Projekt-Management-Software wird überschätzt

Alte Organisationsstrukturen machen Projekte zu Abenteuern

29.05.1992

MÜNCHEN (hv) - Projekt-Management-Werkzeuge sind nützliche Hilfsmittel - mehr nicht. Der Marktheidenfelder Unternehmensberater Karl Heinz Döppler ging in einem Vortrag vor der Presse mit Software-Anbietern arg ins Gericht. Er warf ihnen vor, bei Kunden den Eindruck zu erwecken, schon die Anschaffung der "richtigen" Software garantiere den erfolgreichen Verlauf von Projekten.

Was seit langem für Werkzeuge in den Bereichen Anwendungsentwicklung, Management-Information oder Künstliche Intelligenz gilt, trifft inzwischen auch auf das Projekt-Management zu: Die Menge der Systeme, die sich im Einsatz befinden, liegt weit unter den Verkaufsquoten der Anbieter. Als Erklärung für ihr Scheitern führen Anwender den unerwartet hohen Aufwand an, der mit der Einführung verbunden sei. Außerdem entspreche die Software wider Erwarten nicht den Unternehmensanforderungen und sie werde häufig von einzelnen Mitarbeitern nicht akzeptiert, was zum Scheitern von Projekten führen könne.

Die eigentliche Ursache dafür, daß Projekte abgebrochen oder die in Aussicht gestellte Einsparung von Zeit und Geld nicht erreicht wird, liegt nach den Erfahrungen Döpplers nicht bei den oftmals weit überschätzten Werkzeugen, sondern in den Organisationsschwächen der Unternehmen. Vor allem die unklare Verteilung von Verantwortlichkeiten und Kompetenzen auf die Projektleiter sorge für Verwirrung und Unmut. Für die Einführung eines Projekt-Management-Systems müßten aber organisatorische, personelle und methodische Rahmenbedingungen geschaffen werden.

"Unternehmen mit traditionellen hierarchischen, funktionalen Organisationsstrukturen können künftige Aufgaben mit Projektcharakter nicht effizient abwickeln", lautet die provokante These des Unternehmensberaters.

Für absehbare Aufgaben in der Zukunft, zum Beispiel das Total Quality Management, Computer Integrated Manufacturing (CIM), simultanes Engineering oder auch die Optimierung der Auftragsabwicklung seien andere Organisationsstrukturell erforderlich.

Die alte, funktional orientierte Organisation habe die Eigenschaft, daß sämtliche Funktionsbereiche unterhalb des Vorstandes, also Entwicklung, Produktion, Vertrieb, Betriebswirtschaft, Personal etc., auf die Realisierung der oben genannten Aufgaben Einfluß nehmen wollten. Ineffizienz sei die unausweichliche Folge. Unmengen von Arbeitskreisen und Stabsfunktionen bildeten sich, die in der Regel wenig wirkungsvoll arbeiteten.

Soll aber die traditionelle funktionale Organisation durch überschaubare Einheiten, also durch moderne Profit-Center- und Projekt-Strukturen ersetzt werden, so müsse entsprechendes Personal vorhanden sein. "Die heutigen Ausbildungsstrukturen", so kritisiert aber Döppler, "vollziehen den organisatorischen Wandlungsprozeß der Industrie nicht mit." Es gebe einen akuten Mangel an geeigneten "Projekt-Managern".

Projektleiter muß interdisziplinär denken

"Die Leute studieren Elektrotechnik, Maschinenbau, Betriebswirtschaft - die Querqualifikation, eine Ausbildung über all diese Bereiche hinweg, ist in unserem Bildungssystem nicht vorgesehen."

Dem Projektleiter kommen nach Ansicht des Consultants künftig wesentliche Aufgaben einer Führungskraft zu. Er muß interdisziplinär denken und handeln - dazu ist kein Detailwissen, wohl aber ein umfassender Überblick notwendig. Döppler, der an der Universität Würzburg lehrt, stellt die Regel auf: Je umfangreicher das Projekt, desto größer die Management-Kompetenz; ist das Projekt kleiner, so gewinnt die Fach- gegenüber der Management-Kompetenz an Bedeutung.

Mit zunehmender Bedeutung des Projektleiters geraten althergebrachte Organisationsformen in die Kritik. Zur bestehenden Unternehmensorganisation muß bei großen Projekten eine "Parallelorganisation" eingeführt werden - zum Leidwesen vieler Abteilungsleiter. Diese fühlen sich in der Regel um Kompetenzen betrogen, weil sie Rechte an den Projektleiter abtreten müssen. So sind Projektmitglieder gehalten, an ihren Projektleiter zu berichten und nicht an den Abteilungsleiter ein Vorgang, der in vielen Unternehmen für Unruhe sorgt. Döppler sieht in diesem Problem die "Haupthürde" schlechthin: "Abteilungsleiter müssen ihre Abteilung führen - nicht irgendwelche Projekte!"

Diese Schwierigkeiten sind nur in den Griff zu bekommen, wenn sich das Management hinter das jeweilige Projekt stellt und dem Leiter den Rücken stärkt. "Von unten her lassen sich Kompetenzen und Verantwortlichkeiten kaum verändern", betont der Unternehmensberater. Ein begleitendes Coaching seitens eines Vorstandsmitgliedes sei ratsam. Döppler hielt seine Rede anläßlich eines Workshops der Wehrheimer Informatik-Beratung Bartsch-Beuerlein.