Firmen nicht eingehalten werden."

Die Anwender nehmen dieses Konzept meistens dankbar auf: "Es muß nicht falsch sein, die Ablauforganisation der Standardsoftware anzupassen", erläutert zum Beispiel Hans-Jürgen Beger, DV/Org.-Leiter bei der Sandoz AG in Nürnberg. Man könne schon davon ausgehen, daß die angebotene Standardsoftware nicht schlechter sei als die unternehmenseigenen Produkte.

Auch die Melitta Systems Service GmbH & Co. KG hat sich entschlossen, "die Organisationsform dem Organisationsmittel SAP anzupassen", wie Projektleiter Wolfgang H. Grabe erläutert. Das sei zwar nicht zwingend notwendig, aber doch empfehlenswert gewesen. Lindt-Mitarbeiter Ballast fügt hinzu: "Wenn die Pakete - so wie sie sind - bei anderen Unternehmen laufen, warum dann nicht auch bei uns?" Auch bei Lindt & Sprüngli wurde die Ablauforganisation geändert.

Solange die Unternehmen die Ware des Marktführers wählen, können sie davon ausgehen, daß eine Vielzahl anderer Unternehmen mit ähnlichen organisatorischen und Software-spezifischen Problemen kämpft. Außerdem: "Es ist eine Frage der einfachen Arithmetik, ob man einem Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern mehr zutraut als einem mit wenigen Angestellten", rechnet DV-Chef Beger von der Sandoz AG. In Deutschland gebe es derzeit eine Vielzahl kleinerer Softwarehäuser mit einem zum Teil sehr guten Angebot. "Da man sich Software im großen Rahmen aber nicht nur für einen Zeitraum von zwei Jahren anschafft, muß man auf Nummer Sicher gehen."

Auch Krupp-Widia-Mitarbeiter Klein fühlt sich bei einem großen Unternehmen am sichersten aufgehoben. Seine Prämisse: "Der Anbieter sollte in der Lage sein, sein Marktpotential zu halten und weiter am Markt zu bleiben, damit die Weiterentwicklung der Produkte gewährleistet ist." Zwar gebe es eine Reihe von Softwarehäusern, die in spezifischen Anwendungsbereichen bessere Lösungen anböten als die SAP, aber niemand könne ein so komplettes integriertes Anwendungsspektrum bieten.

Da sich Pro-SAP-Entscheidungen auf Organisation und personelle Besetzung eines Unternehmens signifikant auswirken, haben die meisten DV-Abteilungen nur geringen Einfluß auf die Entscheidung, ob und welche SAP-Module eingeführt werden sollen. Fachabteilungen und vor allem die Geschäftsführung haben ein Interesse daran, mit SAP zusammenzuarbeiten. "Daß die Entscheidung durch die DV-Experten gefällt wird, werten wir als äußerst positiv", urteilt SAP-Vorstand Hopp: "Überall dort, wo DV-Experten durch ihre enge Brille das Ganze entscheiden, kommt es zu kurzfristigen Lösungen."

Auch Karl-Martin Klein von der Krupp Widia GmbH weiß, daß Pro-SAP-Entscheidungen in vielen Unternehmen durch den Druck der Geschäftsführungen zustande kommen. Seine Begründung: "SAP hat sich zu einer Art Markenprodukt entwikkelt, das zumindest vom Namen her in den Führungsetagen sehr bekannt ist. Das ist wohl einzigartig und sonst nur bei einem Hardwarehersteller wie IBM zu beobachten."

Ähnlich sieht der Kelkheimer DV-Organisator Martin Kütz die Situation: "Pro-SAP-Entscheidungen werden sehr stark von den jeweils betroffenen Fachabteilungen getragen. Die DV-Abteilungen sind in aller Regel eher ein wenig skeptisch und zurückhaltend. Wenn man sich die Produkte anschaut, dann sieht man sehr schnell, daß diese in Richtung Maschinenbelastung etc. nicht so ganz ohne sind."

Auch Kütz hat den Eindruck, daß die Entscheidungsträger in den unternehmensinternen Hierarchien sehr weit oben zu finden sind: "Das deckt sich auch mit Beobachtungen, daß SAP - ähnlich wie IBM das praktiziert - an die höheren Entscheidungsträger herantritt." Der DV-Organisator will über diese Marketingpolitik keineswegs den Stab brechen - er hält dieses Vorgehen sogar für einsichtig und legitim.

"Es gibt nicht einen einzigen Vertragsabschluß der SAP, der allein mit der Geschäftsführung abgeschlossen worden ist", beteuert dagegen der SAP-Vorstandsvorsitzende. Der Geschäftsführer, der die Anschaf fung von Standardsoftware gegen den Willen seiner Mannschaft durchsetzen wolle, handele fahrlässig. Allerdings gibt Dietmar Hopp zu: "Vielleicht ermuntert so mancher Geschäftsführer seine Mannschaft nach dem Motto: Guckt euch das mal an, wenn das so viele haben...'. Ich will gar nicht abstreiten, daß das ein Vorteil für uns ist."

Der Druck der Unternehmensleitung führt nicht selten zu chaotischen Zuständen: Mit dem Argument: "Software, die bei 1000 anderen Unternehmen eingesetzt wird, muß auch bei uns laufen", sollen plötzlich mehrere SAP-Module binnen eines halben Jahres eingeführt werden.

"Auf eine gründliche Voruntersuchung wird verzichtet. Man holt sich das System ins Haus und muß irgendwann feststellen: Bestimmte Abläufe werden nicht so abgedeckt, wie man das eigentlich benötigt." Dies ist der Zeitpunkt, so Klein, zu dem die Unternehmen mit Modifikationen beginnen, die sich wiederum zu einer neuen, kaum noch pflegbaren Individualsoftware auswachsen können. Krupp Widia sei bisher ohne größere Modifikationen ausgekommen, weil das Unternehmen auf diese "gründliche Voruntersuchung" eben nicht verzichtet habe.

SAP-Vorstand Hopp macht keinen Hehl daraus, daß die Walldorfer erst nach einem Vertragsabschluß nähere Informationen über die anstehende Organisationsänderung geben. "Wir haben nicht genug Leute, Wasser als Erleichterung, löst die neue integrierte DV-Umgebung in vielen Fällen doch ein über Jahrzehnte gewachsenes DV-Chaos ab. Großanwender nehmen die Gelegenheit wahr, die uralten selbstgestrickten, zum Teil schlecht dokumentierten und immer wieder notdürftig korrigierten Programme endgültig auszumustern und sich auf einen mehrfach erprobten Standardlevel zu begeben.