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AOL Time Warner verklagt Microsoft

23.01.2002
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MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die AOL-Time-Warner-Tochter Netscape Communications hat bei einem Bundesgericht in Washington, D.C., eine Kartellklage gegen Microsoft eingereicht. Der einst führende Browser-Anbieter fordert Schadenersatz, weil der Redmonder Konzern in Zeiten des "Browser-Kriegs" Ende der 90er Jahre seinen "Internet Explorer" mit Windows gebundelt und auch separat verschenkt hatte. Netscape seien dadurch direkt und auch indirekt (etwa im Geschäft mit Internet-Server-Software) enorme Schäden entstanden.

Die Höhe der Forderungen ist noch unbekannt. "Das machen wir vor Gericht und nicht schon im Antrag", erklärte AOL-Sprecher John Buckley. Das "Wall Street Journal" zitiert dazu Schätzungen von AOL-Anwälten vom vergangenen Sommer, die von bis zu zwölf Milliarden Dollar sprechen. Diese Zahl hatte Microsoft seinerzeit bereits als "lächerlich" abgetan. Andere Kartellexperten gehen von kleineren Summen aus, die sich aber nichtsdestotrotz im Milliardenbereich bewegen. Netscape beruft sich in seiner Klage auch auf das Clayton-Gesetz, das im Falle einer Strafe gegen Microsoft die verhängte Geldstrafe verdreifachen würde.

Netscape geht es aber nicht nur um den rückwirkenden Schadenersatz. "Wir wollen auch erreichen, dass der Wettbewerb auf dem Computer-Desktop wieder hergestellt wird", erklärte Randall Boe, Chefjustiziar von America Online. "Wir unterstützen Absichten und Ziele der Bundesstaaten, die im Verfahren gegen Microsoft verblieben sind. Unsere Absichten decken sich vollkommen mit den ihren."

Die Netscape-Mutter AOL liegt seit geraumer Zeit im Clinch mit der Gates-Company. Zuletzt stritten beide Unternehmen im vergangenen Sommer um Windows XP und das Bundling der AOL-Zugangssoftware mit dem neuen Betriebssystem. Dieses kam schließlich ohne AOL-Client auf den Markt, dafür aber mit jeder Menge hauseigener Software (unter anderem dem Windows Messenger, einem direkten Konkurrenzprodukt zum AIM und ICQ von AOL).

"AOL Time Warner nutzt Politik und Rechtssystem seit Jahren gegen uns", klagt Microsoft-Sprecher Jim Desler. "Bei jeder sich bietenden Gelegenheit ziehen sie einen Prozess dem Fortschritt vor. Was wir in neue Produkte investieren, gibt AOL für Lobbyisten und Anwälte aus, um uns Steine in den Weg zu legen." Microsoft habe sich stets kooperationswillig gezeigt (etwa in Sachen Interoperabilität der jeweiligen Instant-Messaging-Systeme), AOL habe jedoch konsequent die kalte Schulter gezeigt.

Aus Sicht von Beobachtern kommt die Klage keineswegs überraschend, nachdem im Kartellprozess von US-Regierung und einzelnen Bundesstaaten Microsoft wegen Monopolismus verurteilt worden war. Das Thema Browser-Bundling war damals bereits zentraler Punkt der Argumentation. Microsofts Konkurrenten sowie Verbände äußerten sich daher wenig überrascht von der Klage. "Nach dem Urteil des Berufungsgerichts gegen Microsoft war AOL seinen Aktionären gegenüber quasi verpflichtet zu klagen", erklärte etwa der ProComp-Vorsitzende Mike Pettit. "Netscape ist das prominenteste Opfer von Microsofts Kartellvergehen", pflichtet Ed Black von der Computer & Communications Industry Association (CCIA) bei. "Hoffentlich gibt es ein sinnvolles Urteil, das den Wettbewerb zurückbringt."

Eher überraschend fiel dagegen die Stellungnahme von Eric Raymond, Gründer und Chefideologe der Free Software Foundation ("The Cathedral and the bazaar") aus: "Ich bin generell gegen Antitrust-Recht", proklamiert Raymond. "Märkte lösen diese Probleme, nicht die Regierung. Kartellrecht gibt Regierungen mehr Macht als sie haben sollten." Microsofts Geschäftspraktiken seien zwar mies und sollten Verbraucher auf die Boykott-Barrikaden bringen, aber die Regierung solle sich besser heraushalten. Die Open-Source-Bewegung werde Netscape sicher auf breiter Front unterstützen. "Es gibt wohl niemanden in der Community, der nicht der Ansicht ist dass Microsoft üble Dinge getan hat und auch weiterhin tun wird", so Raymond weiter. (tc)