370 als PC-Standard

26.08.1983

Beinahe täglich werden neue Mikrocomputermodelle vorgestellt. Die Zahl der Anbieter ist bereits Legion. Alles spricht nach Meinung von Branchenexperten für einen anhaltenden Mikroboom. Nur wenigen Herstellern ist indes bewußt, daß die IBM ausersehen scheint, erneut Furore zu machen, Hauptakteur eines Personal-Computer-Stückes zu werden, in dem sie nicht mehr vorkommen. Kaum jemand errät, welchen Arbeitstitel das Drehbuch zieren könnte: "Die 360/370 -Architektur als PC-Standard".

Wie soll man diese Aussage verstehen? Es erscheint in der Tat zunächst weit hergeholt, den IBM-PC in der direkten Entwicklungslinie

der "blauen" Großsysteme zu sehen. Kein Zweifel einerseits, daß Big Blue selbst jegliche Regie-Absichten in dieser Richtung von sich weist. Immerhin waren es, andererseits, immer auch die Marketiers der Mainframe-Riesen, die das Kompatibllitätsgebot der Computerbauer priesen. Das heißt: keine revolutionären Entwicklungen, vielmehr Evolution, die Vorhandenes berücksichtigt und Investitionen in die Software nicht antastet. Die derzeitigen Maschinen des Marktführers, nehmen wir die 4300 oder die 308X, sind denn im Grunde nichts anderes als Weiterentwicklungen der 360/370, unterstützt von den 360/370-Betriebssystemen.

Was das mit dem PC-Geschäft zu tun hat? Nun, es ist anzunehmen, daß der IBM Personal Computer bei großen Organisationen die 3270-Datenstation ersetzen wird. Viele DV-Routiniers stehen nämlich Insellösungen mit dem PC skeptisch gegenüber, stören sich daran, daß die dezentrale Datenverarbeitung unkontrollierbar wird. So lassen sie denn kaum Zweifel daran, wie die PCs arbeiten sollen: im SNA-Verbund.

Daß die IBM bisher wenig getan hat, diese Bemühungen zu unterstützen, wird die Entwicklung nicht aufhalten. Unabhängige Softwarehäuser stehen bereit, die nötige Bridgeware zu stricken. Damit schlösse sich der Kreis: Anwendungen, die auf 360/370 geschrieben wurden, würden in einem PC-Netz lauffähig. Da hätten wir den alten, neuen Standard. Die Apples und Commodores werden ihn nicht verhindern.

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Nach draußen verkünden die Öffentlichkeitsarbeiter des Minicomputer-Marktführers Digital Equipment Optimismus, intern wird die Lage anders gesehen. Mit ihren 1982 angekündigten Mikros, dem "Rainbow" und den "Professional"-Modellen, haben die DEC-Manager bisher wenig Fortüne bewiesen. Für den kommerziellen Markt fehlt nach wie vor die Software. Unsere Prognose, der Mini Riese würde sich schwertun auf dem Mikro-Parkett (CW Nr. 20/82, Kolumne: "Doppel DECer"), hat sich von bewahrheitet.

Von einigen DEC-Kennern wird die Entscheidung Ken Olsens, ins Personal-Computer-Busineß einzusteigen, denn auch bereits für die Niete seines Lebens gehalten. Die PDP- und VAX-Spektakel der siebziger Jahre lassen sich offensichtlich nicht in die Achtziger verpflanzen. Mit den Minis, so dachte man damals, könnten die Konzepte transaktionsorientierter Datenverarbeitung einfacher und billiger realisiert werden als mit den Batch-Dinosauriern, die an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt waren. Doch just als die DEC-Verkäufer freie Bahn zu haben glaubten, begann der Siegeszug der Mikros und Personal Computer. DEC jobbte zwar redlich mit dem Rainbow und den Professionals (siehe oben), doch die IBM schöpfte den Rahm ab. DEC-Handikap: Die Minis haben im kommerziellen Markt keine Anwendungstradition, User-Standards lassen sich so nicht durchdrücken. Die IBM hat's da leichter.